Als bayerischer Wirtschaftsminister gerät der Freie-Wähler-Chef zunehmend in die Kritik: Er pflegt sein Image als rechter Polit-Rebell bei Bauernprotesten, kümmert sich aber kaum noch um die drängenden Aufgaben seines Amtes. Der Koalitionspartner und auch Bayerns Mittelstand sind genervt.
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine Einrichtung von höchstem Rang und immenser Bedeutung in der deutschen Forschungslandschaft. Sie hat einen Senat als oberstes Entscheidungsorgan, der etwa beschließt, an wen die jährlich knapp zwei Milliarden Euro Forschungsgeld fließen, die es zu verteilen gilt. In den viereinhalb Jahren bis zum Juli 2023 hat sich dieser Senat 14 Mal getroffen. Eines der Mitglieder blieb den anderen allerdings gänzlich unbekannt, er war bei keiner einzigen Sitzung dabei: Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, der auch Chef der Freien Wähler (FW) ist.
In der ganzen Republik kennt man den Niederbayern als rechtslastigen Polit-Rebellen, aus dessen Mund nach eigener Ansicht Volkes Stimme spricht. Den Bürgern will er Geflüchtete vom Leib halten, er wettert gegen das „Establishment“ – dem er selbst zweifelsohne angehört – und ausufernde, sinnlose Bürokratie. Im vergangenen Jahr rief er auf einer Demo in Erding eine „schweigende Mehrheit“ dazu auf, sich die „Demokratie zurückzuholen“.
Am Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger allerdings zweifelt man im Freistaat mehr und mehr. Reale Taten sind kaum zu sehen, und wo es wichtig ist, ist er nicht da. Gerade ist da einiges über den 52-Jährigen Diplom-Agraringenieur hereingebrochen.
Zum Thema Max-Planck-Gesellschaft meint die Grünen-Landtagsabgeordnete Verena Osgyan etwa, dass sich Aiwanger „für das Thema Forschung überhaupt nicht interessiert“. Seine Dauer-Abwesenheit im Senat schade dem Freistaat und berge die Gefahr, „dass Gelder statt nach Bayern woandershin fließen“. Tatsächlich ist er in dem Gremium der einzige politische Vertreter Bayerns.
Aiwanger sieht sich in einem „Zielkonflikt“
Auf seine Fehlzeiten angesprochen, sprach er vor Journalisten wabernd von einem zeitlichen „Zielkonflikt“ und der Frage: „Was zieht man vor?“ Stets war ihm alles andere offenbar wichtiger. Eine MPG-Sitzung nehme, so meinte Aiwanger, mit An- und Abreise „mindestens einen Tag“ in Anspruch.
Was so nicht ganz stimmt. Laut MPG waren die Sitzungen im Frühjahr 2019 und 2022 in München in der Zentrale am Hofgarten. Von Aiwangers Wirtschaftsministerium sind es bis dahin nur 900 Meter zu Fuß. 2020 und 2021 wurden vier Sitzungen wegen der Coronapandemie virtuell abgehalten, die hätte Aiwanger auch am Schreibtisch im heimischen Rahstorf per PC verfolgen können.
Die Bundes- und Landespolitiker im MPG-Senat werden von der Kultusministerkonferenz benannt. Dieser wurde Aiwangers Dauerschwänzen offenbar zu bunt, und so verlängerte sie die Besetzung durch ihn Ende Juni 2023 nicht. Seitdem bleibt der Sitz auch offiziell leer. Die Grünen bringen nun den Antrag in den Landtag ein, den Posten mit dem CSU-Wissenschaftsminister Markus Blume zu besetzen. Dieser gilt als äußerst seriös und pflichtbewusst, aber etwas blass. Diese Schmach allerdings würde der FW-Koalitionspartner wohl kaum hinnehmen.
Aiwanger musste bereits dieser Tage einen Tiefschlag hinnehmen. Bei einem Bürgerentscheid in Mehring im Südosten des Freistaats wurde der Bau von zehn Windkraftanlagen deutlich abgelehnt. Die Staatsregierung hatte aber im dortigen so genannten Chemiedreieck bei Altötting und Burghausen einen Mega-Windpark mit 40 Anlagen geplant. Denn die vielen angesiedelten Betriebe der chemischen Industrie – darunter Wacker, BASF und Linde – haben einen gewaltigen Strombedarf.
