Ob Russland, Türkei oder Ungarn – immer häufiger führen Politiker das Wort, die zwar demokratisch gewählt sind, aber die Werte der Demokratie mit Füßen treten. Knut Krohn warnt vor den langfristigen Folgen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Von Wladimir Putin lernen, heißt siegen lernen. Mit der Annexion der Krim hat der Präsident den Zerfall seines Landes beendet und dem eigenen Volk neues Selbstbewusstsein eingeimpft. Nach diesem Erfolg spielt der Kremlchef nun in der Ostukraine mit der Staatengemeinschaft Katz und Maus. Er vermittelte bei der Befreiung der OSZE-Geiseln, wollte aber der Welt Glauben machen, dass sein Einfluss nicht ausreichte, die prorussischen Separatisten von ihrem gefährlichen Referendum abzubringen.

 

Putin hat gezeigt, dass in seinem Kopf ein kalter Krieger herrscht und tief in seinem Herzen der verletzte Stolz regiert. Aber er will wie ein aufrechter Demokrat wirken. Aus diesem Grund legt er großen Wert darauf, dass der Coup auf der Krim staats- und völkerrechtlich korrekt verlaufen sei – und natürlich ist alles auch demokratisch legitimiert. Doch was heißt in diesem Fall demokratisch? Putin ist kein wirklicher Demokrat, auch wenn er sich vielleicht selbst für einen hält. Der russische Präsident spielt nur eine Rolle, er ist ein lupenreiner Scheindemokrat.

Durch die Krise in der Ukraine wurden nicht nur die Grenzen Europas verrückt und eine über Jahrzehnte stabile Sicherheitsordnung zerschmettert. Das radikale Vorgehen Putins könnte eine bedrohliche Strahlkraft entwickelt. Er droht zum Rollenmodell für mächtige Staatenlenker mit ähnlicher politischer DNA zu werden.

Auch in der Türkei gelten alte Werte nichts mehr

Ein ähnliches „spielerisches“ Verständnis von Demokratie demonstriert der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan. Einst angetreten, die verkrusteten Strukturen des Staates mit demokratischen Mitteln zu zerbrechen, offenbart er inzwischen despotische Züge. Die Demokratie ist in seinen Händen zum Deckmantel verkommen, unter dem er rücksichtlos die eigene Macht zementiert. Friedliche Protestierer werden zu Terroristen abgestempelt. Wie er die Minenarbeiter in Soma abkanzelt, ist ein Skandal. Und wenn er das Internet zensiert, dann ist das für den Premier natürlich kein Schlag gegen die Meinungsfreiheit, sondern er schützt damit den Staat vor dem Ausspionieren von Staatsgeheimnissen.

Doch auch in den Staaten der Europäischen Union kann Putins Saat auf fruchtbaren Boden fallen. Ungarns Premier Victor Orban verfügt mit seiner Zweidrittelmehrheit im Parlament über eine ungeheure Machtfülle, die er gezielt einsetzt, um das demokratische System nach seinem Willen umzubauen. Einem Mann wie ihm kommt es nicht in den Sinn – wie er der deutsche Bundestag praktiziert –, der marginalisierten Opposition mehr Rederecht einzuräumen, weil sie sonst kaum gehört wird. Für Orban gibt es nur Sieger oder Verlierer. Kompromisse, von denen die Demokratie lebt, definiert er für sich als Niederlage.

Kaum auszurechnen, wie groß der politische Flurschaden ist, den jene Männer anrichten, die sich als Demokraten ausgeben, die Demokratie aber vor allem zu ihrem Vorteil nutzen. Das schlechte Vorbild wirkt nach außen und innen. Die pseudodemokratischen Elemente werden zur Irreführung der Weltöffentlichkeit eingesetzt. Dass das nicht immer gelingt, zeigt die Tatsache, dass die russische Annexion der Krim bisher nur von Syrien und Nordkorea anerkannt ist. Aber diese Politiker erschüttern die Demokratie im Fundament, weil die Menschen das Vertrauen in die demokratischen Abläufe verlieren. Irgendwann wird Demokratie nur noch mit Nepotismus, Korruption, Geschwätz und Willkür der Mächtigen gleichgesetzt. Das demokratische Gerüst ist aber nur begrenzt tragfähig, wird es nicht mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausgefüllt. Den Willen des Volkes umzusetzen ist eine anstrengende Übung, das Schließen von Kompromissen muss tagtäglich geübt werden. Das Fundament ist dabei die Stärke des Rechts, nicht das Recht des Stärkeren. Ist es umgekehrt, ist es keine Demokratie.