Der Eklat um den Echo wirft ein Schlaglicht auf ein Genre der schamlosen Grenzüberschreitung, bei dem Frauenhass, Gewaltverherrlichung und Homophobie an der Tagesordnung ist.

Stuttgart - Mache wieder mal ’nen Holocaust, komm an mit dem Molotow“ – fast jeder kennt wohl mittlerweile die Zeilen aus dem Lied „Gamechanger“, an denen sich jüngst eine Debatte über Antisemitismus, die Grenzen der Kunstfreiheit und des Geschmacks entzündet hat. Die Vergabe eines Echo-Musikpreises an die Rapper Farid Bang und Kollegah hat ein Schlaglicht auf ein Genre geworfen, das sich von Grenzüberschreitung zu Grenzüberschreitung treibt.

 

Die Echo-Verantwortlichen haben den Skandal. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Künstler seine Echos zurückgibt. Farid Bang und Kollegah aber haben die Aufmerksamkeit. Und mit ihnen viele andere Rapper, die nun wieder einmal kritisch betrachtet werden. Kollegah und Farid Bang wird eine antisemitische Haltung vorgeworfen, nicht zum ersten Mal.

„Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“
– aus „0815“ von Farid Bang und Kollegah

Gleichzeitig dreht sich die Debatte um die Texte von ihnen und von anderen Gangster-Rappern, die mal schwulen- und mal frauenfeindlich sind, mal gewalt- oder drogenverherrlichend. Nicht ohne Grund gelten die Battle-Rapper als die Schmuddelkinder der Branche – zugleich aber als sehr lukrative Einnahmequelle. Kollegahs Album „Imperator“ von 2016 beispielsweise verkaufte sich in weniger als vier Wochen 100 000 Mal – dafür gab es die goldene Schallplatte.

Bewaffnet mit Selbstüberhöhung und schockierenden Formulierung

Dass mit den Textpassagen, die momentan diskutiert werden, eine Grenze überschritten wurde, ist klar. Diese Grenzüberschreitung aber ist eine der besonders widerwärtigen Art. Eine Ausnahme ist sie nicht. Um zu verstehen, weshalb die Künstler auf Kunstfreiheit pochen und damit versuchen, die Debatte kleinzureden, muss man einen Blick auf Entstehung und Entwicklung der Szene werfen.

„Yeah, ich kommuniziere mit Bitches im Regelfall immer nur Blowjobs kriegend. Yeah, Bitch, also provozier nicht, sonst wird es blutig wie’n Krokodilbiss. Yeah, der einzige Ort, wo sich Bitches entfalten sollten, ist die Botoxklinik.“
– aus „Gamechanger“ von Kollegah & Farid Bang

Denn grundsätzlich neu ist es nicht, dass Rapper im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Immer wieder geraten sie in die Kritik, gibt es Skandale um Videos oder Texte. Das Ziel der sogenannten Battle-Rapper, zu denen Kollegah und Farid Bang zählen, ist es, einen Gegner verbal möglichst derb zu demontieren. Zwei Kontrahenten tragen eine Fehde aus, die real oder imaginär ist. Bewaffnet sind die Rapper mit dreister Selbstüberhöhung und möglichst schockierenden Formulierungen.

Der Kampf um die derbste Zeile

Dass Manieren dabei keine Rolle spielen, liegt auf der Hand: Seine Wurzeln hat der Hip-Hop in amerikanischen Ghettos. Der Alltag der ersten Hip-Hopper war hart, entsprechend war auch die Sprache beeinflusst. Die Milieus, aus denen die Künstler entstammten, waren von Gewalt und Drogen geprägt. Eben davon rappten Musiker wie Eminem oder Big Daddy Kane dann auch in ihren Texten. Die Kunstform taugte damals als Abbild der Realität.

