Zurzeit gibt es am See weder Strom noch fließend Wasser. Kirchentellinsfurt scheute die Investition bisher nicht allein aus Geldmangel: „Je mehr Infrastruktur wir dort anbieten, desto größer wird die Verkehrssicherungspflicht“, warnt Bernhard Knauss vor den Folgen. Seit Langem fordert der Bürgermeister die Kommunen im Einzugsgebiet, den Landkreis Tübingen und das Land Baden-Württemberg auf, sich an Kosten zu beteiligen. Bisher ist Kirchentellinsfurt mit seinem Anliegen aber überall abgeblitzt. Das Stuttgarter Rathaus etwa will kein Geld in einen fremden See stecken. „Wir sehen keinen Anlass, aktiv zu werden“, erklärt Sven Matis, Sprecher der Landeshauptstadt.

 

Nicht nur finanzielle Gründe sprechen gegen ein Strandbad in Kirchentellinsfurt. Laut einem gewässerökologischen Gutachten aus den 90er Jahren besteht die Gefahr, dass der nur fünf Meter tiefe See durch Verschlammung über kurz oder lang eutrophiert, also umkippt. Bisher haben die Behörden nichts dergleichen festgestellt; das Tübinger Landratsamt bescheinigte dem See zuletzt sogar eine „ausgezeichnete Wasserqualität“. Die Anzahl der Blaualgen bewege sich im grünen Bereich.

Solche guten Nachrichten sorgen mit dafür, dass der Strom der Erholungsuchenden aus dem Umland nicht abreißt – mit allen damit verbundenden Problemen für die Gemeinde. Für kurze Zeit hatte es einmal so ausgesehen, als würde Bürgermeister Knauss seinen Sorgensee los: Die Firma Epple hatte beim Land Baden-Württemberg einen Antrag auf entschädigungspflichtige Enteignung gestellt. Damit wäre das Land in die Rolle geschlüpft, die bisher Kirchentellinsfurt notgedrungen spielt. Aus dem Plan wurde aber nichts.

Das Volk hat das Wort

Einen weiteren Misserfolg musste Bernhard Knauss vor vier Jahren verbuchen. Damals unternahm die Kommune einen erneuten Vorstoß, den See zu einem lokalen Wirtschaftsfaktor zu entwickeln. Sie lotete die Möglichkeiten für die Ansiedlung eines Hotels oder eines Restaurants aus. Eine Machbarkeitsstudie kam allerdings zum Ergebnis, dass sich ein solcher Betrieb nicht rechnen würde.

Drei Modelle werden diskutiert. Neben einer Umwandlung in ein Naturschutzgebiet gilt ein begrenzter Ausbau der Infrastruktur als gegenteilige Option. Bessere Einstiegshilfen für Schwimmer, Sitzmöglichkeiten auf der Wiese, neue Toiletten und ein Kiosk stehen auf der Ideenliste. Möglichkeit drei: Der Parkplatz wird gesperrt, so dass der See für Auswärtige nur noch schwer erreichbar ist.

Wenn es nach den Surfern ginge, würde einfach alles so bleiben, wie es ist. Für sie, die Schwimmer und die Segler wäre es ein herber Schlag, sollte der öffentliche Sportbetrieb auf dem Kirchentellinsfurter See de facto unterbunden werden. Für die Surfer aus dem Raum Tübingen/Reutlingen und aus der Region Stuttgart gibt es kaum Alternativen. Würden sie von hier verbannt, müssten sie bis in die Nähe von Karlsruhe oder ins Allgäu fahren – zu weit, um nach Feierabend noch schnell das Brett auf das Autodach zu schnallen. Ingolf Hohensee und seine Sportsfreunde glauben, dass ohnehin viele Argumente, die für die geplanten Beschränkungen angeführt werden, vorgeschoben sind. Sie sind überzeugt, dass der wahre Grund ein anderer ist.

