Winfried Kuppler, der Leiter der Kulturwerkstatt und einstiger Schultes stellt in einer Ausstellung die Aufzeichungen von drei Frontsoldaten vor.

Deckenpfronn - Die Schickale der Menschen wolle er beleuchten, weniger die Kriegsereignisse an sich, sagt Winfried Kuppler, der Leiter der Kulturwerkstatt Deckenpfronn. In der Ausstellung in der

 

Zehntscheuer dort über den Ersten Weltkrieg stehen deshalb die Tagebücher von drei Deckenpfronnern im Mittelpunkt. Insgesamt 178 Männer aus dem Flecken – das sind laut Kuppler 18 Prozent der damaligen Bevölkerung – hatten den Einberufungsbefehl erhalten. 43 von ihnen ließen ihr Leben, 13 gerieten in Kriegsgefangenschaft.

„Die Resonanz auf unseren Aufruf, Erinnerungsstücke zur Verfügung zu stellen, war enorm“, sagt Kuppler, der frühere, langjährige Bürgermeister von Deckenpfronn. Neben zahlreichen Fotos und Aufzeichnungen erhielt er auch Uniformen, eine Pickelhaube und persönliche Hinterlassenschaften wie Orden und Uhren, die in Vitrinen gezeigt werden.

Feuchtfröhlicher Abschied

Auf großen Tafeln sind Auszüge der Tagebücher zu lesen, die mehr oder weniger exemplarisch sind für die Kriegsgräuel und Erlebnisse vor 100 Jahren. Die jungen Burschen aus Deckenpfronn feiern „vom 4. auf den 5. August 1914 einen feuchtfröhlichen Abschied in unserem Stammlokal in der Grabenstraße“, notiert etwa Wilhelm Dongus, der als 19-Jähriger mit seinen Kameraden in den Krieg zieht. An der Front erlebt er „die Feuertaufe“ wenige Tage später bei Menin im belgischen Flandern. „Wir sollten unsere erste und zweite Kompanie raushauen, die waren halb eingeschlossen.“ Schweres Artilleriefeuer mit Granaten, die mit Metallkugeln gefüllt waren, ging nieder. Das ist am 8. und 9. August 1914. „Wir lagen in Granatlöchern und hatten große Verluste.“ Auch ihn erwischt es. Am Oberschenkel. „Als ich hochschaute, war Hose und Unterhose durchschossen und die Haut leicht geritzt.“

Später, an einem Novembermorgen, hat er das Gesicht beim Waschen voller Seife. Eine Ratte springt vorbei. „Ich warf mit einem Backstein und traf beinahe unseren Oberst Gluck und sein Pferd.“ Er hatte ihn nicht bemerkt, als dieser vorbeigeritten war. Immerhin, die Ratte ist tot: „Es hingen sechs oder sieben Junge aus dem Leib.“ Später macht ihn der Kompaniefeldwebel „zur Sau“, wie Dongus festhält. Der Oberst jedoch hat ein Einsehen und ordnet an: „Herr Feldwebel, der Mann bekommt für jede junge Ratte zwei und für die alte acht Zigarren – das macht 20“. Dongus teilt sie mit den Kameraden.

In Kriegsgefangenschaft geraten

Für den Infanterist sollte der Krieg schon bald vorbei sein. Am 22. November 1914 ist es neblig, es geht es auf Erkundungsgang. Dongus kriecht durch einen Drahtverhau und stellt fest: Die feindliche Stellung ist leer. „In dem Moment krachten an unserem linken Flügel Handgranaten.“ In Todesangst versucht sich Dongus in einem Granatloch zu verstecken, blickt kurz danach in die Gewehrläufe der Engländer. Er kommt in Kriegsgefangenschaft.

Noch erschütternder sind die Aufzeichnungen von Jakob Röhm. Eindrücklich beschreibt er das Töten und den Konflikt mit sich selbst. „Wir lagen am Berg von St. Die auf halber Bergeshöhe, da sah ich, dass etwa 200 Meter weiter oben hinter einer Tanne jemand winkte“, notiert er für den 29. August 1914 im Elsass. Röhm klettert hinauf und steht vor einem verletzten, französischen Hauptmann. „Plötzlich erhielt ich Feuer, sodass die Kugeln mir nur so um die Ohren sausten“, so Röhm. Der verletzte Hauptmann habe seinen Soldaten oben auf dem Berg dann „Vorwärts“ zugerufen. „Ich konnte nichts anderes machen, so Leid es mir tat und so gerne ich ihn geschont hätte. Ich gab ihm zwei Schüsse in den Kopf.“

Frühere Sichtweise über den Krieg revidiert

In fast 20 Arbeitstagen hat Winfried Kuppler die Ausstellung vorbereitet, die Erinnerungen der Kriegsteilnehmer studiert und aufgearbeitet. Darunter befindet sich auch das von dem Unteroffizier Georg Wilhelm Lutz von Oktober 1914 bis August 1915 handschriftlich verfasste Kriegstagebuch. 215 Schreibmaschinenseiten hat der Geschichtsforscher erstellt, die er in Ausschnitten präsentiert. „Sie zeugen von einer patriotischen Haltung, revidieren aber auch seine frühere Sichtweise auf den Krieg“, stellt Kuppler fest. „Einst sehnte ich den Krieg herbei“, räumt Lutz ein. Nun zeigt er sich geläutert: „Der moderne Krieg reißt zu fürchterliche Wunden, vernichtet Gut und Blut so wahl- und ziellos“, hält er am 1. August 1915 fest. „Am 3. September 1916 stirbt er nach einem Bauchschuss unter fürchterlichen Schmerzen in der Schlacht an der Somme in Frankreich“, hat Kuppler recherchiert. Die letzte Feldpostkarte von Lutz trage das Datum 10. August 1916, sie sei aber erst am 11. September abgeschickt worden. „Dies lässt erkennen, wie verzweifelt die Lage in jenen Tagen war“, resümiert Kuppler.