Elisabeth Frister atmet durch und schließt auf: Das Mysterium öffnet sich. Sie muss einem den Aufbau des Bildes Stück für Stück erklären, das meiste verstehen heutige Betrachter nicht ohne Hilfe. Gemalt hat es der Zeichenlehrer am Stuttgarter Hof Johann Friedrich Gruber. Dabei musste er sich strikt an die Anweisungen der Prinzessin und ihrer Berater halten. Das dürfte dem Van-Dyck-Schüler nicht gepasst haben, es ist unsigniert. Die Religionswissenschaftlerin Eva Schauer beschäftigt sich seit Jahren mit Antonia. Sie hat herausgefunden, dass sich Gruber dennoch in dem Werk verewigte. Er gab einem himmlischen Cherubinen sein Gesicht.

 

Für die Zeitgenossen muss das Gemälde ein Weltpanorama gewesen sein. Heutige Betrachter erinnert es an ein Wimmelbild in einem Kinderbuch, an einen Comic oder eine Graphic Novel. Die Religionswissenschaftlerin Schauer beschreibt ein Gesamtkunstwerk, in dem kein Attribut zufällig ist und so gut wie jeder Gegenstand eine mehrfache Bedeutung hat: „In einen von einer Rosenhecke umgebenen schattenlosen Garten tritt durch einen Bogen aus Weinreben eine Frau. Sie hält ein brennendes Herz in ihrer rechten Hand und in der linken Anker und Kreuz, die Zeichen für Glauben und Hoffnung. Sie blickt auf Christus umgeben von den zwölf Jakobssöhnen. Er ist nicht nur die Mitte der zwölf Stammesfürsten Israels, sondern gleichzeitig die Mitte zwischen der eintretenden Frau und einer Frauengestalt, die vor einem reich verzierten Tempel auf einer Mondsichel schwebt. Zum Dritten dominiert er auch eine gedachte Mittelachse, die bis zum Kuppelaufsatz aufsteigt. Auf und neben dieser Mittelachse sind Frauengestalten, mit Tugendattributen versehen, symmetrisch angeordnet.“

Die kleine in Grün gekleidete Frau im Torbogen ist Antonia selbst, und ihre Initialen zieren – groß und unter einer Krone – die Kuppel. Darunter und daneben breiten sich eine Vielzahl von Landschaften und Szenen aus dem Alten und Neuen Testament aus, Darstellungen der Propheten, Apostel und Evangelisten, dazu Tiere und Pflanzen und unzählige biblische Themen. Man muss gute Augen haben. Eva Schauer hat ungefähr 50 kleine Bilder gezählt. Was als Erstes auffällt, sind die hebräischen Schriftzeichen, die an verschiedenen Stellen auftauchen: Spuren der Kabbala. Antonia hatte unter anderem Hebräisch gelernt, die Bibel und jüdische Mystiker im Original gelesen. Ihr Mentor war der Gelehrte und Hebraist Johann Jakob Strölin. Der berühmte Theologe Johannes Reuchlin aus Pforzheim hatte sich mehr als 150 Jahre zuvor als einer der ersten Forscher mit dem Judentum befasst und versucht, die mystische Lehre der Kabbala mit dem Christentum zu verbinden. Auf diesen theologischen Pfaden wandelt Antonia bei den Darstellungen auf ihrer Lehrtafel.

Die Kabbala vertritt die Ansicht, dass sich Gott in verschiedenen Wirkungsweisen entfaltet, den sogenannten Sefirot: Diese sind hier ungewöhnlicherweise als Frauenfiguren dargestellt. Für das unkundige Auge sehen sie aus wie Göttinnen, ein Umstand, der die Fantasie von Feministinnen beflügelt. Diese wird auch von dem äußeren Bild angeregt, denn dort sind nur Frauen dargestellt, etwa siebzig an der Zahl, Figuren aus der Bibel und allegorische Gestalten wie Glaube, Liebe, Hoffnung oder die Wochentage.

Johannes ist Dante, Lukas ist Paracelsus

Das Heilbad im Nordschwarzwald war schon im 17. Jahrhundert ein beliebter Kurort, auch für die Herzogsfamilie. Mit der Stiftung der Lehrtafel wollte die Prinzessin den Kurgästen etwas Heilsames für die Seele mitgeben. Und obwohl sich in den vergangenen Jahrzehnten Wissenschaftler wie Hansmartin Decker-Hauff und Otto Betz damit beschäftigt haben, ist die Botschaft dieses barocken Schreins bis heute nicht vollständig geklärt. Auf einem öffentlichen Symposium aus Anlass von Antonias 400. Geburtstag stellen am 23. März vier Referenten in Bad Teinach ihre Forschungsergebnisse vor.

