Das Gesamtwerk des Bundestrainers Joachim Löw ist nach der Niederlage gegen Italien und dem EM-Aus der Nationalmannschaft beschädigt – aber nicht zerstört.

Kiew - Die Höchststrafe für Joachim Löw und seine gescheiterten Titeljäger hat es erst zwei Tage nach dem EM-K.-o. gegeben. Noch vor dem Finale in Kiew musste der Bundestrainer daheim im Schwarzwald seinen längst ausgetüftelten Spanienplan in die Mülltonne schmeißen und sich mit der schmerzhaften Zuschauerrolle begnügen. Zudem musste er feststellen, wie die Stimmung in Fußballdeutschland umgeschlagen ist. „Man braucht einige Tage Abstand, um die Dinge einzuordnen“, hatte der von den Turnierstrapazen gezeichnete Löw bei seinem Abschied von der Mannschaft gesagt: „Zur Ruhe kommen ist jetzt wichtig.“

 

Der Kritik an den Entscheidungen im Zusammenhang mit der 1:2-Niederlage gegen Italien begegneten Löw und der DFB am Wochenende mit einem demonstrativen Verzicht auf weitere Verlautbarungen. Den Schulterschluss mit dem Trainer hatte der Verbandspräsident Wolfgang Niersbach noch vor dem abrupten Ende des EM-Unternehmens im Halbfinale verkündet: „Wir werden in dieser Konstellation weitermachen in der Hoffnung, dass es bald auch mal wieder zu einem Titel reicht.“

Bevor er sich nach einer letzten Stellungnahme während des Heimflugs in den Urlaub zurückzog, hatte Löw „die Verantwortung“ für das Ausscheiden übernommen: „Ich stehe dafür auch gerade.“ Aber auf die nächste Chance, die Titelreife nachzuweisen, müssen sowohl er als auch seine Spieler nun wieder zwei Jahre warten. „Es macht jetzt auch keinen Spaß, über das nächste Turnier zu reden“, sagte der dreifache Turniertorschütze Mario Gomez und haderte mit der vergebenen Chance: „Der Respekt der anderen Teams war immens groß, aber was hilft es? Wir haben es nicht auf den Platz bekommen.“

Die Aufstellung gegen Italien hat beschädigt

Joachim Löw hat mit seiner Aufstellung gegen Italien, der eine bizarre Mischung aus Angst und Übermut zugrunde lag, sein eigenes, in sechs Jahren aufgebautes, prächtiges Gesamtwerk beschädigt. Aber zerstört ist es nicht. „Die Mannschaft hat weiter großes Potenzial. Ich denke, dass niemand für längere Zeit einen Knacks davonträgt“, sagte er – und dürfte damit auch sich selbst gemeint haben. Erste Nachfragen in der Bundesliga förderten keine Rücktrittsforderungen zu Tage. „Der Trainer hat immer alles richtig gemacht. Wir gehen immer seinen Weg, den er vorgibt“, sagte der wegen seiner körperlichen Defizite in Polen und der Ukraine nicht zur Führungskraft taugende Bastian Schweinsteiger, an dem Löw trotzdem von der ersten bis zur letzten Minute festhielt.

Mit seinem Italienplan hatte Löw auch die Spieler vor den Kopf gestoßen. Trotzdem rückte niemand vom Chef ab. Auch die unvermeidliche Führungsspieler-Debatte konterte nicht nur der Bundestrainer. „Es ist eine andere Art von Führung heutzutage. Da sehe ich nicht die Problematik“, sagte Löw. Mesut Özil wehrte sich in der „Welt am Sonntag“ ebenfalls gegen diese typisch deutsche Diskussion: „Wer ist denn ein Führungsspieler? Lampard? Van Bommel? Rooney? Ribéry? Wo waren die denn in den Halbfinalspielen?“

Khedira, Neuer, Hummels – das könnten die künftigen Anführer sein, auf ihre vor allem von Ehrgeiz getriebene Art. „Wenn man sieht, wie Sami Khedira noch in der 90. Minute rennt, wie Manuel Neuer nach vorne stürmt. Unsere Jungs haben großes Herz gezeigt“, betonte der Teammanager Oliver Bierhoff. Die Reife fehlte, wie der Abwehrspieler Holger Badstuber schonungslos resümierte: „Die Italiener sind turniererfahrener. Die wissen, wie sie das handhaben müssen.“ Joachim Löw sah es ähnlich: „Die Spieler sind vielleicht noch nicht ganz erwachsen.“

Nun geht es an die Aufarbeitung

Man dürfe „nicht immer alles an einem einzigen Spiel festmachen“, mahnte Özil. Immerhin hatte das junge Team zuvor 15 Pflichtspiele in Serie gewonnen und für zahlreiche schöne Fußballabende in den vergangenen Jahren gesorgt – teilweise auch bei dieser EM. Es kommt jetzt auf die „Aufarbeitung“ an, wie Löw selbst betonte, „dass man sich Gedanken macht, was anders hätte laufen können“. Und was künftig anders laufen muss, auch im Umfeld, wo das Rundum-sorglos-Paket des DFB überprüft werden soll.

„Die Mannschaft hat sich nach vorne gearbeitet“, stellte Löw fest, wohl wissend, dass Fußball ein Ergebnissport bleibt. „Nur der Europameister kann am Ende zufrieden sein“, sagte Lukas Podolski, einer der Verlierer im deutschen Team.

In seinem 50. Pflichtspiel erlitt Löw erst die sechste Niederlage. Aber drei schwere Misserfolge waren dabei: Im EM-Finale 2008 war die deutsche Mannschaft beim 0:1 gegen Spanien noch nicht ebenbürtig. Beim zweiten 0:1 im Halbfinale 2010 zeigte sie gegen Xavi, Iniesta und Co. zu viel Respekt und hatte keine Alternative für den gesperrten Thomas Müller. In Polen und der Ukraine hatte Löw den Baukasten für den Titel zur Verfügung. Ausgerechnet im Halbfinale griff er daneben. „Die Italiener wären zu schlagen gewesen“, haderte Bierhoff. Diese Erkenntnis wird auch Löw mindestens bis 2014 verfolgen.