Die Kulturpolitik in Baden-Württemberg steht gut da. Aber die Künstler danken es Stefan Mappus nicht, sein robustes Profil weckt ihr Misstrauen.

Stuttgart - So hatte sich der Ministerpräsident den Abend nicht vorgestellt. Er war gekommen, um mit Gästen aus aller Welt den fünfzigsten Geburtstag des Stuttgarter Balletts zu feiern – und nicht, um sich bei dieser Gala, die vor Prominenz aus Kultur, Wirtschaft und Politik nur so knisterte, ausbuhen zu lassen. Aber genau das geschah im Februar beim Ballettjubiläum im Stuttgarter Opernhaus. Nach der Eröffnungsnummer wartete Stefan Mappus, im Halbdunkel hinter dem Rednerpult postiert, auf den Scheinwerfer, der ihn mit einem Schlag ins rechte Licht rücken sollte.

 

Doch was als effektvoller Auftritt gedacht war, endete im Debakel: Kaum war der Ministerpräsident zu sehen, wurde der aufsteigende höfliche Beifall von Pfiffen und Buhrufen übertönt, die unhöflich auf ihn niederprasselten. Dass er in seinem Grußwort das Ballett dann als den „besten Kulturbotschafter des Landes“ pries, konnte das Geschehene nicht vergessen machen. Ein nicht unerheblicher Teil der Festgäste hatte dem Regierungschef einen frostigen Empfang bereitet.

Damit war nicht zu rechnen gewesen. Mappus trat ja nicht vor ungewaschenen Parkschützern auf einer struppigen Montagsdemo auf. Nein, bei diesem Auftritt handelte es sich eigentlich um ein Heimspiel: eine freundliche Rede an unverdächtigem Ort vor unverdächtigem Publikum, das dem Ministerpräsidenten und seiner Partei, der CDU, grundsätzlich gewogen ist. Mehrheitlich saßen hier gut situierte Bürger aus der gepflegten Stuttgarter Halbhöhe, die durchaus wussten, dass sich die Strahlkraft des Theaters, das sie gerade feierten, dem finanziellen Engagement von Stadt und Land verdankt.

Angespanntes Verhältnis zwischen Kultur und Politik

Abgesehen davon, dass sich ihr Unmut womöglich auch an einem (vergleichsweise) kleinen Ballettproblem entzündet hatte, dem seit Jahren verschleppten Neubau der John-Cranko-Schule, konnte man an diesem Abend also auch den Eindruck gewinnen, dass die kunstsinnigen Landeskinder ihren Landesvater nicht sehr mögen. Das Verhältnis zwischen ihnen scheint seit geraumer Zeit so angespannt zu sein wie lange nicht mehr.

Diese Spannungen und Entfremdungen sind neu. Über drei Jahrzehnte hinweg, seit dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Hans Filbinger in den siebziger Jahren, herrschte zwischen den Sphären der Kultur und Politik doch ein erstaunliches Einvernehmen. Mit allen Filbinger-Nachfolgern konnten sich Kulturmacher und Kulturmanager im Land arrangieren, mit Späth, Teufel und Oettinger war ein gutes, bisweilen sogar prächtiges Auskommen möglich. Und als Mappus vor einem Jahr ins Amt kam, hat auch er nichts unternommen, um die großzügige Kunst- und Kulturförderung seiner Vorgänger zu unterbinden.

Vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst wurde dieser Erfolgskurs vielmehr bruchlos fortgesetzt, weshalb es eigentlich auch unter Mappus keinen Grund zur Klage gibt – und wenn doch, dann ist es zwischen Mannheim und Konstanz, Freiburg und Ulm noch immer ein Klagen auf höchstem Niveau: Verglichen mit anderen Bundesländern steht die Kultur in Baden-Württemberg gut da. Noch droht hier, anders als anderswo, kein Theater- und Orchestertod, noch ist der Kulturetat des Landes nicht gekürzt worden.

Im Gegenteil: er hat sich von 350 Millionen Euro im Jahr 2006 auf 371 Millionen im Jahr 2009 – aktuellere Zahlen, die belastbar wären, liegen nicht vor – erhöht. Gerade das Staatstheater, wo Mappus so geschmäht wurde, ist üppig wie selten zuvor in den Genuss öffentlicher Gelder gekommen. Die Errichtung eines Probenzentrums haben sich die Träger, Stadt und Land, 30 Millionen Euro kosten lassen, für die derzeit laufende Sanierung der Theatergebäude am Eckensee sind 52 Millionen eingeplant. Nur schwerlich lässt sich deshalb der Einschätzung des für Kunst zuständigen Staatssekretärs widersprechen: „Während andere gespart haben“, sagt Dietrich Birk, „haben wir den Kunsthaushalt nicht nur stabil gehalten, sondern in vielen Bereichen sogar gesteigert.“

Woher kommt der Unmut?

