Die Opposition legt bei den Pädophilie-Vorwürfen gegen Daniel Cohn-Bendit nach. Der grüne Regierungschef Winfried Kretschmann meint, der Parteifreund sei dennoch der Ehrung durch den Theodor-Heuss-Preis würdig.

Stuttgart - Die Opposition lässt im Streit über die Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an den Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit nicht locker. CDU-Fraktionschef Peter Hauk machte am Freitag auf den im Internet kursierenden Videomitschnitt einer Diskussionsrunde im französischen Fernsehen aus dem Jahr 1982 aufmerksam. Dort hatte sich Cohn-Bendit wie schon in seinem Buch „Der große Basar“ aus dem Jahr 1975 unter Rekurs auf seine Erfahrungen als Erzieher in einem Frankfurter Kinderladen zur kindlichen Sexualität geäußert. In den Filmsequenzen berichtet er zunächst über die Wirkung des „Haschisch-Küchleins“, das er vor der Sendung eingenommen habe: „Haschisch-Küchlein sind fantastisch. Ich fühle mich fit entspannt, es geht mir gut.“ Dann bramarbasiert er, dass die Sexualität bei Kindern doch etwas ganz Tolles sei.

 

Später revidierte Cohn-Bendit alle diesbezüglichen Äußerungen als „unerträglich“, sie seien als Provokation gemeint gewesen. Eltern und damals von ihm betreute Kinder stellten sich vor ihn. In einem Brief schrieben sie: „Wir weisen den Vorwurf zurück, Daniel Cohn-Bendit in die Nähe von Tätern zu rücken, die Kinder sexuell missbrauchen.“

CDU-Fraktionschef Hauk wie auch dessen FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke betrachten den Grünen-Politiker, der seit 1994 im Europaparlament sitzt, dennoch als Pädophilen. Bei dieser Wortwahl, so Hauk, müsse man davon ausgehen, „dass Erfahrungen vorliegen“. Rülke twitterte: „Er hat sich nicht nur in einem Buch, sondern auch im TV als Kinderschänder geoutet!“ Die beiden Fraktionschefs verlangen deshalb in einem Brief an die Theodor-Heuss-Stiftung, die Preisverleihung abzusagen. Sie berufen sich dabei auf den Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle, der seinen Auftritt als Festredner stornierte.

Kretschmann hält Cohn-Bendit trotz Vorwürfen für preiswürdig

Hauk sagte: „Der Fall Cohn-Bendit ist noch nicht aufgearbeitet. Wer die Geschehnisse von damals als Lappalie abtut oder diese sogar verleumdet, schlägt Opfern von sexueller Gewalt ins Gesicht.“ Hauk forderte den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) auf, das Grußwort bei der für den 20. April avisierten Preisverleihung ebenfalls abzusagen.

Davon will Kretschmann nichts wissen. Der Regierungschef sagte der „Südwest Presse“, er halte Cohn-Bendit „aufgrund seiner Verdienste für Demokratie und Zivilgesellschaft für preiswürdig“. Zugleich kritisierte er Cohn-Bendits damaligen Aussagen als „unerträglich und falsch“. Es sei jedoch ein „elementarer Unterschied, ob man solche Irrtümer nur verbal oder tatsächlich begeht“. Seitens der Opposition wird indes kritisch vermerkt, dass sich Kretschmann am vergangenen Mittwoch in der Landtagsdebatte zu Cohn-Bendit nicht äußerte, wohl aber anschließend in der Presse. Kretschmann räumt dies inzwischen als Fehler ein.

Edith Sitzmann, die Fraktionschef der Landtags-Grünen, retournierte die Angriffe der Opposition. Sie sprach von einer „scheinheiligen Kampagne“. Der Opposition gehe es nicht um den Schutz der Kinder, sondern um die Beschädigung des Ministerpräsidenten. „An ihm und an uns Grünen soll etwas von dem Schmutz hängen bleiben, mit dem Sie um sich werfen.“ Schließlich sei CDU und FDP bekannt, dass es in Sachen Kindesmissbrauch „keinen einzigen Tatvorwurf, kein Ermittlungsverfahren“ gegen Cohn-Bendit gegeben habe. „Er war und er ist kein Täter.“ Selbstkritisch räumte Sitzmann ein, dass auf Parteitagen in der Gründungszeit der Grünen Forderungen nach Straffreiheit für sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern salonfähig gewesen waren. „Das ist längst überwunden.“

Grüne über Rülkes Tweet empört

Entrüstung rief bei den Grünen eine Twitter-Botschaft des FDP-Fraktionschefs Rülke hervor. Dieser hatte am Mittwoch verlauten lassen: „Cohn-Bendit hat Zeugen, deren Kinder er nicht missbraucht hat. Es gibt auch Millionen von Soldaten, die Filbinger nicht verurteilt hat.“ Grünen-Fraktionschefin Sitzmann nannte dies „weit jenseits einer Debatte unter Demokraten“. Die Grüne Jugend wetterte, Rülke werde seinem Ruf als „Brüllke“ gerecht.

Diese Schmähung hatte sich Rülke vor Weihnachten mit einer Brüll-Attacke im Landtag anlässlich eines Entlassungsantrags gegen die Minister Nils Schmid und Gabriele Warminski-Leitheußer (beide SPD) eingehandelt. Die Kampfrhetorik der Opposition dokumentiert auch eine Entgleisung Hauks, der jüngst den Nachtragshaushalt der grün-roten Koalition als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet hatte. Den Vergleich nahm er mit dem inzwischen in solchen Fällen üblichen Beitext – „Sollte ich missverstanden worden sein“ – zurück.

Die Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel untersuchen in ihrem neuen Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ auch die erstmals im Jahre 2001 erhobenen Pädophilie-Vorwürfe gegen Cohn-Bendit. Das einschlägige Kapitel endet mit den Worten: „Die Sätze gehen nicht weg. Sie bilden den dunklen Schatten einer Biografie, obgleich der Mensch, der sie einmal gesagt hat und vielleicht anders gemeint hat, längst ein anderer geworden ist.“