Peking möchte erst reich, dann alt werden. Der demografische Wandel bedroht den wirtschaftlichen Aufstieg. Die Regierung steuert gegen.

Seit Freitag ist es laut den statistischen Berechnungen der Vereinten Nationen offiziell: Die Volksrepublik China wird vom aufsteigenden Indien als bevölkerungsreichstem Land der Welt abgelöst. Der demografische Wandel im Reich der Mitte hat weitreichende Folgen.

 

Noch vor wenigen Jahrzehnten plagte die chinesischen Zentralplaner das entgegengesetzte Problem: Aus Angst vor Hungersnöten führten die Behörden 1980 die umstrittene Ein-Kind-Politik ein, die erst 2016 formal aufgegeben wurde. Noch heute sind die sozialen Folgen zu spüren, etwa im massiven Männerüberschuss innerhalb der Bevölkerung aufgrund selektiver Abtreibungen. In den darauffolgenden Jahrzehnten sorgte Chinas vorteilhafte „demografische Dividende“ maßgeblich für das rasante Wirtschaftswachstum: Das Land verfügte über extrem viele, günstige Arbeitskräfte.

Zu Beginn dieses Jahres nun haben die Behörden in China erstmals seit der Zeit der großen Hungersnöte in den 1960er Jahren einen Bevölkerungsrückgang gemessen. Laut Forschern wie Yi Fuxian dürfte der Rückgang schon früher eingesetzt haben, die offiziellen Statistiken seien frisiert gewesen.

Leben von 150 Euro im Monat

Der Rückgang hat auch sein Gutes: Wegen des geringeren CO2-Ausstoßes bedeuten weniger Menschen Entlastung für den gebeutelten Planeten. Auch angesichts überfüllter Megastädte, wie es sie in China zu Dutzenden gibt, ist der Bevölkerungsrückgang positiv zu sehen.

Wirtschaftlich ist die Entwicklung jedoch bedrohlich. Das Durchschnittsalter der Chinesen betrug 1978 – zu Beginn der ökonomischen Reformen – 20 Jahre. Derzeit ist es mit 39 fast doppelt so hoch. Noch kommt ein Rentner auf vier Arbeiter. Bis zum Ende des Jahrhunderts liegt das Verhältnis bei eins zu eins.

„Alt werden, bevor man reich wird“ lautet die weitverbreitete Angst der Staatsführung. Trotz der ökonomischen Fortschritte liegt das Bruttoinlandsprodukt der Chinesen bei einem Viertel im Vergleich zu Deutschland. Zudem ist der Wohlstand ungleich verteilt: Über 500 Millionen Menschen müssen monatlich mit weniger als 150 Euro auskommen. Ehe die Alterung das Wachstum abbremst, muss China also noch eine weite Strecke zurücklegen, um zu den führenden Industrienationen aufzuschließen.

Lieber Robotik als Migration

Mehrere Werkzeuge stehen der Staatsführung zur Verfügung, die negativen Auswirkungen abzufedern. Eine Anhebung des Pensionsalters gilt als wahrscheinlich. Frauen gehen bislang mit 50 in Rente, Männer mit 60. Das ist so seit den Zeiten von Staatsgründer Mao Tsetung. Ferner ist bei der niedrigen Produktivität besonders in bürokratischen Staatsunternehmen noch Luft nach oben. Hoffnung besteht, dass die massiven Investitionen in das Bildungssystem seit den 90er Jahren die Wirtschaftsleistung heben werden. Und es gibt da die technologische Wette der Staatsführung: Statt durch Migration möchte Peking drohenden Arbeitskräftemangel durch Automatisierung und Robotik kompensieren.

Außerdem hat die Parteiführung noch die „Zuckerbrot und Peitsche“-Methode in petto: Nach der gescheiterten Ein-Kind-Politik hat Peking nun drei Kinder pro Familie als Obergrenze festgelegt. Es wird versucht, mit plumper Propaganda in Fernsehserien und Kinofilmen, die traditionellen Geschlechterrollen wiederzubeleben. Das wird kaum fruchten. Denn es gibt gute Gründe, warum sich heute Chinesinnen für nur ein Kind entscheiden. Die Bildungs- und Wohnkosten in den großen Städten sind derart hoch, dass sich junge Familien gar nicht mehr Kinder leisten können. Vor allem aber haben sich die Lebensstile der jungen Chinesinnen und Chinesen modernisiert, und das Rad der Zeit wird selbst die kontrollwütige KP nicht zurückdrehen können.