Kaum ein Istanbuler weiß es: In der Meerenge tummeln sich Delfine. Doch immer wieder werden die Tiere durch Schiffe und Jetboote stark verletzt. Wie sehr die Schifffahrt sie bedroht, erforscht eine junge Biologin.

Istanbul - Im fahlen Morgenlicht ist der Bosporus aschgrau. Istanbuls Hochhauskulisse ist noch hinter einem gnädigen Gaze-Schleier verborgen. Auf den Spitzen der Minarette aber tanzen schon die ersten Sonnenstrahlen. Aylin Akkaya hat nur Augen für das Wasser. Mit dem Fernglas sucht sie die graue Oberfläche ab. „Dort“, schreit sie plötzlich und deutet ins Ungefähre. Der Kapitän Ferhat drosselt das Motorboot. Aylin Akkaya ist nun hellwach. Da tauchen zwei Delfinrücken auf, fast gleichzeitig springen die Tiere hoch und gleiten wieder ins Wasser. Das Boot ist jetzt so nah, dass man das Ausatmen der Delfine hören kann. Ein lang gezogenes Pffft. Es klingt fast wie bei einem Schwimmer.

 

Es ist der Moment, auf den Akkaya und ihr Team gewartet haben. Nun klickt die Kamera. „Wir erkennen sie an den Rückenflossen, die sind einmalig, wie ein menschlicher Fingerabdruck“, sagt die Biologin, die einzige professionelle Delfinbeobachterin Istanbuls. Delfine im Bosporus? „Viele Istanbuler wissen nicht einmal, dass es hier Delfine gibt.“ Auf osmanischen Darstellungen kann man die eleganten Tiere sehen. Da hatte die Metropole aber noch nicht 17 Millionen Einwohner, und der Bosporus war nicht eine der am meisten befahrenen Wasserstraßen der Welt. Inzwischen muss sich alles Meeresgetier die 30 Kilometer lange und maximal 2,5 Kilometer breite Furt zwischen Schwarzem Meer und Marmarameer jährlich mit 50 000 Schiffen teilen. Mit Tankern, High-Speed-Fähren, Fischerbooten, Motorjachten, Kreuzfahrtriesen. 1980 waren es erst 4000 Schiffe. „Delfine, die hier überleben, müssen stark sein“, sagt Akkaya. Die Meeressäuger werden etwa 20 Jahre alt. Deshalb, so sagt die Expertin, „werden wir erst in mehr als zwei Jahrzehnten wissen, ob sie überleben“.

Schiffsschrauben zerfetzen die Rückenflosse der Delfine

Der Überlebenskampf hat schon jetzt seinen Preis. „Wir sehen oft Delfine mit verletzter oder gar fehlender Rückenflosse“, sagt Akkaya. Typische Verletzungen durch Schiffsschrauben. Am gefährlichsten sind die bis zu 100 Kilometer pro Stunde schnellen Jetboote, „weil sie ständig die Richtung wechseln“. Während Akkaya spricht, dröhnt eine Fähre mit voller Geschwindigkeit heran. Die Delfine sind nicht mehr zu sehen. Unter Wasser sind die Motorgeräusche noch lauter. Delfine orientieren sich mit Ultraschall, Lärm verwirrt sie.

Die Türkei darf den internationalen Frachtverkehr im Bosporus nicht beschränken, so legt es der Vertrag von Montreux seit 1936 fest. „Wir können die Delfine trotzdem schützen“, sagt die Türkin. Um das zu erreichen sammelt sie Daten über die Bewegungsmuster, Fischgrüne und Ruheplätze der Tiere. Mit GPS und Computer werden die Koordinaten registriert. Gut 50 Delfine, die wahrscheinlich ständig im Bosporus leben, hat Akkaya immer wieder beobachtet, dazu noch mal so viele „Migranten“, an 500 Arbeitstagen in zwei Jahren. So lange läuft das gemeinsame Projekt der Universität Istanbul und der Türkischen Stiftung für Meeresforschung. Ende September geht es zu Ende. Akkaya aber wird dann ihren Vorschlag präsentieren, auch der Regierung in Ankara, „die viel zu wenig für die Natur tut“. Akkaya sagt: „Wir brauchen gesetzliche Schutzzonen, wenigstens in den Monaten, in denen Delfine besonders aktiv sind.“ Superschnelle Jachten müssten dort ihre Geschwindigkeit drosseln. „Das ist doch nicht zu viel verlangt.“

Akkaya hat Bären und Gorillas beobachtet

Drei junge Amerikanerinnen und eine Chinesin hören der Türkin aufmerksam zu. Sie sind Biologie-Studentinnen, die für ein paar Monate nach Istanbul gekommen sind, um an den Studien Akkayas mitzuwirken. Shannon aus Michigan und Heidi aus Missouri geben zu: „Wir wussten nichts über die Türkei.“ Als sie im Juni eintrafen, demonstrierten in Istanbul gerade Tausende von jungen Leuten für die Erhaltung eines Parks. Am Taksim-Platz roch es nach Tränengas. „Verwirrend“ fand Heidi, 22, das alles, aber sie blieb. „Yavas“, sagt sie nun, wenn der Kapitän Ferhat wieder „langsam“ fahren soll, weil sie eine Gruppe Delfine entdeckt hat. Nur 50 Meter weit weg, und sie schwimmen auf das Boot zu. Auf einmal sind sie unter dem Rumpf. Aylin Akkaya hält einen Enterhaken mit einer kleinen Unterwasserkamera in die Tiefe. In fünf Stunden, von sieben Uhr morgens bis 12 Uhr mittags, wird die Mannschaft auf dem Delfinboot an diesem Tag 15 Mal „yavas“ rufen, weil eine Gruppe grauer Rücken in Sichtweite vorbeizieht. Bisweilen nimmt Akkaya Touristen mit auf ihre Touren, um die Bootsfahrten zu finanzieren. Auch Kinder lädt sie immer wieder zum Mitfahren ein. „Wenn wir den Kindern beibringen, wie sie die Natur schützen können, wird die Türkei später in sicheren Händen sein“, sagt die 31-Jährige.

Fischer schätzen die Gesellschaft von Delfinen nicht

Zehn Jahre hat sie im Ausland gelebt, in Australien, im Kongo, in Laos. Sie hat Bären beobachtet und Gorillas. Dann fand sie den Mann, den sie heiraten wollte, und kam zurück. „Nun lerne ich von den Delfinen“, sagt die Biologin. Die Tiere gelten als besonders sozial. „Sie schlafen in Gruppen, die Wächter der Gruppe wechseln sich ab.“

Fischer wiederum schätzen die Gesellschaft von Delfinen nicht. Sie sagen, die fangen ihnen die Fische weg. Deshalb redet Akkaya auch mit den Fischern. Nicht alle hören ihr zu. Vor allem nicht die mit den großen Booten und den Schleppnetzen, schon eher die mit den Barkassen. Von diesen Männern hat Akkaya viel erfahren über den Bosporus und seine tückischen Strömungen. „Inzwischen sagen sie mir manchmal auch schon, wenn sie Delfine gesehen haben.“ Das türkische Wort für Delfin ist übrigens „Yunus“. Yunus ist Jonas, der Prophet für Muslime wie für Christen, der vom Wal verschluckt und wieder ausgespuckt wurde. Die Rettung der Delfine am Bosporus indes wird nicht so einfach sein.