Aiwanger wird vorgeworfen, dass er sich vor dem Bürgerentscheid nicht vor Ort hat blicken lassen, das Projekt nicht erklärt und nicht dafür geworben hat. Um die Scherben aufzukehren, trommelte er danach eilig die dortigen Lokalpolitiker zusammen. Man besprach das weitere Vorgehen und will nun „möglichst viele der 40 Windräder retten“, so der Minister wolkig.
Markus Söder beklagt, dass die Wirtschaftspolitik an ihm hängen bleibt
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte schon vergangenen Herbst im Wahlkampf gesagt: „Ich muss häufig die Wirtschaftspolitik selbst machen. Das ist so, leider.“ Mittlerweile wird Aiwanger auch aus der Wirtschaft offen kritisiert. „Er scheint in seinem Amt ziemlich absent zu sein“, sagt etwa Achim von Michel vom bayerischen Ableger des Mittelstandsverbands BVMV im Gespräch mit unserer Zeitung. Es nutze nichts, wenn er „nur über die Berliner Ampel schimpft“. Man erwarte etwa dringend, „dass er Lösungen liefert“ und etwa für stabile und bezahlbare Energiepreise sorge. Von seiner angekündigten Härtefallkommission für notleidende Mittelständler, die die Corona-Hilfen jetzt nicht sofort zurückzahlen können, sei nichts mehr zu hören.
Aiwanger aber fährt von einer Bauerndemonstration zur nächsten und ergreift auch immer das Mikrofon, wenn man es ihm überlässt. Am 8. Januar hatte er einen regelrechten Demo-Marathon angekündigt. Da wollte er über den Tag und den Freistaat verteilt gleich vier Kundgebungen von Landwirten besuchen: bei ihm daheim in Landshut, dann in München, in der Oberpfalz und abends schließlich im niederbayerischen Rottal.
Das Interesse Aiwangers gitl der Jagd
Sorgsam pflegt er sein rechtes Image irgendwo zwischen CSU und AfD. An den vielen Demos gegen Rechtsextremismus und für Demokratie mit Hunderttausenden Menschen nahm Aiwanger nicht teil. Denn diese seien auch „von Linksextremisten unterwandert“. Den Skandal um das antisemitische Nazi-Flugblatt in seiner Schülerzeit hat er nicht nur ausgesessen, er hat ihm bei der Landtagswahl sogar zusätzliche Stimmen eingebracht. Denn Aiwanger schaffte es, sich als „Medienopfer“ zu gerieren.
Als Minister wiederum hat er ein neues großes Interesse: Seit der neuen Kabinettsbildung ist er auch für das bayerische Jagdwesen zuständig. Das wollte er unbedingt, dafür gab er von seinem Haus gar den ungleich wichtigeren Bereich Tourismus an das CSU-geführte Landwirtschaftsministerium ab. In der CSU schüttelt man nicht nur darüber den Kopf. Insgesamt sind die Christsozialen hochgradig genervt von ihrem immer wieder irrlichternden alten und neuen Koalitionspartner. Allein – es blieb ja keine Alternative, hatte Markus Söder doch ein Bündnis mit den Grünen kategorisch ausgeschlossen.
Mit großem Eifer arbeitet Hubert Aiwanger nun an dem doch recht überschaubaren Themenfeld des Jagdwesens. Er selbst ist ja Jäger und steht auch dem Kreisverband des Jagdverbands im heimischen Rottenburg an der Laaber vor. Im Urlaub, so bekannte er einst, geht er am liebsten in den eigenen Wald.
Im Dezember war seinem Ministerium eine Verbesserung bei den „Nachsuchengespannen“ im Jagdwesen sogar eine fast einseitige Pressemitteilung wert. Das Thema: Wird ein Tier bei der Jagd nur angeschossen und läuft verletzt davon, so darf es von Mensch mit Hund – dem Nachsuchegespann – auch außerhalb des eigenen Reviers gesucht und erschossen werden. In der Landespolitik wird gespottet, dass Hubert Aiwanger sein Hobby zum Beruf gemacht hat.