Debatte um Abschiebungen Hunderttausende müssen in Syrien wieder fliehen

Gefechte zwischen Beduinen, Drusen und Regierungssoldaten in Sweida zwangen viele zur Flucht. Foto: imago/NurPhoto

Während Deutschland über die Abschiebung von Syrern diskutiert, leiden die Menschen in dem kriegszerstörten Land unter der immer wieder aufflackernder Gewalt.

In den vergangenen zwölf Monaten wurden nach UN-Angaben fast eine Million Syrer aus ihren Städten und Dörfern vertrieben. Allein die Unruhen in der Provinz Suwaida im Sommer zwangen mehr als 180 000 Menschen zur Flucht. Sieben von zehn Syrern brauchen humanitäre Hilfe, neun Millionen Menschen wissen nicht, wo sie die nächste Mahlzeit hernehmen sollen.

 

Ende November 2024 hatte die islamistische Miliz HTS des heutigen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa ihre Offensive gegen die Armee des damaligen Machthabers Baschar al-Assad begonnen, die am 8. Dezember mit dem Kollaps des Assad-Regimes und der Flucht des Diktators nach Russland endete. Seitdem hat Syrien einen politischen Neuanfang, aber auch mehrere Massaker mit tausenden Toten erlebt. Das kriegszerstörte Land bleibe trotz der grundlegenden politischen Veränderungen „eine der größten humanitären Notfälle auf der Welt“, sagte der UN-Nothilfe-Koordinator Tom Fletcher vor kurzem.

Rückkehr und neue Vertreibung

Der lange Bürgerkrieg von 2011 bis zum vorigen Jahr machte etwa zwölf Millionen Syrer zu Flüchtlingen innerhalb oder außerhalb des Landes. Inzwischen keimt in Syrien die Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf – doch das Land leidet auch unter immer wieder aufflackernder Gewalt. Deshalb gibt es gleichzeitig eine Rückkehr-Bewegung und neue Vertreibungen.

Rund 1,2 Millionen der fünf Millionen Syrer, die vor Assad ins Ausland flohen, sind seit Dezember zurückgekehrt, wie Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zeigen. Aus der Türkei kehrten 550 000 Syrer heim, aus dem Libanon kamen 320 000 zurück. In Syrien konnten 1,9 Millionen der insgesamt sieben Millionen Binnenvertriebenen in ihre Heimatregionen zurückkehren. Diese Zahlen lassen in Deutschland und anderen Ländern die Forderung nach Abschiebungen von Syrern lauter werden. „Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland, und deswegen können wir auch mit Rückführungen beginnen“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz.

Doch die Rückkehr-Bewegung ist nur eine Seite der Medaille. Zwischen dem 27. November vergangenen – dem Beginn der HTS-Offensive – und Ende Oktober dieses Jahres sind in Syrien laut UNHCR mehr als 894 000 Menschen vertrieben worden. Im März töteten sunnitisch-extremistische Milizionäre in der Küstenprovinz Latakia und anderen Regionen bei Massakern an der religiösen Minderheit der Alawiten nach UN-Angaben mehr als 1400 Menschen. Damals flohen fast 40 000 Menschen in den Libanon.

Hinrichtungen und Folterungen

Gefechte zwischen Beduinen, Drusen und Regierungssoldaten in Suwaida im Juli kosteten mehr als 1300 Menschen das Leben. Laut der UNO mussten 184 000 Menschen fliehen. Kämpfe zwischen Türkei-treuen Milizen und kurdischen Kämpfern im Norden Syriens trieben im Januar rund 100 000 Menschen in die Flucht. Die israelische Armee vertrieb syrische Dorfbewohner, als sie nach Assads Sturz einen Landstrich auf der syrischen Seite der Grenze besetzte.

Die Gewalt geht weiter. Paulo Pinheiro, Leiter der UN-Untersuchungskommission in Syrien, berichtete vorige Woche, seine Mitarbeiter erhielten „weiterhin Berichte über außergerichtliche Hinrichtungen, Folterungen, Misshandlungen und Zwangsvertreibungen von Alawiten in Damaskus und westlichen Provinzen“. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Dienstag, in der Provinz Homs seien zwei Alawiten ermordet worden.

Auch Streitigkeiten um Häuser und Wohnungen machen einige Syrer erneut obdachlos. Viele leer stehende Häuser dienten bisher Binnenflüchtlingen als Notunterkunft – nun kehren die vertriebenen Besitzer zurück. In anderen Fällen kehren Regimegegner aus dem Exil zurück und finden Fremde in ihrem Haus vor, die von Assads Regierung dort angesiedelt wurden. Häufig scheitert die Rückkehr nach Hause daran, dass es kein Zuhause mehr gibt.

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