Auf einer Führung mit Herbert Medek haben StZ-Leser das unbekannte alte Stuttgart kennengelernt – und sehen die Stadt jetzt mit anderen Augen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Herbert Medek geht mit anderen Augen durch die Stadt als die meisten Stuttgarter. Denn zu fast jedem Haus kann er eine Geschichte erzählen, von dem Tuchscherer, der das Gebäude einst gebaut hat, oder vom königlichen Kriegsminister, der seine Kinder vom früh verstorbenen Schriftsteller Wilhelm Hauff hat unterrichten lassen. Medek weiß, wie die Straßen früher verlaufen sind und warum in vielen Vierteln des 19. Jahrhunderts immer 60 Zentimeter Abstand zwischen den Häusern ist. Jetzt hat Herbert Medek auf Bitten der Stuttgarter Zeitung 35 Leser auf eine Wanderung durch das gute alte Stuttgart mitgenommen: Anlässlich der StZ-Serie zum Denkmalschutz in Stuttgart zeigte Medek den Teilnehmern jene weniger bekannten geschützten Häuser aus der Zeit vor 1800.

 

Gleich dreifach ist Herbert Medek für eine solche Führung prädestiniert. Erstens geht er schon seit Langem regelmäßig mit Gruppen durch die Stadt und besitzt deshalb ein profundes Wissen zur Stadt- und Baugeschichte Stuttgarts. Zweitens vermag er seine Erzählungen so lebendig und mit so viel Witz zu gestalten, dass die Zuhörer auch am Ende der durchaus beschwerlichen dreieinhalb Stunden dauernden Wanderung noch an seinen Lippen hängen. Und drittens leitet Medek im eigentlichen Beruf jene Abteilung im Stadtplanungsamt, zu der auch die Untere Denkmalbehörde gehört.

Der Stadt sind bei Privathäusern die Hände gebunden

Kein Wunder also, dass Medek zu Beginn eine Lanze brach für die mitunter nicht unumstrittene Haltung seiner Behörde. So könne die Stadt nicht einfach jedem privaten Besitzer eines denkmalgeschützten Hauses vorschreiben, was dieser zu tun habe – Eigentum sei ein geschützter Wert, und erst wenn ein Haus in seinem Bestand bedroht sei, könne die Stadt Vorgaben machen. Dem Einwand, dann müsse die Stadt eben solche bedrohten Häuser kaufen und selbst sanieren, stimmte Medek im Grundsatz zu, sagte aber: „Dann müsste die Stadt ziemlich viele Häuser kaufen.“

Im Übrigen sei der heutige Zeitgeist, das Alte zu bewahren, noch nicht lange vorherrschend – der frühere Fortschrittsglaube habe mehr noch als die Kriegsschäden dazu geführt, dass viele Häuser abgerissen worden seien: „Ende des 19. Jahrhunderts war alles, was alt war, nichts wert“, so Medek. Er selbst sieht das Mischmasch an Stilen in einer Straße, aber als Merkmal einer sich entwickelnden und damit lebendigen Stadt an – in der Calwer Straße beispielsweise stehen denkmalgeschützte Gebäude aus vier Jahrhunderten einträchtig nebeneinander: „Ein einheitliches Stadtbild wie in Kirchheim unter Teck ist doch langweilig“, meinte Medek.

Unscheinbare Häuser mit einer wichtigen Geschichte

Richtig spannend wurde es, als der Stadtführer den Teilnehmern auf dem Weg von der Calwer Straße über das Gerberviertel, die Eberhardstraße, das Heusteigviertel, das Leonhards- und zuletzt das Bohnenviertel jene Häuser vorstellte, die ganz unscheinbar aussehen und doch eine wichtige Geschichte für Stuttgart haben. Ganz sicher hat jeder der StZ-Leser auf dieser Führung neue Seiten Stuttgarts kennengelernt. So habe die alte Oberamtei von 1778 in der Nähe des Rotebühlplatzes eine fast schon klassizistische Prägung, was für die damalige Zeit unglaublich fortschrittlich gewesen sei, sagte Medek. Da hätten sicherlich viele gebruddelt: „So was Modernes – des braucht’s doch net in Stuttgart.“ Ganz nebenbei besitzt dieses Haus einen extraordinären Blitzableiter, der ebenfalls unter Denkmalschutz steht.

Mit offenen Augen durch die Stadt gehen

In der Nesenbachstraße zeigte Medek den Spaziergängern das letzte erhaltene Gerberhaus des Viertels; es liegt so versteckt in einem privaten Hinterhof, zu dem sich Medek nonchalant Zutritt verschaffte, dass noch niemand in der Gruppe es jemals beachtet hatte. Dabei ist es mit seinen Balkonen zum Trocknen der Felle und seinem Abgang zum früheren Wasserlauf besonders sehenswert. Und im Heusteigviertel verwies Herbert Medek auf ein winziges Häuschen, das 1830 erbaut worden war und eine Wurstküche beherbergte – die zwei Kamine und die venezianischen Fenster geben ihm ein sehr ungewöhnliches Aussehen. Allerdings ist es ziemlich heruntergekommen und bedürfte der Sanierung.

Dutzende solcher Häuser und Geschichten hat Herbert Medek vorgestellt. Und am Ende mussten alle Teilnehmer einräumen: Stuttgart ist viel schöner als gedacht – wenn man nur mit offenen Augen durch die Stadt geht.

Einmalige Führung

Alt-Stuttgart
In der Innenstadt gibt es noch 42 Gebäude aus der Zeit vor 1800 – sie konzentrieren sich in der Calwer Straße, am Schillerplatz sowie im Leonhards- und Bohnenviertel. Oft handelt es sich um alte Handwerkerhäuser.

Führung
Die beschriebene Tour zu den unbekannten denkmalgeschützten Gebäuden Stuttgarts aus der Zeit vor 1800 war eine einmalige Veranstaltung von StZ und Herbert Medek. Die Stuttgart-Marketing bietet aber unter www.stuttgart-tourist.de Führungen an, die eine ähnliche Thematik haben. Teilweise ist Herbert Medek selbst der Führer.