Das Ulmer Museum arbeitet in einer Ausstellung die Aufregung um eine 2020 aus dem Münster entfernte Weihnachtskrippe auf. Das Ergebnis wirkt teilweise angestrengt.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Die Anfeindungen zur Adventszeit 2020 haben ihn „eiskalt erwischt“, erinnert sich Ernst-Wilhelm Gohl, Dekan der evangelischen Gemeinde Ulm und damit zuständig fürs Münster. Die Stadt hatte im September 2020 nach langer aufgeregter Debatte beschlossen, die innerstädtische „Mohrengasse“ mit einer erklärenden Ergänzungstafel zu versehen. Da nahm der Kirchengemeinderat vorsorglich die von einer Ulmer Familie gespendete Krippe des Künstlers Martin Scheible aus dem Kircheninnern. Sie zeigt unter anderem einen 1924 geschnitzten schwarzen König, barfuß, mit platter Nase, wulstigen Lippen und einer Brezel als Gabe in der Hand. Ein teilweise wütendes Kommentargewitter in Zeitungen und sozialen Medien ging auf Ulm nieder. „Mich hat am meisten erschrocken, dass man überhaupt keine Sachargumente mehr anbringen konnte“, sagt Gohl.

 

In diesem ruinösen Ende wollte die Ulmer Kulturszene nicht verharren. Stefanie Dathe, Direktorin des Museums Ulm, schickte sich an, die Dinge in einer Ausstellung zu ordnen und zu interpretieren. Ihr Ansatz ist unmissverständlich: Die Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus hat die Beschäftigung mit der deutschen Kolonialgeschichte – man könnte auch sagen der Kolonialverbrechen – nie aufkommen lassen. Der Krippenstreit zeigte, wie wenig Sensus für die Gefühle und Belange schwarzer Menschen in Deutschland bis heute da ist.

Hat Künstler Scheible sich nicht viel gedacht?

Die umstrittene Krippe ist selbstverständlich Mittelpunkt der Ausstellung, die den Titel „Wir müssen reden!“ trägt. Aber dann verbrauchen die Macher auch viel Energie, diesen Martin Scheible, der eine auf Ulm begrenzte Künstlergröße war und nach seinem Tod 1954 in vollständige Vergessenheit geriet, genau zu beleuchten – und damit freizusprechen. Ja, sagt die Ausstellung, der schwarze König ist eindeutig rassistisch konnotiert, aber Scheible, der Afrika nie bereiste und nur Kind seiner Zeit war, kein Rassist.

Das kann unmöglich die Kernbotschaft der Schau sein, die sich ja auch als Reaktion auf bundesweite Schlagzeilen versteht. Ist sie auch nicht. „Eine Differenzierung des Afrikabildes, eine Bewusstmachung von rassifizierenden Klischees und eine Dekonstruktion kolonialer Wissensbestände scheint dringend geboten“, hält Kuratorin Dathe in einem Begleittext fest. Aber: Wie schwer das ist, ohne sich im Unbestimmten zu verlieren, zeigt gerade auch diese Ausstellung.