Der Finanzminister kommt in den Genuss astronomischer Zinsersparnisse. Im Haushalts bleibt ein zweistelliger Milliardenüberschuss. Es wäre höchste Zeit, die Steuern zu senken. StZ-Autor Armin Käfer fragt: Wann, wenn nicht jetzt?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Politiker, die sich um die Staatsfinanzen kümmern, jonglieren mit Zahlen, die einem gemeinen Steuerzahler kaum zu vermitteln sind. Dieser Tage meldete die Bundesbank, dass der Fiskus seit dem Ausbruch der Finanzkrise wegen der nachfolgenden Niedrig- und Negativzinsen beim Schuldendienst 436 Milliarden Euro eingespart habe. Das ist ein Betrag mit zwölf Ziffern und neun Nullen. Davon könnte man gut eine Million Wohnungen bauen – oder 436 Mal die Stuttgarter Oper sanieren. Die astronomisch anmutende Summe macht den finanziellen Spielraum deutlich, der sich dem Staat unvermutet eröffnet hat – ein Spielraum, mit dem er gar nicht rechnen konnte.

 

Über Geldfragen reden manche im politischen Geschäft aber weiterhin so, als gäbe es solche Spielräume gar nicht, auf die etwa auch ein Haushaltsüberschuss des Bundes in zweistelliger Milliardenhöhe verweist. Das sind schwarze Zahlen – weit über der angepeilten Null. Die Bürger haben meist ganz andere Sorgen. Und gewöhnliche Sparer müssen befürchten, dass Banken ihnen demnächst eine Gebühr abverlangt für das Entgegenkommen, ihr Barvermögen dort zu deponieren. Sie zahlen dann auf Umwegen für die Zinsersparnisse des Staates.

SPD will Schuldenbremse aushebeln, obwohl es Überschüsse im Etat gibt

Vor diesem Hintergrund erscheint die jüngst aufgeflammte Debatte über die Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse erst recht aberwitzig. Der Finanzminister nimmt mehr Steuern ein denn je, muss für seine Außenstände weniger aufbringen, als kalkuliert war, hat am Ende des Haushaltsjahres sogar noch überschüssiges Geld in der Kasse, soll aber partout endlich wieder Kredite aufnehmen, um alle Ausgabenwünsche erfüllen zu können?

So wünscht sich das die SPD in Gestalt ihres neuen Kovorsitzenden Norbert Walter-Borjans. Der war früher immerhin selbst einmal Finanzminister – dessen Haushaltspläne sich allerdings wiederholt als verfassungswidrig erwiesen haben. Seine Kollegin Saskia Esken hält es gar für „gefährlich“ angesichts der kommoden Budgetsituation jetzt auch nur daran zu denken, die Steuern zu senken. Dabei gäbe es dafür viele gute Gründe.

Millionen zahlen Spitzensteuer

Einer ist offenkundig: Millionen Deutsche zahlen bei der Einkommenssteuer den Höchstsatz. Damit sollten nach der Logik unseres auf Gerechtigkeit bedachten Steuersystems nur Topverdiener behelligt werden. 1965 musste man das 15-fache des Durchschnittslohns verdienen, um dem Spitzensteuersatz zu unterliegen. Heute genügt das Anderthalbfache des Durchschnittslohns. Von der FDP bis zur Linkspartei sind fast alle einig, dass hier eine Korrektur fällig sei. Nur die SPD-Spitze hat das noch nicht begriffen. Sie ist dabei, die Linken links zu überholen.

Eine solche Politik verrät gleich mehrere Denkfehler. Erstens: Steuern sind ein unvermeidliches Übel, aber kein Selbstzweck. Zweitens: Geld, mit dem der Staat wirtschaftet, ist keine anonyme Spielmasse, sondern das Geld der Steuerzahler. Jeder Finanzminister steht in der Pflicht, damit sparsam zu haushalten – statt unablässig über neue Einkommensquellen nachzudenken. Drittens: sobald sich unverhofft Einsparpotenziale oder gar Überschüsse auftun, wäre vorrangig zu überlegen, die Menschen daran teilhaben zu lassen, ohne die kein Staat existieren könnte: die Steuerzahler eben.

Steuern senken: Wann, wenn nicht jetzt?

Die Realität sieht leider anders aus. Solange sie besteht, hat die große Koalition sich vor allem dadurch ausgezeichnet, neue Ausgaben zu erfinden, sei es bei der Rente oder im Bereich der Sozialfürsorge. Mit dem Versprechen einer Steuerreform ist Angela Merkel vor fast 15 Jahren erstmals als Kanzlerkandidatin in einen Wahlkampf gezogen. Bis heute ist sie eine nennenswerte Reform solcher Art schuldig geblieben. Dafür wäre es höchste Zeit. Wann, wenn nicht jetzt?