In der Kleinstadt im Nordschwarzwald ist der demografische Wandel deutlich spürbar: Der Anteil der über 65-Jährigen liegt bei 28 Prozent, auch neue Baugebiete ziehen nur wenige junge Familien an. Das stellt die Kommune vor erhebliche Probleme.

Bad Herrenalb - Bad Herrenalb fällt aus dem Rahmen: Dort wohnen überdurchschnittlich viele Senioren. Während die Zahl der über 65-Jährigen in Baden-Württemberg im Schnitt bei 19 Prozent liegt, sind es in Bad Herrenalb 28 Prozent. Das ist mehr als ein Viertel der Bewohner. Bad Herrenalb gilt als Residenz für Senioren.

 

Das hat einen Grund: Seit 1954 ist die als ehemaliges Klosterdorf bekannte Kleinstadt am Rand des Nordschwarzwalds anerkannter heilklimatischer Kurort. „Bei uns ist die Luft besonders gut“, sagt der parteilose Bürgermeister Norbert Mai, der seit 2003 im Amt ist. Hier, am oberen Ende des Albtals, das die Kommune mit Ettlingen und Karlsruhe verbindet, lässt es sich gut leben – und offenbar auch gut altern. Vor wenigen Tagen erst gratulierte Bürgermeister Mai einer 102-Jährigen zum Geburtstag – sie ist nicht die einzige Hochbetagte am Ort.

Doch wer glaubt, auf der Kurpromenade würde es von Rollatoren nur so wimmeln, irrt. Es scheint sich auch nicht um eine natürlich gewachsene Überalterung der Bevölkerung zu handeln. Der Wanderungssaldo ist positiv. Bad Herrenalb gehört zu den wenigen Kommunen im Kreis Calw, die nicht an Bevölkerung verlieren – das bestätigt auch Frank Wiehe, Dezernent im Landratamt. Sogar das Geburtendefizit hatte sich zuletzt deutlich verringert. In dem Kurort scheint es fast zwangsläufig, dass die Leitung im Stadtseniorenrat bei einer 90-jährigen Kurärztin liegt. Aber kaum jemand scheint sich mit der über Jahre gewachsenen Struktur des Ortes systematisch befasst zu haben. Erst zaghaft beginnt man sich in der Kommune mit der Demografie auseinanderzusetzen.

Der Gemeinderat hat den demografischen Wandel ignoriert

Der demografische Wandel sei in den vergangenen 20 Jahren „kein Thema im Gemeinderat gewesen“, sagt Christian Romoser. Der selbstständige Handwerksmeister ist ein Gewächs des Kurortes, 1994 zog er erstmals in den Gemeinderat ein, er war zeitweilig auch Sprecher der CDU-Fraktion. Auch er kommt ins Grübeln: „Die Überalterung des Ortes ist ein großes Problem“, sagt er. Mit 51 Jahren zählt er im 16-köpfigen Gemeinderat zu den Jüngeren.

Zwei Bauprojekte der 1980er Jahre, das Plangebiet „Adrion“ und der Straßenzug „Rehteich“ mit rund 300 neuen Eigentumswohnungen hätten viele Neuzuzüge nach Bad Herrenalb zur Folge gehabt. „Es hat als schick gegolten, hier zu wohnen“, sagt Romoser. Das weckte auch Begehrlichkeiten bei Einheimischen – es entstanden weitere Mehrfamilienhäuser. Keiner habe über die Folgen nachgedacht, sagt Romoser. Als betagte Bewohner starben und Wohnungen neu vermietet wurden, sei das Preisgefüge insgesamt abgestürzt. Der einst eher hochpreisige Einzelhandel habe sich nicht mehr halten können, Hotels und Restaurationsbetriebe seien weggebrochen. „Wir haben zu wenige Einwohner am Ort, die in Lohn und Brot stehen“, resümiert Romoser.