Treffpunkt der Schwulenszene

Tatsächlich dient der Baggersee seit vielen Jahren der Homosexuellenszene als ein überregionaler Treffpunkt. In einem einschlägigen Internetforum heißt es: „Im Sommer am hinteren kleinen See schwules FKK-Baden! Der vordere See ist gemischt. Bei Einbruch der Dunkelheit Cruising-Area auf dem Parkplatz. Achtung: In den Frühjahrsmonaten ist der Hauptparkplatz wegen Krötenwanderung gesperrt, das Cruising verlagert sich dann auf den vorderen kleinen Parkplatz. Auch der nahe gelegene Wald ist dann interessant.“

Er habe nichts gegen Homosexuelle, versichert Bürgermeister Bernhard Knauss. Wenn ihm jedoch berichtet werde, dass Familien mit Kindern bei ihrer Sonntagstour auf dem Neckartalradweg am See gleichgeschlechtliche wie heterosexuelle Paare beim Sex antreffen, dann sei für ihn eine Grenze überschritten.

Es ist Abend, das Licht wird fahler, und allmählich leert sich der See. Einen ungeübten Surfer treibt der Wind ans andere Ufer. Fern vom Ausgangspunkt watet er an Land und trägt nacheinander Brett und Segel zurück. Auf seinen Wegen begegnen ihm Männer, die Blickkontakt suchen. Einige Meter weiter werfen Angler ihre Ruten aus. Um Surfer, Badende und Liebeshungrige scheren sie sich nicht, solange niemand die Fische vertreibt.

Selbstversorger hinterlassen Müll

Als Pächter des Sees bilden die Anglervereine von Kirchentellinsfurt, Tübingen und Reutlingen eine weitere Nutzergruppe des Gewässers, das im Lauf der letzten 90 Jahre seine heutige Gestalt angenommen hat. 1929 begann der Unternehmer Christian Walker an dieser Stelle mit der Kiesbaggerei. Kurz darauf übernahmen Karl und Ernst Epple den Abbau. Bereits in den 1930er Jahren war ein kleiner See entstanden, der Badegäste anlockte. In den 60er und 70er Jahren entwickelte er sich zu einem beliebten Ausflugsziel. Der Kiesabbau wurde 1984 eingestellt. Zwar gehören das Gewässer und ein erheblicher Teil der Uferflächen noch der Firma Epple. Doch weil der See nun einmal auf Kirchentellinsfurter Markung liegt, bekommt vor allem die Gemeinde die Folgen des bunten Treibens zu spüren. Mit steigenden Besucherzahlen wurde Kirchentellinsfurt geradezu dazu genötigt, für ein Mindestmaß an Infrastruktur rund um den See zu sorgen.

Das Vorhandene ist wenig einladend: Ein mit Graffiti besprühter Betoncontainer der DLRG, ein unansehnlicher Toilettenwagen mit der deplatzierten Aufschrift „Marcus, ich liebe dich“, dahinter eine vom Holunder fast zugewucherte Notrufsäule. Dazu eine gemauerte Grillstelle und mehrere Plätze, an denen Kohlereste vom wilden Grillen zeugen. Bereits vor fünf Jahrzehnten hatten Privatleute das Freizeitpotenzial des Kirchentellinsfurter Baggersees erkannt. Es gab einen Kiosk mit Getränken und kleinen Imbissen. Auch ein Eisverkäufer, der sich „Hubi“ nannte, schaute regelmäßig vorbei.

Kiosk und „Hubi“ sind Vergangenheit. Heute kommen an Sommertagen bis zu 5000 Selbstversorger an den See. Nicht jeder nimmt seinen Müll wieder mit, entsprechend unappetitlich sieht’s nach einem Juliwochenende am Ufer aus. In der Gemeinde überlegt man sich schon lange, das Gelände zu umzäunen und Eintritt zu verlangen. In einem Strandbad müsste jedoch mehr geboten werden.

