Die knapp zehn Meter große S-21-Skulptur steht bis Ende März 2021 vor dem Stadtpalais in Stuttgart. Bildhauer Peter Lenk hofft auf eine Befriedung der Stadtgesellschaft. Ministerpräsident Kretschmann hat sich schon zu dem Kunstwerk geäußert.

Stuttgart - Für Peter Lenk ist der „Schwäbische Laokoon“, wie der Bildhauer selbst seine knapp zehn Meter hohe und neun Tonnen schwere S-21-Skulptur nennt, „ein Mittel der Verständigung“. Nachdem die Stadt wochenlang gezögert hatte, dem Bildhauer aus Bodman am Bodensee die Genehmigung zu erteilen, sein satirisches Kunstwerk in Stuttgart zu zeigen, konnte am Montagabend vor dem Stadtpalais mit dem Aufbau der Kolossalskulptur begonnen werden. Rund fünf Stunden waren die Helfer eines Transportunternehmens aus Singen in der Nacht zum Dienstag damit beschäftigt, den tonnenschweren Sockel und die in vier Teile zerlegte Plastik zu montieren. Zwei Tieflader sowie ein mobiler Schwerlastkran waren im Einsatz. Der Abschnitt der Konrad-Adenauer-Straße vor dem Stadtpalais war zu diesem Zweck ab 20 Uhr gesperrt worden.

 

Denkmal zeigt Akteure, die mit S 21 verbunden sind

Das Standbild, das rund 150 Akteure aus Politik und Wirtschaft zeigt, die mit dem milliardenschweren Großprojekt verbunden sind, ist Teil einer „temporären Skulpturengalerie“, die bis Ende März vor dem Museum für Stuttgart zu sehen ist. Neben der Lenk-Plastik zeigt das Stadtpalais die Skulptur „König Wilhelm II. und seine Spitze“ von Hermann-Christian Zimmerle sowie Erik Sturms „Datenbank“.

Die Plastik „S 21. Das Denkmal – Chroniken einer grotesken Entgleisung“ besteht aus einem schräg gestellten Bahnhofsturm, an dem drei Figurenreliefs angebracht sind, dem Herzstück, dem sogenannten „schwäbische Laokoon“, sowie zwei „Wolkenkuckucksheime“ mit weiteren kleineren Figuren. Peter Lenk erklärte während des Aufbaus: „Der mythologische Laokoon konnte Troja nicht mehr warnen vor dem Trojanischen Pferd. Der schwäbische Laokoon will nicht mehr vor Stuttgart 21 warnen, weil er sich an das Volksbegehren gebunden fühlt.“ Die zentrale Figur der Plastik, der Laokoon, ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nachempfunden, der mit einer ICE-Schlange ringt. Zahlreiche andere Politiker wie Wolfgang Schuster, Günther Oettinger, Annette Schavan (alle drei CDU) oder Winfried Hermann (Grüne) sind darüber in den Wolken zu erkennen. Lenk sagte, es sei „Sache des Betrachters herauszufinden, wer die Figuren sein könnten“.

Lenk hofft auf Befriedung der Stadt

Nach Angaben des 73-jährigen Künstlers hat das Projekt rund 155 000 Euro gekostet – seine Arbeitszeit nicht eingerechnet – über Spenden seien rund 135 000 Euro zusammengekommen. Laut Bernd Spellenberg, der für Lenk die Organisation des Genehmigungs- und Aufbauprozesses in Stuttgart führte, hat das ausführende Unternehmen den Transport des Kunstwerks gesponsert.

Lenk hofft durch die humoristische Darstellung auch auf eine Befriedung der Stadtgesellschaft im Streit um Stuttgart 21. „Die Fantasie tröstet uns über das hinweg, was wir nicht sein können, der Humor über das, was wir tatsächlich sind“, sagte der Bildhauer in Anlehnung an ein Zitat des Schriftstellers Albert Camus. Der Künstler hofft zudem, dass die filigrane Skulptur während der kommenden drei Monate unbeschädigt bleibt. „Aber diese Angst ist kein Grund, sie nicht aufzustellen. Sonst könnten wir gleich aufgeben“, sagte der Bildhauer.

Führungen zur Skulptur bis Ende März

Der weitere Verbleib der Skulptur sei bis dato offen. „Die Figuren führen ein Eigenleben“, sagte Lenk mit Hinweis auf seine Arbeit „Imperia“, die in Konstanz ebenfalls zunächst auf Ablehnung gestoßen war und heute eine Wahrzeichen der Stadt sei. Spellenberg sagte, dass der Künstler sich über einen dauerhaften Ankauf der Plastik durch die Stadt freuen würde. Die Kosten hierfür lägen bei geschätzten 500 000 Euro. Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner, der am Montagabend den Aufbau der Skulptur mitverfolgte, wollte dies nicht kommentieren: „Wir müssen abwarten“, sagte er. „Der entstehende Dialog wird hoffentlich ein fruchtbarer und kann die Zukunft mitgestalten helfen.“ Stadtpalais-Direktor Torben Giese hat die Hoffnung, dass es durch Lenks satirisches Kunstwerk zu „einem anderen Umgang mit Stuttgarts unbestritten wichtigstem Bauprojekt kommen kann“.

Seine eigene Haltung sei weitgehend richtig getroffen, sagt der Ministerpräsident

Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich bereits zu dem Kunstwerk geäußert: Er finde es gut, dass das Denkmal aufgestellt werden konnte, sagte der Ministerpräsident der Agentur dpa. Eben weil das Bahnprojekt Stuttgart 21 heftig in der Kritik stand, sei eine kritische Würdigung richtig. Seine eigene Haltung sei weitgehend richtig getroffen, so Kretschmann. „Ich wollte Stuttgart 21 nicht, aber nachdem der Volksentscheid mehrheitlich für den Weiterbau ausging, mussten wir es bauen“, zitiert ihn die Agentur. Richtigerweise habe Lenk ihn „nicht bei den feixenden kleineren Gestalten seines Kunstwerks eingereiht, sondern mit mürrischem Blick ausgestattet“.

Bis Ende März 2021 bietet Bernd Spellenberg Führungen zur Lenk-Skulptur an. Informationen gibt es unter www.lenk-S21-denkmal.de. Die Teilnahmegebühr geht in den Spendentopf für das Kunstprojekt.