Im Lauf der Jahre wurden Formulierungen und Habitus im Hip-Hop immer krasser, durch den Aufstieg des Gangsta-Raps (vom englischen Gangster für Verbrecher) wurde das Genre immer brutaler. Die Spirale um den größten Schocker schraubte sich immer weiter nach oben. Die Szene wanderte von Battles, in denen Konflikte auf der Bühne ausgetragen wurden, zu eigens produzierten Diss-Tracks, also Songs, in denen Rapper ihre Kontrahenten angriffen. Ob auf der Bühne oder auf Platte, eines blieb gleich: der Kampf um die derbste Zeile. Frauenfeindliche und gewaltverherrlichende Inhalte gehörten dazu, was immer wieder damit begründet wird, dass sie zumindest zu Anfangszeiten ein direktes Abbild der Lebenswelt der Künstler waren.

Pornografisch, frauenfeindlich, homophob

In Deutschland nahm das Phänomen Anfang der Nullerjahre an Fahrt auf. Einer der Vorreiter: Kool Savas. Seine Texte entsprachen dem Vorbild aus Amerika, pornografisch, frauenfeindlich, homophob. Den Homosexuellen widmete er einen eigenen Song, „Schwule Rapper“, der später von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde. Angeblich geläutert, distanzierte sich Kool Savas wenig später von seinen Texten.

„Deine Crew treibt ab mit dem Flow. Teil dich entzwei. Mein Ego peilt Hoes an und zerstückelt Visagen von Bitches die fronten und brüllen: Ich Rap nur von Geficke“
– aus „Neongelb“ von Kool Savas

Rap-Battles, die als Ursprung der musikalischen Spielart gelten, gibt es auch heute noch. Die mit dem Aufstieg des Genres verbundene Verrohung der Sprache und der Inhalte ist nicht mehr nur ausschließlich bei Battle-Rappern zu finden. Die Brutalität findet man auch bei Hip-Hoppern, die nicht aus dem Battle-Rap kommen.

Tabubruch ist eine essenzielle Konstante des Genres

Zum Beispiel bei Haftbefehl, einem der erfolgreichsten deutschen Rapper. Auch er bedient sich der Klischees, der Sprache – und der Verschwörungstheorien über Juden. In einem Song heißt es: „Ich tick das Koks an die Juden von der Börse.“ Dem Rapper wurde Antisemitismus vorgeworfen, da er mit dem Klischee vom gierigen, jüdischen Geldverleiher spielte. Er wies die Vorwürfe zurück, erklärte die Zeile mit seinen Erlebnissen als Drogenhändler. Auch auf die „Rothschild-Theorie“ nahm er Bezug. Diese besagt, dass die jüdische Bankiersfamilie Rothschild die Welt regiert.

„Rothschild-Theorie, jetzt wird ermordet. Azzlack öffnet die Höllenpforten“
– aus „069“ von Haftbefehl

Ist Haftbefehl also Antisemit? Oder ist es gezielte Provokation? Fragen, die sich bei allen genannten Textpassagen stellen. Auch beim diskutierten Holocaust-Zitat.

Eines ist klar: Die kritisierten Passagen sind menschenverachtend und stillos. Was aber auch klar ist und beim Blick auf die Debatte hilft: dass der kalkulierte Tabubruch im Rap ein zuverlässiger Garant für ein breites Medienecho ist. Das wissen auch Kollegah und Farid Bang. Dieser Tabubruch ist eine essenzielle Konstante des Genres. Problematisch wird es, wenn Jugendliche die Musik ungefiltert konsumieren und ihren Vorbildern nacheifern wollen. Hunderttausende kaufen die Musik von Kollegah und Co. Es stumpft ab, jeden Tag von Vergewaltigung, Huren, Mord und Drogen zu hören, im schlimmsten Fall wird es irgendwann einfach hingenommen. Das gilt auch für antisemitische Phrasen. Ob gewollte Provokation oder nicht – die Künstler tragen eine Verantwortung, der sie gerecht werden müssen.