Warum also der Unmut gegen den Ministerpräsidenten? Fürchtet die Szene, dass er bisher nur die Ernte einer Politik eingefahren hat, die er im Falle seiner Wiederwahl nicht fortzusetzen gedenkt?

Ganz von der Hand zu weisen ist diese Angst nicht. Sie speist sich aus dem Gefühl, dass der Musicalfan Mappus mit dem liberalen und kunstsinnigen Milieu einer Großstadt, anders als sein Vorgänger Günther Oettinger, nicht viel anzufangen weiß. Mappus fühlt sich auf dem Land wohl, dort umwirbt er seine Anhänger, dort will er die Wahl gewinnen. Die Städte hat er, wie es scheint, abgeschrieben, was nun, vermuten einschlägige Beobachter, durchaus Folgen für seine künftige Kulturpolitik haben könnte. Weniger liberal, kunstsinnig und urban als bisher könnte sie ausfallen, ja, sie könnte überhaupt auch mit weniger Finanzmitteln ausgestattet sein, zumal die von ihm geförderten Milieus als Dankeschön ja nur Buhrufe und Pfiffe übrighaben. Als Grund für ihren Argwohn verweisen Kulturschaffende auch auf die fragwürdigen Erfahrungen, die sie mit dem Ministerpräsidenten in einem ganz anderen Bereich schon gemacht haben.

Nicht in der Kulturpolitik, sondern auf dem Feld der politischen Kultur: es ist das prekäre Demokratieverständnis des Ministerpräsidenten, das den in der Regel auch politisch sehr wachen und engagierten Kultur- und Staatsbürgern mehr als alles andere zu schaffen macht. Dass im Regierungsstil bei dem oft als unbeherrscht wahrgenommenen Ministerpräsidenten einiges im Argen liegt, finden ja selbst seine Parteifreunde. Unlängst wurde in dieser Zeitung eine CDU-Spitzenkraft mit dem Satz zitiert, Mappus erscheine ihm als robust genug, auch ein Land „irgendwo in Zentralasien“ zu regieren. Und wenn man nun einen prominenten Vertreter der Kultur- und Wissenschaftselite des Landes, den Tübinger Politologen Hans-Georg Wehling, um einen Kommentar zu dieser satirischen Feststellung bittet, lacht er nur kurz auf, bevor er sie dann sehr ernst relativiert. „Mappus ist ein robuster Typ“, sagt Wehling, ein ausgezeichneter Kenner der Verhältnisse in Baden-Württemberg, „aber wer in fernen und unheimlichen Weltgegenden regiert, braucht neben der Robustheit auch ein Gefühl für die Gefahren, die ihm von allen Seiten drohen. Und genau dieser Instinkt fehlt Mappus: Er zieht gerne aus der Hüfte.“

Mitleid mit Mappus

Wehling, viele Jahre Abteilungsleiter in der Landeszentrale für politische Bildung, listet die Vorgänge auf, bei denen Mappus keine gute Figur gemacht hat. Zu oft habe er auf Konfrontation, zu selten auf Diskurs und Ausgleich gesetzt. Da ist der überzogene Polizeieinsatz am 30. September in Stuttgart, für den Mappus freilich bis heute jegliche Verantwortung ablehnt. Da ist der am Parlament vorbei eingefädelte EnBW-Deal, die respektlose öffentliche Kritik am Stuttgarter Oberbürgermeister und der Treueschwur für Guttenberg auch dann noch, als an dessen Betrügereien keiner mehr zweifeln konnte. Und da ist, last not least, das massive Eintreten für längere Laufzeiten bei Atomkraftwerken – das war, gleich zu Beginn seiner Amtszeit, eine der ersten Taten des neuen Ministerpräsidenten überhaupt.

Dass es Mappus nach der Katastrophe in Japan schwerfällt, seinen energiepolitischen Salto glaubhaft zu vertreten, ist das eine. Das andere, für die politische Kultur weitaus wichtigere aber ist, dass der Landeschef, indem er sich als Atomlobbyist profilierte, schon damals „ohne Not die Tür zu den Grünen zugestoßen hat“, wie Wehling sagt. Ein schwerer taktischer Fehler, gerade in Baden-Württemberg: in diesem Land müssten sich Politiker alle Optionen offenhalten, denn zumindest im württembergischen Teil sei aus historischen Gründen schon immer auf der Grundlage von allseitigem Einverständnis regiert worden. Diese gewachsene, auf Harmonie und Konsens bedachte politische Kultur aber verkenne Mappus völlig: „Das Land verträgt keinen rabiaten Stil, auch nicht im Umgang mit dem politischen Gegner“, sagt Wehling, „dieses Land ist nicht kämpferisch.“

"Die Politik hat ihre monströse Fratze gezeigt"

