Debatte um Wehrpflicht Krisen fragen nicht, ob es gerade passt

Gelöbnis von Rekruten: Die Bundeswehr braucht mehr junge Leute. Foto: imago/A. Friedrichs

Kann man der jungen Generation zumuten, Wehrdienst zu leisten? Die Frage der Fairness geht am Kern der Sache vorbei, meint Hauptstadtkorrespondent Tobias Heimbach.

Berlin: Tobias Heimbach (toh)

Das Ergebnis der Umfrage überrascht nicht. Eine Mehrheit der Deutschen ist für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Je älter die Befragten, desto stärker befürworten sie den Vorschlag. Kein Wunder, mag man denken. Schließlich betrifft es sie wahrscheinlich nicht mehr. Diejenigen, die tatsächlich strammstehen und auf Übungsplätzen durch den Matsch robben müssten, sehen das anders. Bei den Unter-30-Jährigen ist die Mehrheit gegen die Wiedereinführung.

 

Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen

Kann man der heutigen jungen Generation trotzdem einen verpflichtenden Militärdienst zumuten? Ein halbes oder ganzes Jahr marschieren, gehorchen – während man vielleicht lieber die Welt bereisen, eine Ausbildung oder ein Studium beginnen möchte. So hat es die Generation zuvor schließlich auch gemacht. Ist das fair gegenüber den Jungen? Die Antwort darauf lautet: nein. Und geht zugleich am Kern der Sache vorbei. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Und jede Generation muss damit fertig werden. Die Nachkriegsgeneration wuchs zwischen Trümmern auf, jahrzehntelang lebten die Deutschen in einem geteilten Land. Heute gilt es, wieder wehrhaft zu werden. Und dafür braucht es die Jungen.

Nimmt man das Ziel der Wehrhaftigkeit ernst, geht es nicht ohne Soldaten. Um Putin von weiteren Eroberungen abzuhalten, reicht es nicht, neue Panzer und Drohnen auf das Kasernengelände zu stellen. Es braucht darüber hinaus Menschen, die damit umgehen können. Ohne eine Wehrpflicht lässt sich das Ziel einer einsatzbereiten Reserve nicht erreichen.

Unwahrheiten sind in der Wehrpflichtdebatte weit verbreitet

Die historische Aufgabe, „wehrfähig“ zu werden, muss man dabei nicht überhöhen. Die Wenigsten lassen sich heute mit wehenden schwarz-rot-goldenen Fahnen und dem Aufruf zum Dienst an der Nation motivieren. Das ist auch gut so. Man muss es nüchterner sehen: als simple Notwendigkeit. Viele Jugendliche können das übrigens durchaus reflektieren. Gerade weil sie die eigene Freiheit und die eigene Individualität schätzen und diese möglichst behalten wollen, würden sie ein paar Monate Wehrdienst akzeptieren als Beitrag, dass es nicht zu einem Krieg kommt. Eben weil dies Putin die eigene Abschreckungsfähigkeit signalisiert.

In der Wehrpflichtdebatte wird leider mit vielen Unwahrheiten und Übertreibungen gearbeitet. Die Grundausbildung der Bundeswehr hat nichts mit dem preußischen Kasernenhof zu tun. Wer seine Untergebenen schindet, kriegt heute selbst ein Problem. Es wird auch niemand in den Militärdienst gepresst. Wer aus moralischen Gründen nicht Soldat werden möchte, kann sich auf Artikel 4 des Grundgesetzes berufen. „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“, heißt es da. Das war über Jahrzehnte gelebte Praxis in Deutschland und wird auch heute von niemandem in Frage gestellt. „Unsere Kinder kriegt ihr nicht“, lautet ein Ruf von Gegnern des Wehrdienstes. Wenn das Kind in der Lage ist, einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu stellen, dann muss es nie eine Uniform tragen.

Dennoch ist der Frust mancher junger Menschen verständlich. Vorherige Generationen haben die Klimakrise mitverursacht, ein Land mit maroder Infrastruktur und überlasteten Sozialsystem hinterlassen – und nun wird von den Jungen erwartet, dass sie im Zweifel für diese Gesellschaft ihr Leben geben. Doch auch hier gibt es keine Alternative. Krisen fragen nicht, ob es gerade gut passt. Sie sind auch nicht gerecht verteilt, weder in der Welt noch über die Zeit. Trotzdem muss man ihnen begegnen. Deshalb lautet die Frage nicht: Wollen wir die Wehrpflicht zurück? Sondern: Brauchen wir sie? Die Antwort darauf ist klar.

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