Kostenloser öffentlicher Nahverkehr in den Städten für eine bessere Luft? Der Vorschlag der Bundesregierung hört sich utopisch an. Trotzdem wird auch dann nicht jeder sein Auto in der Garage stehen lassen. Zwei Redakteure, zwei Meinungen.

Stuttgart - Der eine ist ein passionierter Stadtbahnfahrer und nimmt jeden Tag die Bahn in die Arbeit, für die andere ist das Auto ein Stück Freiheit. Die Redakteure Oli Im Masche und Nina Ayerle setzen auf unterschiedliche Fortbewegungsmittel. Zwei Meinungen im Zuge der Debatte über einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr.

 

Pro ÖPNV: Entspannter unterwegs (Oliver im Masche)

Eines vorweg: Ich bin auch ein leidenschaftlicher Autofahrer. Im Leben eines berufstätigen Familienvaters gibt es nur noch wenige Freiheiten. Autofahren gehört dazu. Es gleicht dem Spaß beim Boxautofahren auf dem Volksfest – angesichts der Autoflut in Stuttgart ist es aber beim Steuern eines anderthalb Tonnen schweren Fahrzeugs mit knapp 120 PS fast ein Kunststück, in der Stadt unfall- und staufrei voranzukommen.

Das chronische Stop-and-go im Berufsverkehr hatte mich fertig gemacht. Lange pendelte ich mit dem Auto zwischen meinem früheren Arbeitsplatz in Böblingen und der Wohnung im Stuttgarter Süden. Morgens ging es meist flüssig vorwärts. Ich musste erst um 9.30 Uhr zur Tür raus. Doch abends war es die Hölle. Stau, Stau und nochmals Stau. Ich kenne alle Schleich- und Feldwege zwischen und in den beiden Städten. Als mein Auto wegen einer Reparatur länger in der Werkstatt stand, entdeckte ich das VVS-Umweltticket. Zuvor hatte ich den ÖPNV nur von außen gesehen. Nun entdeckte ich deren Innenleben. Mit dem Wechsel offenbarte sich eine neue Welt: saubere und meist pünktliche Regionalzüge, Stadtbahnen und Linienbusse (ja, wirklich!). Stau im Berufsverkehr kenne ich nur aus der Zeitung. Ich schwöre beim Pendeln auf Bus und Bahn. Heute pendele ich nach Möhringen. 55,50 Euro monatlich bezahle ich für dieses große Stück Lebensqualität. Soll sich doch der Fahrer ärgern, wenn er nicht vorwärtskommt. Ich daddel lieber auf meinem Smartphone herum, lese eine Zeitung, mache ab und an kurzweiligen Smalltalk mit einem Mitfahrer oder blicke entspannt aus dem Fenster.

Meist sehe ich dabei die Welt zügig vorüberziehen – nach dem Feierabend auf der Fahrt in die City aber fast regelmäßig das rote Bremslichtermeer der Stau-Karawane die Neue Weinsteige hinunter. Dann denke ich mir: Nein, das tue ich mir nicht mehr an.

Kostenloser ÖPNV bei Feinstaubalarm, wie ihn der Bund nun ins Spiel gebracht hat? Nur her damit, wenn das Netz in der Region ausgebaut wird. Da muss auch die Kommunalpolitik trotz des Milliarden-Euro-Batzens für S 21 viel lauter trommeln.

Pro Auto: Ich kann fahren, wann ich will (Nina Ayerle)

Die Luft ist verpestet, die Städte sind vollgestopft mit Autos statt mit Menschen, die flanieren – das allein würde an Argumenten reichen, um das Autofahren einzustellen. Dazu kommt: Man boykottiert Textildiscounter, weil diese unter widrigen Bedingungen produzieren. Man fliegt selten mit dem Flugzeug, weil das schlecht für die Umwelt ist. Bei Langstrecken nimmt man den Zug. Man schleppt lieber Glas- statt Plastikflaschen daheim die Treppen hoch und grübelt abends vor dem Einschlafen wie man die Gelbe Sack-Anzahl im eigenen Haushalt drastisch reduzieren könnte. Kurz: Ideologisch gesehen gehört auch die Autorin zu denen, die Kritiker als „linksgrünversiffte Gutmenschen“ verunglimpfen. Positiv formuliert: Sie denkt sehr, sehr viel darüber nach, wie man möglichst nachhaltig lebt und auch der Nachwelt ein schönes Leben auf diesem Planeten ermöglicht.

Der Dieselskandal und die Abgastestversuche mit Affen durch ominöse Lobbyverbände sollten eigentlich den letzten Autofahrer überzeugen, dass es moralisch richtiger ist, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen und den eigenen Wagen zu verkaufen. Aber was, wenn man sein Auto trotzdem liebt? Weil man als Daimlerkind aufgewachsen ist und die ganze Kindheit über nie daran gezweifelt ist, dass ein Mercedes die beste und schönste Erfindung der Welt ist?

Weil der Weg zur Arbeit mit dem Auto trotz aller Staus nur halb solange dauert wie mit dem Nahverkehr. Weil man im Vorort wohnt und nachts gerne sicher zu Hause ankommt, anstatt sich mit volltrunkenen Pöblern in der Bahn auseinander zu setzen. Weil man im Auto nicht von lauten Handygesprächen belästigt wird, seine eigene Musik dafür richtig aufdrehen und nebenher rauchen kann. Man muss nicht zu einer Haltestelle laufen und sich Abfahrtszeiten merken. Stattdessen: Man läuft zum Auto und fährt los. Wann man will. Ganz bequem. Autofahren bedeutet Freiheit, und die möchte man eben oft nicht missen. Auch wenn das 2018 nicht mehr als cool gelten mag.