Die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung entwickeln einen Handschuh, der die Kraft des Trägers verstärkt. Arbeiter in großen Versandhäusern oder Kassierer im Supermarkt könnten sich damit die Gelenke schonen.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Denkendorf - Ein bisschen sieht es so aus, als wäre da eine menschengroße Marionette am Werk. Vier Seile sind an den Handschuhen eines Lagerarbeiters befestigt, ziehen die Arme hoch und unterstützen so die Bewegungen, mit denen er Pakete stapelt.

 

Die Ingenieure Sandra Blocher und Michael Haupt haben dieser Tage für die Denkendorfer Textilforschungsinstitute (DITF) einen Auftrag der Firma Schmalz aus Glatten bei Freudenstadt zu einem guten Ende gebracht. Sie haben einen Handschuh entwickelt, der die Kräfte seines Trägers auf wundersame Weise verstärkt.

Die menschliche Hand ist einmalig auf unserem Planeten

Die menschliche Hand ist einmalig auf unserem Planeten. Je nachdem, welches Material sich eine Hand vornimmt, greift sie verschieden: einen harten Stein anders als eine weiche Milchtüte, zu einem Blatt Papier gehen die Finger anders als zu einem festen Karton.

Wer also die Kraft einer Hand verstärken will, der muss ihre Fähigkeiten abbilden. „Zupacken“, „greifen“, „berühren“, die Liste der Wörter, die die Fähigkeiten einer Hand beschreiben, ist genauso groß wie die Einsatzmöglichkeiten der Kraftverstärkung. Arbeiter in großen Internetversandhäusern, an Supermarktkassen, in Postämtern, können diese Kraftverstärkung gut gebrauchen.

Denn selbst bei leichten Waren unter zwölf Kilogramm verursachen die körperlichen Belastungen bei den Lagerarbeitern nach längerer Zeit Beschwerden wie etwa chronische Rückenschmerzen. Schon heute gibt es verschiedene Hebehilfen, doch werden die in der Praxis nicht gern eingesetzt, weil sie zu umständlich sind. Schließlich muss man nicht nur Kartons bewegen, sondern auch Säcke und Eimer, und für jede Verpackung bräuchte es da einen speziellen Kran. Die menschliche Hand dagegen schafft das alles.

Wie funktioniert nun die künstliche Kraftverstärkung? Die Sensoren an dem Kraft-Handschuh erkennen das Gewicht und die Handhaltung, sowie den Druck, den die Hand ausübt. Sie steuern über zwei Bluetooth-Schnittstellen einen Computer an, und der bewegt zwei motorgesteuerte Riemen, in die der Handschuh eingeklinkt ist. „Die Software weiß, was die Person genau machen will“, erklärt Michael Haupt, der die Abteilung für elektronische Textilien leitet. Weil jede Hand anders ist und jeder Mensch sowieso, weiß die Software auch, welcher Arbeiter wie am Werk ist.

Sandra Blocher hat selbst Hand an den Kraft-Handschuh gelegt. Er besteht aus Alcantara, das ist eine besondere Kunstledersorte, die man oft für Autositze verwendet, weil sie abriebfest ist. Das Material hat sie unter die Maschine gespannt und mit verschiedenen Sensoren bestickt. Die wiederum sind handelsübliche Teile der Industrie, um die Kosten gering zu halten. Hier hat sie sich Know-how von der Firma Alfa Rotec aus Duisburg geholt, die Spezialhandschuhe unter anderem für Gießereien herstellt. „Es war gar nicht so einfach, in Deutschland noch eine Firma zu finden, die Handschuhe fertigt“, sagt die Ingenieurin.

Technische Textilien sind in vielen Bereichen am Markt

Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Sandra Blocher und ihr Chef Michael Haupt haben es von ihren Vorgängern übernommen und können es jetzt an die Auftraggeber zurückgeben. Ob der künstliche Kraftverstärker jemals marktreif wird, das ist noch ungewiss. Dass die technischen Textilien generell eine Zukunft und auch eine Marktchance haben, dafür hat Michael Haupt greifbare Beweise: Die beheizbare Thermo-Skihose für den Spitzensport, die von den DITF im vorigen Jahr entwickelt wurde, wird jetzt vom Sportartikelhersteller Bogner verkauft.