Seit Jahren wird über ein Gewerbegebiet diskutiert

Es sah aus, als ob die Kurstadt längerfristig in eine Abwärtsspirale geraten würde. Sie hat kein eigenes Gewerbegebiet, obwohl seit Jahren darüber diskutiert wird. Vor Jahren entschied der Gemeinderat einhellig, allein auf Kurgäste und Tourismus zu setzen. Ein 2010 erschlossenes neues Baugebiet am Ortsrand, das junge Familien anlocken soll, erwies sich bisher als Flop. Eine riesige Bäderlandschaft, die eine Investorengruppe vergangenes Jahr versprach, und über die es im Spätherbst einen erfolgreichen Bürgerentscheid gab, erschien als rettende Lösung. Der Bürgermeister mahnt, es gelte „eine reine Schlafstadt zu verhindern.“

Ein Symbol für den Wandel ist das einst renommierte Mönchs Posthotel. Das imposante Gebäude geht auf das Jahr 1739 zurück. Mit der Schließung des Hotelbetriebs im Jahr 2002 und dem Tod des früheren Inhabers „sei auch Bad Herrenalb in einen Tiefschlaf gefallen“, berichtet Stephan Bode, der aus Hamburg gekommene Direktor des Hotels Schwarzwald Panorama. Sein Haus, im Verbund der Acura Ruland-Kliniken, zeigt, wie man Zukunftsperspektiven entwickeln kann. Die Belegungszahlen steigen. Auch die 1997 eröffnete Ruland-Klinik mit 275 Zimmern und 164 Mitarbeitern entwickelte sich zur Stadt in der Stadt.

Die Ruland-Klinik oberhalb des Kurparks ist eine eigene Welt

Der „Gesundheitsberg“, wie der Geschäftsführer der Ruland-Klinik, Heiko Schöne, ihn nennt, thront oberhalb des Kurparks und hat keine wirkliche Anbindung an den Ort. Die Klinik mutierte infolge der Gesundheitsreform zu einem Selbstversorgungshaus mit eigenem Laden, eigenem Restaurant, Friseur und Drogerie im Haus. Schöne weiß um die Sorgen des Bürgermeisters Norbert Mai, der „kein Geld im Haushalt hat“ und selbst den Kurbus streichen musste. Längst hat deshalb die Klinik einen eigenen Abholservice zum nahe gelegenen Bahnhof eingerichtet. Hoteldirektor Bode immerhin sieht die veränderte demografische Situation als „Notwendigkeit zum Bewusstseinswandel“. Das Wort Barrierefreiheit sei in Bad Herrenalb ein Fremdwort, sagt er. Die 600 Meter, die es vom Bahnhof leicht bergauf in die Stadtmitte sind, erscheinen unüberwindbar.

Sonja Feistauer, die 2011 als Bürgermeisterkandidatin antrat, forderte damals ein Gesamtkonzept zum Thema Demografie. Die Rechtsanwältin, die bis vor einem Jahr für die Grüne Liste auch im Gemeinderat saß, sieht die Barrierefreiheit „nur punktuell verwirklicht“. Die alten Menschen im Ort will sie auch nicht „als potenzielle Pflegefälle“ verstanden wissen, sondern deren Kreativität und Potenzial stärker nutzen. Der katholische Kurseelsorger Hans-Jörg Hyneck, der seit 25 Jahren in Bad Herrenalb lebt, vermisst eine ansprechende Seniorenarbeit. Es gebe viele ältere Alleinstehende, sagt der 62-Jährige. Er hält Seniorennetzwerke für erstrebenswert. Er habe vor Jahren eine Begegnungsstätte im damals leer stehenden Bahnhofsbau vorgeschlagen, sei jedoch „beim Bürgermeister abgeblitzt“. Die bisherige Leiterin des Stadtseniorenrats, die 90-jährige Ehrenbürgerin, „lasse niemand anderen ran“.

