Die Chancen und Risiken der synthetischen Biologie sind für die Gesellschaft eine große Herausforderung. Es gibt viele Ängste und ethische Bedenken. Theologen, Sozialwissenschaftler, Umweltschützer, Mediziner und Ingenieure müssen eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen.

Stuttgart - Petra Schwille ist begeistert: „Die Natur ist eine der größten Problemlösungsmaschinen, die wir kennen“, sagte die Biophysikerin auf dem Stuttgarter Kirchentag. Schließlich gebe es fast kein Problem, das in der Natur nicht irgendein Organismus gelöst habe – außer das Sterben. Die Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München ist allerdings am Gegenteil interessiert: Sie will herausfinden, wie aus toter Materie Lebendiges entsteht. Dazu erforscht sie biophysikalische Vorgänge in der Zelle. Man kann aber auch sagen, sie arbeitet auf dem Feld der sogenannten synthetischen Biologie. Da sind dann Ängste und ethische Bedenken nicht weit. Genauso wie bei dem Vorhaben, Zellen im Labor zu „bauen“ und dabei – in letzter Konsequenz – neue Lebewesen zu schaffen.

 

„Wir schaffen das“ lautete das so treffend wie zweideutig formulierte Motto der Veranstaltung „Leben aus den Labors der synthetischen Biologie“ in der gut besuchten Porsche-Arena. Auf diesem Gebiet sorgte 2010 der US-Wissenschaftler Craig Venter für eine Sensation, die viele beunruhigte: Er baute im Labor das Erbgut eines Bakteriums zusammen und übertrug es in ein leeres Bakterium. Ob das nun, wie Venter verkündete, eine künstliche lebende Zelle ist, darüber lässt sich streiten.

Klar ist aber, dass sich mit gentechnischen Methoden heute beliebige Sequenzen der Erbsubstanz DNA in andere Organismen einbauen lassen. Dabei hat die synthetische Biologie das Ziel, ganze Wirkungskaskaden und damit Stoffwechselwege in andere Lebewesen zu „verpflanzen“, also in Bakterien oder gar Pflanzen einzubauen. Mit solch maßgeschneiderten Lebewesen kann man Geld verdienen, etwa wenn sie Biotreibstoff herstellen oder Chemikalien produzieren. Auch die Medizin wird von den Entwicklungen der synthetischen Biologie profitieren: mit neuen Impfstoffen, Medikamenten und Diagnoseverfahren.

Synthetische Biologie als ethische und religiöse Herausforderung

Noch ist die synthetische Biologie vor allem Grundlagenforschung. Bis zu einer breiten Anwendung ist es ein weiter Weg – wenn er denn am Ende überhaupt vom Erfolg gekrönt ist, wie Petra Schwille zu bedenken gab. Aber die neue Wissenschaftsdisziplin hat das Potenzial, lebende Systeme mit ganz besonderen Kombinationen von Eigenschaften herzustellen, die es so in der Natur bisher nicht gibt. Damit ist aber klar, dass die vielfältigen Möglichkeiten der synthetischen Biologie immer mehr zu einer ethischen wie religiösen Herausforderung werden. Mehrfach wurde deshalb auf der Veranstaltung deutlich, dass sich auch Theologen, Ethiker, Philosophen und Sozialwissenschaftler mit diesem Thema befassen und – zusammen mit Umweltschützern, Naturwissenschaftlern, Medizinern und Ingenieuren – eine gesellschaftliche Diskussion führen müssen.

Es ist ein Verdienst des Stuttgarter Kirchentages, mit der bundesweit bisher mutmaßlich größten Veranstaltung zu diesem Thema die Chancen, Risiken und möglichen Grenzen dieses Forschungsgebiets ausgelotet zu haben. Und das zu einem so frühen Zeitpunkt, dass Wissenschaft und Gesellschaft im gemeinsamen Gespräch nach Lösungen für mögliche Fragen, Probleme und Risiken suchen können, wie die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer betonte.