Die Hemminger sind verärgert, weil ihre Gemeinde als möglicher Standort einer neuen Erddeponie näher betrachtet werden soll. Sie lehnen das Projekt ab.

Die Hemminger Gemeinschaftshalle ist schon lange vor Beginn der Informationsveranstaltung zu der möglichen Erddeponie auf der Gemarkung so voll, dass die Feuerwehr die Schließung der Halle erwägt. Wenig später sind die Türen dann tatsächlich zu, mehr als 400 Besucher vor allem aus Hemmingen, Eberdingen, Ditzingen und auch Großbottwar dürfen nicht rein. Die Verwaltung verweist auf den Livestream im Internet, um den Äußerungen der Abfallverwertungsgesellschaft, des Landkreises, des Gutachters sowie des Vertreters aus dem baden-württembergischen Umweltministerium zu folgen.

 

In der Halle ist die Stimmung angespannt bis aggressiv, die Äußerungen in Richtung Podium sind teils beleidigend. Daran ändert sich auch in den folgenden gut zweieinhalb Stunden nichts: Buhrufe einerseits – für die AVL und den Gutachter sowie Beifall andererseits – für den Hemminger Bürgermeister Thomas Schäfer und Vertreter der örtlichen Landwirtschaft. Für letztere spricht auch Walter Bauer. Er erinnert an die UN, die im Oktober ein gemeinsames Handeln für eine weltweit ausreichende Nahrungsmittelversorgung anmahnte. In dieser Situation besten Ackerboden „für immer zu zerstören, ist für mich Dekadenz in höchstem Grade“.

Bürgermeister Schäfer regt, an das Land gerichtet, eine Überprüfung der Umweltzone an – „gottgegeben ist sie nicht“. Die Zone schließt weite Teile auf der Gemarkung als mögliche Standortfläche aus. Schäfer ist am Ende sichtlich verärgert darüber, dass etliche Fragen auch nach der Veranstaltung unbeantwortet sind, etwa die zur Verkehrs- und Lärmbelastung.   

Was hat die AVL vorgelegt? Für die Abfallverwertungsgesellschaft des Landkreises Ludwigsburg (AVL) war unter anderem Tilman Hepperle gekommen. Der AVL-Geschäftsführer verweist auf die beiden bestehenden Erdmülldeponien im Landkreis, unter anderem der „Froschgraben“ in Schwieberdingen, die am Ende der Laufzeit in rund zehn Jahren keine Kapazitäten mehr hat und verfüllt werden soll. Für sie wird Ersatz gesucht, um weiterhin unbelasteten und schwach belasteten Erdaushub, Baureste, mineralische Gewerbe- und Industrieabfälle sowie etwa asbesthaltige Abfälle zu deponieren. 60 Prozent der bisherigen Abfälle stammten aus dem Kreis Ludwigsburg, knapp 40 Prozent aus der Region Stuttgart und ein Prozent aus dem Land. Ob dies so bleibt, sei eine politische Entscheidung von Kreis und Region, sagt Hepperle.

Die AVL verweist auch darauf, dass „keine Abfälle aus anderen Ländern“ deponiert würden. Vor einigen Jahren war ans Licht gekommen, dass dort auch asbesthaltige Abfälle aus Italien abgelagert worden waren. Das daraus resultierende Misstrauen bekommen die AVL-Vertreter in Hemmingen zu spüren, etliche Zuhörer reagieren lautstark skeptisch.

Warum Hemmingen und Großbottwar? Hemmingen und Großbottwar sind aus zuletzt kreisweit zehn Standorten priorisiert worden. Basis für die Priorisierung ist ein Gutachten des Stuttgarter Büros Smoltcyk und Partner, das laut AVL bereits seit mehr als zehn Jahren für sie tätig ist.

Gutachter Winfried Kaiser betonte, dass die Kriterien nicht das Büro allein, sondern mit Landkreis, Region und AVL erstellt würden. Aus ursprünglich 121 Flächen mit einer Mindestgröße von zehn Hektar seien zehn Flächen in die Endauswahl gekommen und davon wiederum wurden Hemmingen und Großbottwar priorisiert. Kriterium sei zwar auch die Güte landwirtschaftlicher Böden gewesen, aber auch die Verkehrssituation: Es gebe Orte, die keine Ortsdurchfahrt hätten, also keine Landes- oder Kreisstraße innerhalb des Orts. Dagegen lägen jene, „die nur eine Ortsdurchfahrt haben, relativ weit vorne“. Steinbrüche aufzufüllen sei wegen des Grundwasserschutzes gesetzlich nicht erlaubt.

Die Begründung der Kriteriengewichtung bleibt Kaiser an diesem Abend trotz mehrfachen Nachfragens aus dem Publikum schuldig. Lärm- und vertiefende Verkehrsuntersuchungen gebe es zum jetzigen Zeitpunkt auch noch gar nicht. Das Gutachten soll in den nächsten Tagen auf der Internetseite der AVL zur Verfügung gestellt werden.

Mehrfach hinterfragen die Bürger zudem die Notwendigkeit, Bauschutt aus der gesamten Region auf der Deponie anzunehmen. Weniger Deponiegut aus der Region vergrößere die Kapazitäten für den kreisweiten Bauschutt, so ihr Argument. Hepperle verweist auf die Kooperationen in der Region. Das Restmüll-Heizkraftwerk etwa steht in Stuttgart-Münster.

13 Prozent der kreisweit täglich 1400 Tonnen Müll ist laut der AVL Restmüll, der dort verbrannt wird. Entschieden werde darüber auf Kreis- und Regionsebene, so Hepperle.

Wie steht es um die Kooperation? Wie es bisher praktiziert wurde, sei eine vernünftige Lösung, sagt etwa Jürgen Wurmthaler. Dieses Vorgehen „hat gehalten im guten Miteinander“, so der Leitende Direktor für Wirtschaft und Infrastruktur des Verbands Region Stuttgart. Nicht wenige Zuhörer der Hemminger Infoveranstaltung sehen das völlig anders. Unterstützung erhalten sie dabei inzwischen von Kommunal- und Kreispolitikern. Gegenüber der Region müsste klar gemacht werden, dass man nicht länger einseitig die Lasten der Bauaushub-Depo-nierung im Kreis Ludwigsburg schultern wolle, fordert Kreisrat Michael Klumpp (Grüne) einen neuen Suchlauf: „Es ist an der Zeit, dass in der Region eine weitere Deponie eingerichtet wird. Der Kreis Ludwigsburg hat nun lange genug die Verantwortung für die Region Stuttgart alleine übernommen.“ Ähnlich äußert sich auch die CDU-Gemeinderatsfraktion aus Ditzingen. Der Teilort der Großen Kreisstadt wäre vom Anlieferverkehr betroffen, hat aber wie Hemmingen keine Umfahrung.

Auf den Bedarf einer neuen Erddeponie hatte der Vertreter des Umweltministeriums verwiesen: die Notwendigkeit, „dass wir Stoffe auf die Deponie bringen müssen, nehme in der Tendenz eher zu als ab“.