Bei einem Demonstrationszug durch die Stuttgarter Innenstadt und einer Kundgebung am Rotebühlplatz kämpft die Deutsche AIDS-Hilfe gegen Diskriminierung und betont, dass HIV-Infektionen dank Therapie und neuen Medikamenten nicht mehr ansteckend sind.

Stuttgart - Vier Tage lang hat die Deutsche AIDS-Hilfe zusammen mit der Selbsthilfebewegung in Stuttgart bei den „20. Positiven Begegnungen“ über den aktuellen Stand zum Thema HIV-Infektion und Aids-Erkrankung konferiert, mit rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Am späten Samstagnachmittag nun ist „Europas größte Konferenz zum Leben mit HIV“, so die Veranstalter, dann auf die Straße gegangen. Zentrales Anliegen war dabei laut Konferenzleiterin Heike Gronski, „eine in der Öffentlichkeit noch wenig realisierte Tatsache bekannt zu machen: Dass HIV-positive Menschen heute in jeder Hinsicht leben wie andere Menschen. Denn HIV-Medikamente sorgen dafür, dass sie gesund bleiben und verhindern zudem die Virus-Übertragung.“ Dementsprechend das Motto der Demo, die von der Liederhalle aus am Lindenmuseum vorbei zum Rotebühlplatz führte: „HIV-Übertragung unter Therapie? Unmöglich!“

 

„Wir können aus dem gleichen Glas trinken“

Mit Dutzenden von Plakaten trugen die rund 350 Beteiligten, in der Mehrzahl Männer, diese Botschaft durch die Stadt. „Liebe“ hatte einer dazugesprüht, „Virus und Null Ansteckung - Lebensfreude, befreiter Sex: Endlich!“ ein Anderer getextet. Michelle trug ein Plakat mit „Mein Sex gehört mir“ vorne und „Keine Rechenschaft für Leidenschaft“ hinten drauf. „In Würde leben“ stand auf einem weiteren Stück, wobei sich der Zug bei Techno-Beats und animierender Musik frohgelaunt voranbewegte: „Ein Hoch auf uns, auf das, was uns vereint!“ tönte es lautstark, und ohne ihre tänzerischen Bewegungen zu unterbrechen, erklärt eine 42-Jährige „von der Schwäbischen Alb“, warum sie mitmacht: „Hallo, wir sind überall! Die Leute sollen begreifen, dass wir nicht ansteckend sind. Wir haben Familie, gehen zur Arbeit, können am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Wir können aus dem gleichen Glas trinken!“

„Die Kölner sind Kampfmaschinen“

Bester Stimmung ist auch die 78-jährige Lilo Waßmann: „Die Kölner sind Kampfmaschinen“, sagt die Dame. 1992 hatte sie „die Diagnose bekommen“. Doch nach dem Tod ihres Mannes hatte die „verhinderte Opernsängerin“ beschlossen, „das Leben weiter zu genießen, denn das Virus zu haben, heißt nicht automatisch, an Aids erkrankt zu sein“. Nun läuft sie mit, „um dem Volk zu zeigen, dass man vor uns keine Angst haben muss und dass jeder Sex haben kann, auch wenn er infiziert ist“. Im übrigen gehe es darum, „Gesicht zu zeigen und sich zu bekennen“. Selbst unter den Kongressteilnehmern gebe es einige, die sich nicht getraut hätten, mit zur Demo zu gehen.

„Zu heiß“ sei das auch Bekannten von ihm gewesen, erzählt ein 56-jähriger Stuttgarter, der den Demozug mit einem Transparent abschließt, an dem an Stuttgarter Aids-Opfer erinnert wird. Hier nun gelte es, „eine positive Botschaft und ein neues Bild“ zu verbreiten: „Die Angst vor Kontakt mit HIV-Infizierten ist noch in den Köpfen. Mit den neuen Medikamenten kann man aber gut mit der Infektion leben und ein relativ normales Leben führen. Und wenn man in Therapie ist, ist das Virus nicht ansteckend“, betont er: „Das sollten die Leute wissen!“

200 Luftballons steigen in die Höhe

„Küss mich, ich bin HIV+“ hat Marie aus Frankfurt auf ihr Plakat gemalt. Von einschlägigen Erfolgserlebnissen unterwegs will die 40-Jährige aus Frankfurt jetzt nicht erzählen: „Das ist ein Gag. Ich will ja auch meinen Spaß haben!“, sagt sie – und legt Wert auf die Feststellung: „Ich bin alleinerziehende Mutter mit einem gesunden Kind. Es ist an der Zeit, dass die Gesellschaft Infizierte positiv

wahrnimmt.“

Tatsächlich aber gehöre „Diskriminierung wegen HIV immer noch zu unserer Lebensrealität. Und leider wird es in den letzten Jahren wieder schlimmer“, sagte Ulf Hentschke-Kristal vom Vorstand der AIDS-Hilfe bei der Schlusskundgebung, wobei er „Pöbeleien in sozialen Netzwerken“ anführte. Heiko Großer, Aktivist aus Berlin, thematisierte „Angriffe auf gesellschaftliche Minderheiten“: „Noch sind es die Geflüchteten. Aber die AfD fordert die Erfassung von Minderheiten und die Streichung von Zuwendungen“. So sieht er „unsere seit über 30 Jahren arbeitende Selbsthilfe in Frage gestellt wie noch nie“. Der Kampf gegen „rechte Hetze und Gewalt“ müsse „gemeinsam mit der demokratischen Zivilgesellschaft“ geführt werden. Den Schlusspunkt setzten 200 bunte Luftluftballons, mit denen die Botschaft des Tages in den Himmel stieg: „Positive sind nicht infektiös“.