Sportlich lief es gegen Spanien und die Schweiz wenig erfolgreich für die Nationalmannschaft, heftige Kritik kam aber wegen einer anderen Sache auf. Die umstrittene Flugreise von Stuttgart nach Basel ist das Reizthema zum Start in die EM-Saison.

Sport: Marco Seliger (sem)

Basel/Stuttgart - Per Mertesacker hatte vor seinem Engagement als Fernsehexperte des ZDF versprochen, klare Kante zu zeigen und meinungsstark zu sein. Nun setzte der Fußball-Weltmeister von 2014 sein erstes Zeichen. „Wären wir mal besser auf dem Boden geblieben“, sagte Mertesacker also süffisant am Rande des Nations-League-Spiels der Nationalelf gegen die Schweiz in Basel (1:1) – und sprach damit das aus, was sich viele Fans dachten und teilweise auch schrieben in den berühmten Weiten des Netzes.

 

Denn die DFB-Elf war ja nicht am Boden geblieben, sie hob ab. Vor dem Spiel in Basel ging es vom Quartier in Stuttgart-Degerloch aus nicht mit dem Mannschaftsbus in die Schweiz – die Luftlinie von knapp 180 Kilometern legte der Tross mit dem Flugzeug zurück.

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Ist also alles auch im übertragenen Sinne wieder irgendwie abgehoben beim DFB? Und ist diese Nationalelf mal wieder entrückt von allgemeingültigen Maßstäben, die in dem konkreten Fall besagen, dass man die durchgerechneten dreieinhalb Stunden mit dem Bus auf der Autobahn von Stuttgart nach Basel jedem einzelnen Profi am Tag vor dem Spiel hätte zumuten können – oder sogar sollen?

Oliver Bierhoff äußerte sich zur Thematik am Montag, nun ja, recht bodenständig. „Wir können die kritischen Stimmen nachvollziehen und nehmen die entstandene Diskussion zum Anlass, uns zu hinterfragen, wie wir künftig die wichtigen Aspekte Umwelt und Nachhaltigkeit stärker in unseren Planungen und Entscheidungen berücksichtigen können“ – so wurde der DFB-Direktor auf der Internetseite des Verbands zitiert.

Die Argumente der Kritiker liegen auf der Hand

Bierhoff betonte dort aber auch, dass aus Gründen der Hygienesicherheit und der besseren Regeneration das Flugzeug „die bessere Wahl gegenüber einer dreieinhalbstündigen Busfahrt oder der Fahrt mit der Bahn mit Umsteigen“ gewesen sei. Man habe, so Bierhoff weiter, angesichts des vollgepackten Terminplans in dieser Saison auch eine Verantwortung den Clubs gegenüber, „damit die Spieler gesund zurückkehren“.

Nun hätte sich aber wahrscheinlich kein Liga-Clubchef beschwert, wenn der DFB-Tross am Tag vor dem Spiel knapp drei Stunden lang mit dem Bus unterwegs gewesen wäre. Es wäre wohl vielmehr so etwas wie ein Zeichen der Bodenständigkeit gewesen, und das nicht nur, was den Verkehrsweg anbelangt. Bei vielen Fans und Experten jedenfalls stoßen Bierhoffs Argumente auf taube Ohren, zumal der DFB zuletzt ein Nachhaltigkeitskonzept vorlegte, das nun so gar nicht zusammenpasst mit dem Flug nach Basel.

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Dass Bierhoff nun am Montag über diese Nachhaltigkeit redete, spricht dafür, dass es den DFB-Oberen zumindest bewusst ist, was sie da an öffentlichem Kredit mit ihrem Flug verspielt haben. Die Argumente der Kritiker liegen auf der Hand: Die Aktion war nur dem größeren Komfort geschuldet und ist ein Beleg für die allgemeine Entfremdung des Profifußballs von der Basis – und im Speziellen auch ein Rückschlag für die Nationalelf zu mehr öffentlicher Akzeptanz nach dem WM-Desaster 2018, das für den damals abgehobenen Zirkel der DFB-Elf auch imagetechnisch eine Katastrophe war.

Nun lässt sich nüchtern festhalten, dass eine größere Fannähe auch bei einer Busreise nach Basel nicht hätte hergestellt werden können, denn auch auf der Autobahn und auf dem Weg dahin wäre das DFB-Team abgeschirmt gewesen. In den Länderspieltagen von Basel und Stuttgart war die Abschottung der Nationalelf dem Coronavirus geschuldet – und nicht, wie rund um die WM 2018 geschehen, der Ignoranz der Verantwortlichen. Es gab ja nach dem Sommer 2018 vorgelebte Tendenzen zu mehr Fannähe, bei jedem Länderspieltermin etwa stieg mindestens eine öffentliche Trainingseinheit, die Spieler besuchten Schulen, solche Dinge.

Havertz macht den Abflug

Nun aber gab es mal wieder ein paar Signale, die dafür sprechen, dass der innere Zirkel der DFB-Elf noch immer eine Art Sonderrolle in der Gesellschaft und auch im Vergleich mit anderen Sportarten einnimmt. Der jüngste Flug nach Basel ist so eine Sache – einen Tag vorher schon mutete es so manchem Beobachter etwas seltsam an, dass in Kai Havertz ein Nationalspieler auf die Partie in der Schweiz verzichten durfte, um in London seinen Vertrag mit dem FC Chelsea klarzumachen (Ablösesumme: 80 Millionen Euro).

Befürworter mögen das als zutiefst menschliche Geste des Bundestrainers Joachim Löw bewertet haben – Kritiker sehen darin einen weiteren Punkt in der langen Liste der Sonderrollen des Profifußballs und der Nationalelf. Wie auch immer: Havertz’ Wechsel wäre wohl nicht geplatzt, wäre er erst am Anfang dieser Woche nach London zum Vollzug gereist.