In Schorndorf demonstrieren am Samstag rund 1500 Menschen friedlich gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Der Oberbürgermeister plädiert für ein starkes Europa.

Schorndorf - Regenbogenfahnen, „Herz statt Hetze“-Plakate. Ein Demonstrant hat gar einen Wasserfarbenkasten an einer hölzernen Stange befestigt und zeigt so in kunterbunten Farben Flagge für Vielfalt und gegen Extremismus. Am Samstagvormittag kurz nach 10 Uhr ist der Untere Marktplatz in Schorndorf schon gut gefüllt, und es strömen ständig weitere Menschen herbei zur Demo „Aufstehen“. Mit der Veranstaltung will ein breites Bündnis, angefangen vom Oberbürgermeister Matthias Klopfer und dem Gemeinderat über Vereine, soziale Einrichtungen, Kirchen und Parteien bis hin zu Unternehmen ein Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.

 

Marcus Seibold, der die Veranstaltung mit seiner Frau Ulrike initiiert hat (wir berichteten), steht auf der Bühne an der Rückseite des Alten Rathauses. Hinter ihm, an der Hauswand, zeigt ein Mosaik wie die Schorndorfer Frauen sich 1688 gegen die Übergabe der Stadt an den französischen General Mélac wehrten und Schorndorf so retteten. Vor ihm füllt sich der Untere Marktplatz, dessen Ausmaße Seibold seit neuestem ganz genau kennt: 1650 Quadratmeter.

Klopfer: „ein Tag für die Stadtgeschichte“

Rund 1500 Frauen, Männer und Kinder aus Schorndorf und von anderswo sind gekommen, weil sie nicht einfach hinnehmen wollen, dass in der Öffentlichkeit immer mehr die Schreier und Hetzer den Ton angeben. Denn schließlich, so sagt der Oberbürgermeister wenige Minuten später, „kann Schweigen zu Komplizen des Unrechts machen“. Am Arbeitsplatz, in der Familie und im Freundeskreis – „wir müssen jeden Tag Flagge zeigen“, mahnt Schorndorfs Rathauschef: „Wir wollen nicht zurück in unsägliche Zeiten unseres Landes. Vor 80 Jahren waren auf dem Unteren Marktplatz Hakenkreuzfahnen gehisst.“ Dieser Samstag hingegen sei ein Tag, auf den Schorndorf stolz sein könne, „ein Tag für die Stadtgeschichte“.

Dann darf Fateme aus Afghanistan ans Mikrofon. Seit 2015 lebt sie in Deutschland. Dafür gebe es viele Gründe, sagt die 18-Jährige und nennt zwei, die ihr besonders wichtig sind: „Die Sicherheit und die Chancen für Frauen.“ Sie wolle für diese Gesellschaft etwas leisten, betont Fateme, die Kinderärztin werden möchte. All das erzählt sie den Demo-Teilnehmern in bestem Deutsch und schildert, wie sehr es sie beschäftigt, wenn Geflüchtete Verbrechen begehen: „Die meisten von uns lehnen das ab und sind anders.“ Auch Aylar aus dem Iran sagt: „Es gibt überall gute und schlechte Menschen.“ Die 15-Jährige will „lernen und einen Platz in der Gesellschaft finden.“

Wer kann schon Deutschsein definieren?

Schorndorf – das ist für die 18-jährige Gisem Heimat, hier sind ihre Eltern, hier ist sie geboren und aufgewachsen: „Trotzdem bin ich für viele eine Ausländerin und werde nach meiner Herkunft gefragt.“ Sie wünsche sich absolute Chancengleichheit und „ein starkes und geeintes Schorndorf“, sagt die 18-Jährige und erhält viel Applaus. Auch Stefan, dessen Eltern aus Ex-Jugoslawien stammen, wird wegen seines Nachnamens oft gefragt, wo er denn „eigentlich“ herstamme. „Jeder auf diesem Platz sollte mal in sich gehen und seinen persönlichen Familienstammbaum rekonstruieren. Wer kann da noch behaupten, Deutsch zu sein?“, sagt der Student, der es leid ist, „dass Rechte sich die Freiheit nehmen, das Deutschsein zu definieren“.

Für Matthias Klopfer ist ein „vereintes, starkes Europa mit Menschenrechten, die für alle gelten“ der richtige Weg. „Die Europawahl im Mai ist eine ganz wichtige Wahl“, sagt er, passend dazu spielt die Formation „Junges Blech“ die europäische Hymne. Auch die Musiker Ebbe Buhl und Gez Zirkelbach geben eigene Songs zum Besten, dann bittet Marcus Seibold die Teilnehmer, die Kundgebung friedlich aufzulösen. Gleich darauf sagt er hochzufrieden: „Wir haben mit um die tausend Teilnehmern gerechnet, aber solch eine hohe Anzahl hatten wir nicht erwartet.“ Seine Frau Ulrike erzählt, sie beide hätten anfangs Bedenken gehabt, dass ihre Initiative auf Gegenwind stoßen könnte: „Aber wir hatten früh das Gefühl, dass viele dankbar sind, Flagge zeigen zu können in einem Rahmen, der zu ihnen passt.“

Markus Jatzko, der Leiter des Polizeireviers, spricht am Ende der Kundgebung von einem „rundum gelungenen Einsatz“. Die Polizei habe allerdings leichtes Spiel gehabt, denn die Demonstranten seien ein breites, demokratisches Bündnis gewesen, das sich an die Regeln gehalten habe. Lediglich eine Straftat habe man zu verzeichnen: „Ein Demonstrant hat ein Messer bei sich.“