Das Stuttgarter Dialogtheater bringt am 1. Februar das Stück „Vergessene Wahrheit“ in Heslach auf die Bühne. Es beschäftigt sich mit Demenz und der Frage, was eigentlich das Wesen des Menschen ausmacht.

S-Süd - Für eine Zigarettenlänge lassen Pflegerin und Arzt ihre Gefühle zu. Schon wieder ist Personal krank, die Demenzstation unterbesetzt, die Patienten verlässlich unberechenbar. Die Pflegerin stößt Rauch aus und Sätze der Verzweiflung. Der Arzt gibt zu, dass er am Sinn seiner Tätigkeit zweifelt.

 

Die Raucherpause vor dem Heim für Demenzkranke ist eine Schlüsselszene in dem Theaterstück „Vergessene Wahrheit“. Zu viel sei nicht verraten, doch klar ist, dass die Schauspieler auf das reelle Drama des Personalnotstands in der Pflege einen Fokus legen. Die Botschaft auf der Bühne ist, dass etwas ist faul ist mit der Art, wie die Gesellschaft mit Menschen umgeht, die den vielleicht fundamentalsten Wandel durchmachen: Den schleichenden Abschied von den eigenen Erinnerungen.

Pflegerin ist überfordert

Sonja Kromer spielt in dem Stück die um Fassung ringende Pflegerin und die nicht minder überforderte Tochter eines Demenzkranken. Sie gesteht, dass sie beim Lesen des Drehbuchs „Rotz und Wasser geheult“ habe. Karlo Müller sitzt neben ihr im Übungsraum des Dialogtheaters in einer Privatwohnung in Bad Cannstatt. Er hat das Drehbuch geschrieben und dabei einen von ihm vor einigen Jahren verfassten Roman zum Thema Demenz für die Bühne umgesetzt. Das Theaterstück ist Teil des geförderten Projekts „Menschen mit Demenz begegnen“. Es beinhaltet neben dem in verschiedenen Bezirken aufgeführten Stück einen fünfteiligen Workshop zum Thema Umgang mit Demenzkranken und Besuche des Clowns Oliver Kurz auf Demenzstationen.

Kurz wirkt als Clown auch in „Vergessene Wahrheit“ mit. Seine Rolle wird eine andere Sichtweise und eine vom Pflegesystem unterschiedliche Art des Umgangs mit Demenzerkrankten aufzeigen.

Experten nehmen Stellung

Im Anschluss an die Aufführungen wird es Diskussionen mit dem Publikum geben, erklärt Karlo Müller. So setze das Dialogtheater um, was es als Bezeichnung im Namen trägt, erklärt Müller. „Es werden verschiedene Experten da sein, die zu medizinischen und sozialen Aspekten der Erkrankung etwas sagen können“, meint er.

Auch Müller will mit dem Publikum ins Gespräch kommen. Er will mit ihm die Frage erörtern, was die Demenzerkrankung für die menschliche Identität bedeutet. Erlischt die Persönlichkeit, oder um es mit einem theologischen Begriff zu benennen, die Seele, wenn das Gehirn nicht mehr so funktioniert wie bei gesunden Erwachsenen? „Hinter der Erkrankung steht ja immer noch ein Mensch“, sagt er. Ein Mensch, der für seine Umwelt allerdings bis zur Unkenntlichkeit sein Wesen durch die Krankheit verändert. Müller nennt die Erkrankung den Schattenbruder unseres Ichs. Sie offenbare verdrängte Konflikte oder Teile der Persönlichkeit, die nicht zum Selbstbild der Betroffenen passen, meint er.

Clown hilft Erkrankten

Der Gründer des Diaolog-Theaters öffnet ein Video auf seinem Smartphone. Darauf ist der Clown Oliver Kurz beim Besuch bei Demenzerkrankten zu sehen. Er spielt für sie den Schneewalzer auf einem Akkordeon. Er lässt sich von den Patienten berühren und sogar am Kopf kraulen. Das Video zeige, wohin sich der Umgang mit Demenzerkrankten hinentwickeln müsse, meint Müller. „Die Menschen wollen singen, tanzen, sie brauchen Berührungen. Das alles kommt im jetzigen System zu kurz“, sagt er.

Die Schauspielerin Sonja Kramer hat sich gemeinsam mit den übrigen Darstellern Gedanken gemacht. „Ich glaube, dass die Menschen am Ende ihres Lebens sich wieder der Kindheit annähern und deshalb ähnliche Bedürfnisse haben“, sagt sie. Vielleicht wäre es also hilfreich, wenn Pflegestationen mehr Kindergärten glichen, meint sie.

Premiere
„Vergessene Wahrheit“ wird zum ersten Mal am Freitag, 1. Februar, im Alten Feuerwehrhaus an der Möhringer Straße 56 um 19 Uhr aufgeführt. Die Karten kosten neun Euro. Informationen über weitere Termine gibt es unter www.dialogtheater.de.