Ausgezeichnete Wasserqualität

Zurzeit gibt es am See weder Strom noch fließend Wasser. Kirchentellinsfurt scheute die Investition bisher nicht allein aus Geldmangel: „Je mehr Infrastruktur wir dort anbieten, desto größer wird die Verkehrssicherungspflicht“, warnt Bernhard Knauss vor den Folgen. Seit Langem fordert der Bürgermeister die Kommunen im Einzugsgebiet, den Landkreis Tübingen und das Land Baden-Württemberg auf, sich an Kosten zu beteiligen. Bisher ist Kirchentellinsfurt mit seinem Anliegen aber überall abgeblitzt. Das Stuttgarter Rathaus etwa will kein Geld in einen fremden See stecken. „Wir sehen keinen Anlass, aktiv zu werden“, erklärt Sven Matis, Sprecher der Landeshauptstadt.

Nicht nur finanzielle Gründe sprechen gegen ein Strandbad in Kirchentellinsfurt. Laut einem gewässerökologischen Gutachten aus den 90er Jahren besteht die Gefahr, dass der nur fünf Meter tiefe See durch Verschlammung über kurz oder lang eutrophiert, also umkippt. Bisher haben die Behörden nichts dergleichen festgestellt; das Tübinger Landratsamt bescheinigte dem See zuletzt sogar eine „ausgezeichnete Wasserqualität“. Die Anzahl der Blaualgen bewege sich im grünen Bereich.

Solche guten Nachrichten sorgen mit dafür, dass der Strom der Erholungsuchenden aus dem Umland nicht abreißt – mit allen damit verbundenden Problemen für die Gemeinde. Für kurze Zeit hatte es einmal so ausgesehen, als würde Bürgermeister Knauss seinen Sorgensee los: Die Firma Epple hatte beim Land Baden-Württemberg einen Antrag auf entschädigungspflichtige Enteignung gestellt. Damit wäre das Land in die Rolle geschlüpft, die bisher Kirchentellinsfurt notgedrungen spielt. Aus dem Plan wurde aber nichts.

Das Volk hat das Wort

Einen weiteren Misserfolg musste Bernhard Knauss vor vier Jahren verbuchen. Damals unternahm die Kommune einen erneuten Vorstoß, den See zu einem lokalen Wirtschaftsfaktor zu entwickeln. Sie lotete die Möglichkeiten für die Ansiedlung eines Hotels oder eines Restaurants aus. Eine Machbarkeitsstudie kam allerdings zum Ergebnis, dass sich ein solcher Betrieb nicht rechnen würde.

Bei Begriffen wie „Strandbad“ oder „Seerestaurant“ schrillen bei Michael Koltzenburg die Alarmglocken. „Für uns ist das Wichtigste, dass am See keine umfassende Infrastruktur entsteht. Auf keinen Fall darf ein Hotel gebaut werden. Das käme einem Dammbruch gleich“, sagt der Sprecher des Landesnaturschutzverbandes und referiert: Der Baggersee mit seiner reichhaltigen Tier- und Pflanzenwelt ist ein wichtiger Teil des Landschaftsschutzgebiets Mittleres Neckartal. In dem Stück Natur aus zweiter Hand sind Haubentaucher, Teichrohrsänger, Wasserfrösche, Hechte, Rotaugen, Libellen und Ringelnattern heimisch. Der Auwald dient als Rückzugsgebiet, Röhricht, und Flachwasserzonen sind als Brutplatz für die Aufzucht von Jungtieren von großer Bedeutung. Dennoch hält Koltzenburg von einem Badeverbot wenig „Die Leute würden trotzdem kommen“, sagt er. „Zu groß ist der Druck der Freizeitgesellschaft hier im Ballungsraum.“

Morgen Abend um halb acht will der Kirchentellinsfurter Gemeinderat in der Richard-Wolf-Halle von den Bürgern erfahren, was sie aus ihrem See machen wollen. Soll er gesperrt werden, um der Kommune Geld zu sparen? Oder soll ein neues Klohäuschen errichtet werden, weil ja auch die einheimischen Badegäste unter dem unhygienischen Status quo leiden? Auf solche Fragen wird es viele Antworten geben. Bis zum nächsten Frühjahr bleibt dem Gemeinderat dann Zeit, um aus dem Stimmungsbild die richtigen Schlüsse zu ziehen.