Der Bürgermeister lobt die hohe Lebensqualität

Teilweise prallen in der Gemeinde Welten aufeinander – wie beim Bürgerentscheid zum Bäderprojekt im Dezember, bei dem die Alt- und Neubürger unterschiedlicher Auffassung waren. Auch der seit 2003 amtierende und 2011 wiedergewählte Bürgermeister Mai wirkt etwas hilflos angesichts der anstehenden Herausforderungen. Doch in seiner zweiten Amtsperiode steht ein Projekt kurz vor der Umsetzung. Am Westrand des Ortes wird gerade ein Einkaufsmarkt gebaut, „ein Vollsortimenter mit 1550 Quadratmetern“. Gleich daneben entstehe ein Drogeriemarkt mit 700 Quadratmetern, schwärmt er. All das gab es bisher nicht in Bad Herrenalb, auch wegen der Widerstände des örtlichen Handels. Dass Bad Herrenalb „von älteren Menschen als Altersruhesitz gewählt werde, spreche für die Stadt“, sagt der Bürgermeister. Es gebe gute kulturelle Angebote, großzügige Grünanlagen, 150 Kilometer ausgebaute Wanderwege. Dazu betreutes Wohnen und auch Pflegehilfen – vieles davon allerdings ehrenamtlich, das muss er einräumen. Bis 2017, sagt er, wolle sich die Stadt runderneuern: der Rathausvorplatz soll neu gestaltet und barrierefrei werden, an der Ortsdurchfahrt würden neue Übergänge geschaffen. „Wir wollen bestehende Mängel im Zuge der Gartenschau aufarbeiten“, verspricht Mai. Eine „gesunde Altersmischung“ gebe es nur, wenn der Ort selbst attraktiv erscheint, sagt er.

2011 zählte Bad Herrenalb rund 2500 abhängig Beschäftigte, fast 150 mehr als 2003 zu Beginn seiner Amtszeit. Allerdings ist die Zahl der Arbeitsplätze am Ort in diesem Zeitraum um fast 200 gesunken. Unter den 2500 Erwerbspersonen sind fast 1400 Auspendler. Ihnen stehen rund 500 Einpendler gegenüber, vorwiegend im Tourismus. Von der Vision, die vor rund 15 Jahren in einer Studienarbeit publiziert wurde, ist Bad Herrenalb weit entfernt. Der Autor hatte darin ein alttestamentarisches Zitat modifiziert: Es sollen hinfort wieder sitzen auf den Plätzen Bad Herrenalbs alte Männer und Frauen; jeder mit seinem Stock in der Hand von hohem Alter, und die Plätze der Stadt sollen voll sein von Knaben und Mädchen, die dort spielen.“

Der Trend geht auch in Bad Herrenalb zum Kurzzeittourismus

Seit 1954 ist das als ehemaliges Klosterdorf bekannte Bad Herrenalb ein anerkannter heilklimatischer Kurort. Im Jahr 1971 wurde in 600 Meter Tiefe eine Thermalquelle erbohrt – kurz darauf wurde die Stadt mit dem Titel „Bad“ ausgezeichnet. Herrenalb zählt heute etwa 7400 Einwohner. Seit Anfang der 1970er Jahre betreibt die Stadt das Thermalbad „Siebentäler Therme“. Noch in den 70er und 80er Jahren zählte man in Bad Herrenalb jährlich rund 800 000 Übernachtungen. Doch auch hier geht der Trend zum Kurzzeittourismus. Die Statistik für 2011 wies noch 202 170 Übernachtungen aus. Damit lag die Stadt aber immer noch über der Statistik von Bad Wildbad (163 029) und Bad Liebenzell (150 172), ebenfalls im Kreis Calw. Herrenalb ist damit vergleichbar mit Kurstädten wie Bad Bellingen, Bad Schönborn oder Bad Rappenau. Die Gesamtverschuldung der Stadt liegt bei etwa 16 Millionen Euro. Das Baugebiet „Am Rennberg“, das sich als Fehlinvestition erwies, könnte diese Last um weitere etwa fünf Millionen Euro erhöhen. Das Haushaltsvolumen insgesamt liegt bei knapp 27 Millionen Euro im Jahr. Jährlich fallen in Bad Herrenalb außerdem etwa 800 000 Euro Defizitausgleich für die „Siebentäler Therme“ an. Die Pro-Kopf-Verschuldung der Kommune liegt bei 2162 Euro. Auch die „kleine Gartenschau“, die im Jahr 2017 stattfinden soll, wird die Stadt mit weiteren zwei Millionen Euro belasten.