Einst waren die Foyers vom Opern- und Schauspielhaus zum Repräsentieren da. Heute will und muss das Theater hier mit den Zuschauern ins Gespräch kommen. Der Austausch zwischen Künstlern und Publikum ist lebendiger als früher.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Wozu gibt es eigentlich Foyers? Warum fällt man normalerweise durch die Haustür nicht gleich in die gute Stube? Warum gibt es da so einen merkwürdigen Übergangsraum, in dem man erst mal Hände schütteln, nach dem allgemeinen Befinden fragen und die Mäntel aufhängen kann? Warum gönnen sich Unternehmen oder Hotels hinter ihren Drehtüren, wenn sie’s denn können, erst einmal viel Luft nach allen Seiten und nach oben, verteilen großzügig Lampen und bequeme Sessel, setzen (möglichst) freundlich lächelndes und hilfsbereites Personal hinter repräsentative Tresen?

 

Flure und Foyers sind die Willkommenszonen. Wer sich in den jeweiligen Einrichtungen schon auskennt, kann hier den Kundigen, den Eingeweihten, den Weltläufigen geben, kann im Zweifel auch einfach erst im letzten Moment kommen und sie schnell zum eigentlichen Ziel durcheilen. Wer aber noch neu oder unsicher ist, mag sich hier erst einmal umsehen, kann neugierig die Fühler ausstrecken, Möglichkeiten wahrnehmen und abwägen, nach Ratgebern suchen, dann womöglich eine Entscheidung treffen und seinen Weg machen. Und wer überhaupt noch gar nicht weiß, um was es an diesem Ort eigentlich geht, kann zumindest mal von außen neugierig durch die Glasscheibe linsen. Denn im Foyer ist vieles noch offen.

All diese möglichen Funktionen von Foyers gelten natürlich auch für Kulturstätten, für Theater und Museen, Konzertsäle und Bibliotheken. Und deswegen kann man die Veränderungen der Kulturarbeit in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren hier besonders gut erkennen – wohlgemerkt: den Wandel nicht in der Substanz, wohl aber in der Präsentation. Denn das Wesen der Künste hat sich auch in dieser Frist nicht groß verändert. Es wird weiterhin Theater gespielt, es werden Ausstellungen geboten, es wird konzertiert und gelesen. Aber bei der Frage, wie sich all dies dem Publikum darbietet, hat sich vieles getan. Und der Ort, wo sich dieser Wandel sehr augenfällig niederschlägt, sind just die Foyers.

Den Verlust an Exklusivität kann bedauern, wer will

Früher waren Kulturfoyers Schutzwälle, Schutzzonen, um das Kunstgeschehen in irgendeinem noch weiter innen gelegenen Kern vom sonstigen, alltäglichen Treiben der Stadt abzusondern. Es sollten exklusive Orte sein – im doppelten Sinn: abgesondert von den Straßengeschäften draußen, abgehoben auch durch besondere Sprach- und Umgangsformen. Diese Haltung können sich heute keine Kulturstätten mehr leisten; Bayreuth und Salzburg lassen wir als Sondergut mal außen vor. Die Verantwortlichen heute sehen ihre Foyers dagegen als Zwischen- und Übergangszonen. Hier soll Diffusion stattfinden, aus der Stadt nach innen und aus der Kultur in die Stadt. Den damit zweifellos verbundenen Verlust an Exklusivität mag man bedauern. Aber hatte sie denn überhaupt jemals Substanz?

Man kann natürlich behaupten, wie es Hannelore Schlaffer am Freitag in einem in sich schlüssig zugespitzten StZ-Beitrag getan hat, dass die Foyers unserer Theater ursprünglich dazu dienten, dem Publikum vor der Vorstellung und in der Pause freien Raum zum Flanieren und Kommunizieren zu bieten. Dass aber diese Kommunikation, wie weiter behauptet, einer autonomen Debatte über Kunst gedient hätte, dass die Foyers also der Ort waren, wo „die Stadt“ über das Theater und das dort Erlebte verhandelte, muss man allerdings stark bezweifeln. In erster Linie waren solche Wandelfoyers an Orten der Hochkultur Repräsentationsorte, an denen sich die Besucher des Abends gegenseitig ihre Zughörigkeit zu einem kulturell gebildeten, mußefähigen Bürgertum demonstrierten. Man kam ins Theater, weil es sich gehörte, ins Theater zu kommen, und man registrierte, wer das ebenso sah (und wer mal wieder nicht). Und wenn das, was hernach auf der Bühne geboten wurde, nicht gefiel, konnte man sich in der Pause erzählen, just dieses Werk aber jüngst in B. oder M. oder vor zehn Jahren in H. oder K. besser gesehen zu haben.