Aber genau so, kämpferisch und konfrontativ, wirkt Mappus auf den Schriftsteller Joachim Zelter. Mit dem Roman „Der Ministerpräsident“ hat der in Tübingen lebende Autor eine glänzende Satire auf Politikbetrieb und Wahlkampf vorgelegt, gesättigt mit sprachlichen und körpersprachlichen Beobachtungen, die ihm auch jetzt dienlich zu sein scheinen. Mappus nimmt er schon physiognomisch als „bulligen und gepanzerten Menschen“ wahr, der als Politiker in der Tat auch bullig, gepanzert und autoritär handle. Und wie der Politikwissenschaftler Wehling kommt auch der Schriftsteller Zelter auf den gewaltsamen Konflikt am 30. September zu sprechen, als die Polizei mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray gegen Stuttgart-21-Gegner vorging. Auch für ihn ist der „schwarze Donnerstag“ ein einschneidendes Datum: „Im Stuttgarter Schlossgarten hat die Politik, die ich als Drahtzieher hinter diesem Einsatz vermute, ihre monströse Fratze gezeigt. Um im Namen einer ökonomischen Vernunft ein technologisches Großprojekt durchzupeitschen, griff sie zu brachialer Gewalt.“

Die „ökonomische Vernunft“ aber kommt Zelter – er hat neben Anglistik auch Politik studiert – sehr suspekt vor. In den Werbebotschaften der CDU entdeckt er denn auch ausschließlich materialistische Forderungen. Immerfort sei hier die Rede von Wirtschaftskompetenz und Wachstum, von Standortsicherheit und Fachkräftemangel. Selbst Bildung, eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf, werde nur als „Investition in die Zukunft“ begriffen und nicht, wie es sich der Romancier wünschen würde, als Selbstzweck im humanistischen Sinn. Dass Kultur bei der Landtagswahl gleich gar keine Rolle spielt, wundert ihn deshalb nicht: „Wenn eine Partei sich knallhart materialistisch definiert, überrollt die mantrahaft zitierte ökonomische Vernunft alles.“ Eben deshalb habe sie selbst dann Vorrang, wenn es eigentlich um Fragen der demokratischen Teilhabe und fairen Konfliktlösung gehen müsste. „Auf der Mappus-Skala rangiert politische Kultur ganz unten“, stellt der Autor fest.

Obwohl er die Politik und den Politikstil des Ministerpräsidenten nicht gutheißt, empfindet Joachim Zelter dann doch auch Mitleid mit ihm. Die CDU regiere in Baden-Württemberg seit mehr als einem halben Jahrhundert, sie habe sich einen „monarchischen Status“ im Land erarbeitet. Und für denjenigen, der diesen Status nun erhalten müsse, seien 57 Jahre CDU-Herrschaft eine enorme Verpflichtung. „Auf Mappus lastet in diesen Tagen ein enormer Druck“, vermutet der Schriftsteller, „er ist nicht zu beneiden. Wie in meinen Roman verfolge ich, wenn es um den Menschen hinter dem Amtsträger geht, auch im richtigen Leben einen empathischen Ansatz.“ Zumindest in diesem Punkt unterscheidet sich der Tübinger Autor vom Stuttgarter Theaterpublikum. Mitte Februar war im Opernhaus nur wenig Empathie für einen Mann zu spüren, dem Teile der Kunst-und Kulturszene offensichtlich nicht über den Weg trauen. In der Kulturpolitik hat Stefan Mappus bisher keinen Schaden angerichtet, in der politischen Kultur des Landes aber offensichtlich schon.

Zahlen und Fakten zu Kunst und Kultur

Haushalt

Das Land Baden-Württemberg hat 2009 – die aktuellsten Zahlen stammen aus diesem Jahr – Kunst und Kultur mit rund 370 Millionen Euro gefördert. Im Gesamthaushalt des Landes ist dieser Betrag verschwindend gering, er macht gerade 1 Prozent aus. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl gibt das Land pro Kopf rund 35 Euro aus. Das ist wiederum für ein Flächenland wie Baden-Württemberg eine sehr respektable Summe.

Soziokultur

Neben den kulturellen Leuchttürmen im Land – den Staatstheatern und Landesmuseen in Stuttgart und Karlsruhe, der Staatsgalerie in Stuttgart, der Filmakademie in Ludwigsburg, dem ZKM in Karlsruhe et cetera – hat sich das von Peter Frankenberg geführte Ministerium für Wissenschaft und Kunst verstärkt der Förderung soziokultureller Zentren gewidmet. Seit 2006 stieg sie um 15 Prozent auf rund 1,9 Millionen Euro im Jahr.

Zukunft

Eines der zentralen Projekte des Ministeriums in den vergangenen Jahren war die Erarbeitung einer neuen Kunstkonzeption des Landes. Erstellt wurde sie auf der Grundlage von Empfehlungen, die ein von Günther Oettinger einberufener Kunstbeirat abgab. Die Konzeption trägt den Titel „Kultur 2020“ und enthält zweierlei: ein Blick auf die aktuelle Kulturlandschaft im Land und, daraus abgeleitet, Perspektiven für die Zukunft.