Den Anstoß dazu gab die Stuttgarterin Elisabeth Frister. Sie ist schon seit Langem fasziniert von der Prinzessin: „Eine Frau, die zu sich selbst gefunden hat.“ Als Mitstreiter hat sie unter anderen den Teinacher Bürgermeister Markus Wendel und Pfarrer Ulrich Holland gewonnen. Elisabeth Frister ist Theologin, Pfarrerin und Therapeutin und arbeitet als Lehrerin für Religion und Psychologie. Sie ist in Bad Teinach geboren, ihr Elternhaus steht ganz in der Nähe der evangelischen Dreifaltigkeitskirche, wo sich seit 1673 der Schrein der Prinzessin befindet.

Oder besser: wo er versteckt ist. Denn Bad Teinach, ein kleines, wenn auch traditionsreiches Heilbad, in einem Seitental gelegen, wirbt nur sehr verhalten mit diesem weltweit einzigartigen Kulturerbe. Elisabeth Frister findet das schade. Sie hat sich den Schlüssel dazu besorgt, und das nicht nur im übertragenen Sinne: Die kleine Kirche direkt an der Hauptstraße ist üblicherweise verschlossen.

Auch beim Eintreten sieht man zunächst nichts Ungewöhnliches. Erst wenn man die Bankreihen im Gotteshaus ganz durchschritten hat und hinter den Altar getreten ist, erkennt man zur Rechten den fast wandfüllenden Schrein. Er erinnert an den Eingang zu einem Tempel, vier hölzerne Stufen und ein barock geschnitzter Holzrahmen simulieren ein Allerheiligstes: der Schrein ist gebaut wie ein Schrank mit einem inneren Bild, das von zwei (innen ebenfalls bemalten) Flügeltüren verdeckt ist. Eine der Türen hat ein Schlüsselloch.

Das Mysterium öffnet sich

Elisabeth Frister atmet durch und schließt auf: Das Mysterium öffnet sich. Sie muss einem den Aufbau des Bildes Stück für Stück erklären, das meiste verstehen heutige Betrachter nicht ohne Hilfe. Gemalt hat es der Zeichenlehrer am Stuttgarter Hof Johann Friedrich Gruber. Dabei musste er sich strikt an die Anweisungen der Prinzessin und ihrer Berater halten. Das dürfte dem Van-Dyck-Schüler nicht gepasst haben, es ist unsigniert. Die Religionswissenschaftlerin Eva Schauer beschäftigt sich seit Jahren mit Antonia. Sie hat herausgefunden, dass sich Gruber dennoch in dem Werk verewigte. Er gab einem himmlischen Cherubinen sein Gesicht.

Für die Zeitgenossen muss das Gemälde ein Weltpanorama gewesen sein. Heutige Betrachter erinnert es an ein Wimmelbild in einem Kinderbuch, an einen Comic oder eine Graphic Novel. Die Religionswissenschaftlerin Schauer beschreibt ein Gesamtkunstwerk, in dem kein Attribut zufällig ist und so gut wie jeder Gegenstand eine mehrfache Bedeutung hat: „In einen von einer Rosenhecke umgebenen schattenlosen Garten tritt durch einen Bogen aus Weinreben eine Frau. Sie hält ein brennendes Herz in ihrer rechten Hand und in der linken Anker und Kreuz, die Zeichen für Glauben und Hoffnung. Sie blickt auf Christus umgeben von den zwölf Jakobssöhnen. Er ist nicht nur die Mitte der zwölf Stammesfürsten Israels, sondern gleichzeitig die Mitte zwischen der eintretenden Frau und einer Frauengestalt, die vor einem reich verzierten Tempel auf einer Mondsichel schwebt. Zum Dritten dominiert er auch eine gedachte Mittelachse, die bis zum Kuppelaufsatz aufsteigt. Auf und neben dieser Mittelachse sind Frauengestalten, mit Tugendattributen versehen, symmetrisch angeordnet.“

Die kleine in Grün gekleidete Frau im Torbogen ist Antonia selbst, und ihre Initialen zieren – groß und unter einer Krone – die Kuppel. Darunter und daneben breiten sich eine Vielzahl von Landschaften und Szenen aus dem Alten und Neuen Testament aus, Darstellungen der Propheten, Apostel und Evangelisten, dazu Tiere und Pflanzen und unzählige biblische Themen. Man muss gute Augen haben. Eva Schauer hat ungefähr 50 kleine Bilder gezählt. Was als Erstes auffällt, sind die hebräischen Schriftzeichen, die an verschiedenen Stellen auftauchen: Spuren der Kabbala. Antonia hatte unter anderem Hebräisch gelernt, die Bibel und jüdische Mystiker im Original gelesen. Ihr Mentor war der Gelehrte und Hebraist Johann Jakob Strölin. Der berühmte Theologe Johannes Reuchlin aus Pforzheim hatte sich mehr als 150 Jahre zuvor als einer der ersten Forscher mit dem Judentum befasst und versucht, die mystische Lehre der Kabbala mit dem Christentum zu verbinden. Auf diesen theologischen Pfaden wandelt Antonia bei den Darstellungen auf ihrer Lehrtafel.