Die für all diese Verhaltensweisen notwendige Sicherheit im Umgang mit Theater, mit Stücken, mit Traditionen, dazu die Demonstrationslust städtischer Schichten im Umgang mit Kultur gibt es aber nicht mehr, oder zumindest nicht mehr in einem für die Aufrechterhaltung des Betriebs ausreichendem Maße. (Ob es sie vor dreißig oder vierzig Jahren außer bei einer Gruppe von Wortführern tatsächlich gegeben hat, sei mal dahin gestellt.) Deswegen ist es nur konsequent, dass auch die Theater ihre Foyers nun als eine Zone betrachten, die den Bewohnern der Stadt zunächst einmal Zugang verschaffen soll. Fraglos ist es ärgerlich, wenn dies mit ungeeignetem Mobiliar geschieht. Die Frage ist aber sehr wohl, ob dies allein schon etwas aussagt über den Wert der Interessen jener Menschen, die dieses Mobiliar in Anspruch nehmen.

Es wird heute mehr über das Theater geredet als früher

Am Beispiel der Einführungen kann man dies gut betrachten. Die Stuttgarter Staatstheater haben die Stück- und Konzerteinführung inzwischen zur Regel gemacht. Im Opern- und im Schauspielhaus reichen die Stühle dafür häufig nicht aus, weil es so viele Besucher gibt, die bereits eine Stunde vor der Vorstellung kommen, um sich auf den Abend vorbereiten zu lassen. Ist das nun eine Bevormundung der Zuschauer durch die Theaterleitung? Oder ist es nicht auch eine Geste des Theaters, das den Zuschauer als erwünschten Gesprächspartner überhaupt erst in den Blick nimmt? Warum sollte ein solches Gespräch die Kommunikation unter den Theaterbesuchern verhindern? Warum sollte die Information, was in dem Stück des Abends geschieht und welche Fragen den Regisseur beschäftigt haben, die kritiklose Zufriedenheit der Zuschauer mit seiner auf der Bühne gegebenen Antwort präjudizieren?

Lebhaftigkeit in der städtischen Kultur

Nein, die „städtische Kommunikation“ über Kunst und Kultur, über Theater ist keineswegs schlechter oder ärmer geworden. Ganz im Gegenteil, der Austausch zwischen Künstlern und Publikum ist heute ungleich breiter und lebendiger als noch vor drei oder vier Jahrzehnten. Sie ist weniger kanalisiert und sie ist weniger monopolisiert. Dafür wird auch viel weniger monologisiert, weder von den Theater-, noch von den einstigen Wortführern der Interpretation. Die Distanz ist allenthalben deutlich geschrumpft, nicht nur im Fits und in der Rampe, sondern auch im Kunst- und im Landesmuseum, im Opern- und im Schauspielhaus.

Und wenn’s denn sein soll, dann darf sogar Edgar Selge mal splitterfasernackt als Dorfrichter Adam durchs Foyer hüpfen (im „Zerbrochnen Krug“ des Schauspiels geschieht dies anfangs), oder der Popmusiker Schorsch Kamerun zieht mit seinem Posaunenchor vorbei. Theater kommt heute auch in seinen Foyers der Stadt entgegen. Das garantiert noch keine Kunst. Aber wo würde es ihr per se schaden? Es ist deutlich lebhafter in unserer städtischen Kultur geworden. Nein, kein Verlust. Gewinn. Weiter so. Wenn es irgendwie geht, natürlich auch auf passenden Stühlen.