Die Stadt Stuttgart ist bereit, afghanische Geflüchtete „bei Bedarf sofort aufzunehmen“. In kleinem Maßstab hat sie das bereits praktiziert.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Die Diskussion über die Aufnahme und Verteilung sogenannter Ortskräfte und anderer Geflüchteter aus Afghanistan läuft – und hat auch Stuttgart erreicht. Am Mittwoch erklärte Stadtsprecher Sven Matis dazu: „Wir können und werden bei Bedarf Geflüchtete sofort aufnehmen.“ Dabei setze man allerdings auf bewährte Verfahren. Mit dem Regierungspräsidium stehe man bereits in Kontakt. „Ein Stuttgarter Alleingang wäre schon rein rechtlich nicht möglich“, sagte Matis. Gemeinsam mit dem Land wolle man zudem prüfen, „inwieweit Hilfsmaßnahmen vor Ort oder in der Region unterstützt werden können“.

 

Die Initiative Seebrücke hatte tags zuvor in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) gefordert, er solle der Bundesregierung zusichern, „dass in Stuttgart Platz für schutzsuchende Menschen aus Afghanistan ist, ganz gleich aus welchen Gründen diese vor den Taliban fliehen“. Die Stadt Stuttgart, die sich im April 2020 zu einem „Sicheren Hafen“ erklärt hat, sei dazu aufgerufen, eine konkrete Zahl zusätzlicher Aufnahmeplätze anzubieten. Die Stadt München hat dies getan: Sie will 260 Personen aus Afghanistan unterbringen. Auch die baden-württembergische Landesregierung hat eine Zahl genannt: Sie will bis zu 1100 Personen – Ortskräfte und deren Verwandte – aufnehmen. Auch die Stadt Stuttgart versteht ihre Wortmeldung als Absichtsbekundung, will bewusst jedoch keine Zahl nennen, sondern flexibel reagieren. Man habe ausreichend Kapazitäten.

4204 Geflüchtete leben aktuell in städtischen Gemeinschaftsunterkünften

Und wie läuft das rein praktisch? Nach Auskunft der Stadt müssen die afghanischen Ortskräfte kein Asylverfahren durchlaufen, sondern bekommen mit ihrer Ankunft in Deutschland ein Visum, das sie zum Aufenthalt berechtigt. Sie erhalten damit auch Hartz IV und dürfen eine Arbeit aufnehmen. Die Verteilung erfolgt über die Regierungspräsidien. Von dort aus werden die Städte auf- und angerufen, die ihre Bereitschaft erklärt haben, Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Sie sollen dann zunächst in städtischen Unterkünften untergebracht werden, sind in der Wohnungssuche jedoch frei. Das ist keine graue Theorie, sondern bereits Praxis. Was wenige wissen: Stuttgart hat nach Auskunft der Stadtverwaltung seit 2016 „immer mal wieder“ Ortskräfte aus Afghanistan aufgenommen. Die genaue Zahl sei nicht bekannt. Sie soll im unteren zweistelligen Bereich liegen.

Das Verfahren für afghanische Ortskräfte unterscheidet sich von dem Prozedere, das beispielsweise Asylsuchende durchlaufen. Letztere werden abhängig von der Bevölkerungszahl und dem Steueraufkommen nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel auf die Länder und von dort auf die Stadt- und Landkreise verteilt. Auf Baden-Württemberg entfallen so rund 13 Prozent der Geflüchteten und Asylsuchenden. Stuttgart meldete im August 75 Neuzugänge. Zum Stichtag 31. Juli lebten nach Auskunft der Stadt 4202 Menschen in den hiesigen Gemeinschaftsunterkünften.