Die Kabbala vertritt die Ansicht, dass sich Gott in verschiedenen Wirkungsweisen entfaltet, den sogenannten Sefirot: Diese sind hier ungewöhnlicherweise als Frauenfiguren dargestellt. Für das unkundige Auge sehen sie aus wie Göttinnen, ein Umstand, der die Fantasie von Feministinnen beflügelt. Diese wird auch von dem äußeren Bild angeregt, denn dort sind nur Frauen dargestellt, etwa siebzig an der Zahl, Figuren aus der Bibel und allegorische Gestalten wie Glaube, Liebe, Hoffnung oder die Wochentage.

Johannes ist Dante, Lukas ist Paracelsus

Der Brautzug der Sulamith aus dem Hohelied soll das sein, der Bräutigam ist ein etwas dicklicher Christus mit einem herrschaftlichen roten Umhang. Je höher der Blick wandert, desto größer werden die Frauen. Die Urmutter Eva können auch religiöse Laien ausmachen. Ganz vorne in der Reihe kniet die Braut vor dem himmlischen Bräutigam. Sie trägt die Züge der Antonia: Die Prinzessin blickt recht selbstbewusst drein.

Eva Schauer schreibt, dass die Prinzessin der Nachwelt nicht nur ein Bekenntnis ihrer Jesusliebe hinterlassen habe. „Sie stellte ihre eigene Geschichte dar, und zwar als Übergangsritus.“ Der Schrein in seiner Gesamtheit zeige als „rite de passage“, wie sich die Frau nach ihrem Tod das Paradies vorgestellt hat.

Antonia hat gleichzeitig dem Haus Württemberg und ihren Lehrern ein Denkmal gesetzt. Dazu hat sie leider kein Handbuch verfasst. Schon länger war bekannt, dass sich hinter dem Propheten Daniel der mit Antonia befreundete Dichter Johann Schmidlin und hinter Hesekiel ihr Lehrer Strölin verbirgt. Der Hofprediger Andreä ist Jesaja, ihr Mathematiklehrer Johann Jakob Heinlin Jeremia. Aber erst Schauer entdeckte, dass auch die Evangelisten „Porträts“ darstellen: Johannes ist Dante, Matthäus Leonardo da Vinci, Markus der Pädagoge Commenius und Lukas der Heilkundige Paracelsus.

Bei zahlreichen und aufwendigen Besuchen in Schlössern, Archiven und Bibliotheken hat Schauer außerdem herausgefunden, dass alle erkennbaren Gesichter – auch alle weiblichen – auf den vier Schreinbildern historischen Figuren zuzuordnen sind. Das war mühselig, weil es von den württembergischen Damen nicht allzu viele Porträts gibt. Die Antonia-Schwestern Anna Johanna und Sibylla tauchen im Brautgefolge als „Glaube“ und „Hoffnung“ auf.

Die Prinzessin als Madonnengestalt

Bei der Auswahl der Porträtierten hat die fromme Prinzessin wohl auch ihr diplomatisches Geschick bewiesen. Ihr Bruder Herzog Eberhard ist als Juda porträtiert, der mächtigste der israelitischen Stammesfürsten. Das dürfte es ihm leichter gemacht haben, für die Herstellung der Lehrtafel zu zahlen. Antonia hatte nämlich kaum eigenes Einkommen.

Die Prinzessin selber ist nicht nur die Braut und die Frau in dem grünen Kleid, sondern auch die schwangere Frau auf der Mondsichel, eine Madonnengestalt, die auf die Offenbarung des Johannes zurückgeht. „In gewisser Weise ist diese Tafel auch eine weibliche Antwort auf die Verschwendungssucht des Hofes. Sie zeigt, wer wirklich wichtig ist“, sagt Eva Schauer. Die Gelehrten – der Seelenadel – sitzen hier, räumlich eindeutig, über dem Geburtsadel.

Wer sich sonst noch auf dem Schrein tummelt, wer zum Beispiel als Vorbild für den Christus-Bräutigam diente oder welche „sehr interessante Dame“ sich hinter Eva mit der Schlange verbirgt, will sie erst bei ihrem Vortrag in Bad Teinach verraten. „Ich werde ein Geheimnis lüften“, verspricht sie – ganz in der Tradition der württembergischen Prinzessin.