In Stuttgart haben rund 350 Teilnehmer einer Protestaktion auf die hohe Zahl an Frauen aufmerksam gemacht, die täglich Opfer von Gewalt werden.

Stuttgart - Oft sind es die kleinen Signale, die eine große Wirkung erzielen können. Am früher Samstagabend wurden auf dem Stuttgarter Eckensee 137 kleine Boote ausgesetzt – jedes beladen mit einer Kerze und dem Foto einer Frau, die einem Femizid zum Opfer gefallen ist, die also getötet wurde, weil sie eine Frau ist.

 

137 Frauen werden weltweit täglich von ihrem Partner oder ehemaligen Lebenspartner ermordet. Davor hatten die rund 350 Teilnehmenden auf dem kleinen Schlossplatz mehrere Ballons zum Platzen gebracht – der Knall stand symbolisch für die Gewalt an Frauen.

Aufgerufen zu der Kundgebung und der Demo hat das „Aktionsbündnis 8. März“ unter dem Motto „Gewalt gegen Frauen ist Alltag – We fight back“. Die Aktion steht im Kontext mit dem 25. November, dem weltweiten Gedenktag, der auf die körperlichen und seelischen Misshandlungen aufmerksam machen will, die für viele Frauen und Mädchen zum Alltag gehören. 1999 wurde er von den Vereinten Nationen als offizieller internationalen Gedenktag anerkannt. Organisierte Frauenproteste bauen öffentlichen Druck auf und sorgen dafür, dass Gewalt gegen Frauen kein Tabuthema mehr ist.

Fast alle Opfer haben persönliche Beziehung zum Täter

„Der unsicherste Ort für Frauen ist das eigene Zuhause“, sagt Iris Enchelmeier vom Verein „Frauen helfen Frauen“. Fast alle davon kennen ihren Täter, weil er in einem persönlichen Verhältnis zu ihnen steht. „Und oft werden diese Gewaltmuster von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt sie. Jungen wird Gewalt als Mittel der Problemlösung vorgegeben – Mädchen müssen das demütig hinnehmen. Diese Strukturen müssten aufgebrochen werden.

Die Wahrscheinlichkeit Opfer von Gewalt zu werden ist trotz guter Ausbildung und anderer gesellschaftlicher Faktoren weiterhin bei Frauen um ein Vielfaches höher als bei Männern. Die Pandemie hat das Problem noch einmal sichtbarer gemacht. Die Abhängigkeit, in der viele Frauen finanziell und räumlich leben, ermöglicht Macht- und damit Gewaltverhältnisse.

In diesem Jahr hat sie sich in vielen Beziehungen verschärft „Das ist durch die Berichte in den Medien jetzt mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt, aber das reicht nicht aus“, sagt Iris Enchelmeier. Die Zahl der Beratungstermine ist gestiegen, die Zahl der Anrufe bei der Hilfe-Hotline hat sich um 16 Prozent erhöht.

Enchelmeier fordert neben mehr Unterstützung für die Frauenhäuser seitens der Politik auch mehr präventive Maßnahmen, um die Notlagen von Frauen und Familien frühzeitig zu erkennen. Von einer kurdischen Frauenrechtlerin wird angeprangert, dass feministisch organisierte Frauen in der Türkei nicht nur Opfer von Männern, sondern auch des Staates werden.

Viele junge Frauen sind dabei

Viele junge Frauen und auch Teenager sind unter den Zuhörerinnen – wie die 17-Jährige Jeanne. „Das Thema Gewalt gegenüber Frauen ist immer noch nicht richtig in der Gesellschaft angekommen, aber in unserer Generation wird sehr offen darüber gesprochen“, sagt sie.

Unter den Demonstrantinnen ist auch Kinga Gyökössy-Rudersdorf, eine Aktivistin der ersten Stunde. „Als wir das erste Frauenhaus gegründet haben, hätte ich nicht gedacht, dass wir über 40 Jahre später immer noch für unseren Schutz auf die Straße gehen müssen“, sagt die 79-Jährige.

Auch in Stuttgart fehlen rund 90 Frauenhausplätze. Es habe sich aber gut angefühlt, dass der Stuttgarter Landtag am Donnerstag als eines von vielen Gebäuden weltweit in Orange angestrahlt war. Die Farbe gilt als Sinnbild für Licht und Wärme und steht für eine positive Zukunft und für die Hoffnung auf ein gewaltfreies Leben. „Das hat mich berührt“, sagt Kinga Gyökössy-Rudersdorf.