Das Aktionsbündnis „endlich abschalten“ hat zu einer Demonstration vor dem Atomkraftwerk Neckarwestheim aufgerufen. Im Lichte der Invasion Wladimir Putins und der russischen Angriffe auf ukrainische Kernreaktoren erhält die Aktion beklemmende Brisanz.
Kirchheim/Neckar - Etwa 500 Menschen aller Altersgruppen haben am Sonntagnachmittag für den Ausstieg aus der Atomkraft demonstriert. Sie wanderten von Kirchheim bis vor den Neckarwestheimer Reaktor. Dabei ist der eigentliche Anlass – die Reaktorhavarie vor elf Jahren im japanischen Fukushima – noch von Putins brandgefährlichem Machtspiel rund um die ukrainischen Reaktoren überschattet worden.
Bunter Tross mit Plakaten und Pfeifen
Der Fahrplan ist seit Jahren der gleiche: Nach ersten Reden am Bahnhof in Kirchheim setzt sich der bunte Tross mit Plakaten und lärmenden Pfeifen über die Neckarbrücke in Bewegung. Dann geht es steil hinauf durch die Weinberge, bis die Kuppeln der Neckarwestheimer Reaktorblöcke sowie die hohen
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am Horizont auftauchen. Das Aktionsbündnis, das von rund 20 Organisationen unterstützt wird, darunter der Natur- und Umweltschutzorganisation BUND, die Naturfreunde und Fridays for Future, hatte die Kundgebung ursprünglich als Aufruf für Klimaschutz ohne fossile Energien und ohne Atomkraftwerke geplant. In Erinnerung an den 11. März 2011, als in Fukushima drei Atomreaktoren wegen eines Flutwelle geschmolzen waren und große Mengen radioaktiver Substanzen freigesetzt worden waren. Die Aktion wendet sich gegen den japanischen Betreiber Tepco, der große Mengen radioaktiv kontaminierten Kühlwassers in den Pazifik einleiten wolle. Noch immer müssen die drei zerstörten Reaktoren ständig mit rund 170 Tonnen Kühlwasser gekühlt werden, um weitere Umweltschäden zu verhindern.
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Doch der Krieg in der Ukraine sowie der Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja durch die russischen Truppen ließ die Veranstalter zusätzliche Akzente setzen. Der Hemminger Hausarzt Robin T. Maitra ist Vorstandsmitglied im deutschen Ableger der nobelpreisgekrönten Vereinigung internationaler Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW). Er sagt zur aktuellen Situation: „Dies führt drastisch vor Augen, wie sehr der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine neben den verheerenden Folgen des Krieges auch ohne den Einsatz von Atomwaffen zu einer nuklearen Katastrophe führen kann.“ Vorstandsmitglied Angelika Claußen ist ebenfalls Ärztin. Ihr Credo: „Ohne die zivile Nutzung der Atomenergie gäbe es auch keine Atomwaffen.“ Sie verweist dabei auf eine Rede des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, in dem er genau das betont habe.
Eine Anti-AKW-Aktie für zehn Mark
Nils Hellgardt und seine Frau sind aus Künzelsau angereist. Sie haben ihre beiden Kinder mitgebracht. „Das sind doch Gefahren, die niemand abschätzen kann“, sagt der Familienvater. Seine Frau ist bei der „Hohenlohe for Future“-Bewegung engagiert. Helmut Fischer aus Besigheim ist politisch auf Gemeinde- und Kreisebene aktiv: „Es darf keine Alternative geben zu der planmäßigen Abschaltung“, sagt der Grüne. Einige der Teilnehmer kommen zum ersten Mal, um ihrer Sorge über die atomare Bedrohung Ausdruck zu verleihen. Andere Marschierer wie der Linke Walter Kubach aus Mundelsheim sind erprobte politische Kämpfer. „Hier ist meine ‚Anti-AKW-Aktie‘ über 10 Mark.“ Er zeigt seine bereits 1986 erworbene Unterstützungsspende für die Abschaltung der Atomkraftwerks in Neckarwestheim.
Anlage 2 des Atomkraftwerks Neckarwestheim soll nach bisherigem Stand der deutschlandweiten Atomausstiegspläne und Wunsch des Karlsruher Energiekonzerns EnBW Ende 2022 vom Netz gehen. Noch Ende Februar erklärte eine Sprecherin des Unternehmens, „die Anlage wird spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet“.
EnBW macht die Tür zur Atomkraft wieder etwas auf
Ein Vorstoß des Ex-Ministerpräsidenten Günther Oettinger und Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (beide CDU) jedoch führte kurz darauf zu einem grundsätzlich anderslautenden Kommentar einer Unternehmenssprecherin: Zwar sagte sie, die EnBW stehe „uneingeschränkt zum beschlossenen Ausstieg Deutschlands aus der Nutzung der Kernenergie für die Stromproduktion“. Sie ergänzte jedoch: „Falls sich angesichts des Kriegs in der Ukraine für Deutschland in puncto Energieversorgung eine Ausnahmesituation ergeben sollte“, gelte es, dieser „effektiv zu begegnen“. Dabei stellte sie zumindest eine ergebnisoffene Prüfung der Abschaltpläne durch die EnBW in Aussicht. Noch hingegen hält die grün-schwarze Landesregierung offiziell an dem Aus für die Atomkraft fest.