In Stuttgart sind sechs weitere Bauten aus der Zeit nach 1960 unter Schutz gestellt worden; nun sind es insgesamt 14. Für den Laien – und manchmal selbst für den Besitzer – erschließt sich diese Architektur allerdings schwer oder gar nicht.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Die Kritik an diesen Häusern geht oft bis in ihre Entstehungszeit zurück: Schon die Studenten der 68er-Zeit sahen in den Gebäuden der 1960er und 1970er Jahren ein Symbol des „Beton-Kapitalismus“ – heute wird die Debatte nicht mehr so ideologisch geführt, aber die Mehrzahl der Menschen findet die Gebäude immer noch schlicht hässlich. Um sie, so lautet häufig der Tenor, ist es nicht schade, wenn die Abrissbirne kommt.

 

Die Denkmalpflege sieht dies naturgemäß anders und hat nun im Regierungsbezirk Stuttgart 14 Verwaltungsgebäude aus jener Zeit unter Schutz gestellt. Sechs davon liegen in Stuttgart, was schon andeutet, wie wichtig die Landeshauptstadt in architektonischer Hinsicht ist. Zwei Jahre lang hat die Denkmalbehörde im Regierungspräsidium gemeinsam mit Wissenschaftlern bauhistorische Grundlagen und Kriterien erarbeitet für diese zweite Nachkriegsmoderne und dann aus 120 näher untersuchten Gebäuden 14 herausgefiltert.

Drei neue Denkmäler stammen von Roland Ostertag

Eine Generation, also etwa 30 Jahre, halten die Denkmalschützer für einen genügenden Abstand, um Gebäude mit einiger Präzision auf ihren architektonischen Wert hin zu untersuchen – insofern waren die 1960er und 1970er Jahre jetzt schlicht an der Reihe. Zudem stünden diese Häuser derzeit unter großem Veränderungsdruck, sagte Claus Wolf, der Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege, jetzt bei der Vorstellung der 14 neuen Denkmäler im Hauptstaatsarchiv, das selbst zu den neuen Denkmälern gehört. Viele müssten energetisch saniert werden oder hätten Auflagen für den Brandschutz erhalten. Da die Hemmschwelle, Hand an diese Häuser zu legen, nicht allzu groß sei, seien viele bedroht: „Wenn wir jetzt nicht aktiv werden, wird nicht viel übrig bleiben“, sagte Wolf. Da ganz viele Gebäude bereits saniert und umgestaltet worden sind, wird übrigens erstmals in der Denkmalpflege auch diskutiert, ob statt der Substanz nur das äußere Erscheinungsbild schützenswert sei.

Wie bedroht diese Gebäude sind, unterstrich auch Regierungspräsident Johannes Schmalzl. Seine Mitarbeiter seien „geradezu todesmutig unterwegs“ gewesen, denn vor Ort habe über eine Auszeichnung nicht immer eitel Freude geherrscht. In einem Fall soll der Abriss wohl schon beschlossen gewesen sein. Schmalzl vertrat aber eine klare Meinung: „Die Wirtschaft ist nicht gut beraten, wenn sie einfach auszieht und neu baut.“ Der Stuttgarter Architekturhistoriker Klaus Jan Philipp sieht dies ebenso: „Die schlechte Energiebilanz ist ein Problem in diesen Gebäuden und wird doch oft nur vorgeschoben.“ Schöne Solitäre gingen dann verloren, wie der Radio-Barth oder die alte IHK-Zentrale an der Jägerstraße, die derzeit abgerissen wird.

Hohe Funktionalität und durchdachte Abläufe

Die Denkmalschützerin Simone Meyder pries dagegen die Vorzüge der ausgewählten Gebäude: Sie zeugten von hoher Funktionalität und durchdachten Abläufen, sie hätten eine hochwertige Ausstattung, sie seien oft kubisch streng, groß und modern, und sie spielten bewusst mit verschiedenen Materialien wie Beton, Glas und Stahl. „Zu bewundern ist die Experimentierfreude der Architekten und die Offenheit der Bauherren gegenüber innovativen Gestaltungslösungen“, so Meyder.

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Um ein Beispiel – das SWR-Funkhaus – herauszugreifen: Rolf Gutbrod, der Erbauer der Liederhalle, habe ein „unverwechselbares und beachtenswertes Bauwerk“ geschaffen, heißt es im Band, in dem die neuen Denkmäler mit vielen Fotos vorgestellt werden. Die „spannungsreiche Staffelung der Baukörper“, die „auffälligen Vorhangfassaden aus blauen Aluminiumbrüstungsplatten“ und die „auf den Ort bezogene Gestalt“ zeugten von „höchsten funktionalen und ästhetischen Ansprüchen“.

Aus den 1950er Jahren stehen 50 Gebäude unter Schutz

Neben den sechs Stuttgarter Gebäuden wurden in der Region Stuttgart unter Schutz gestellt: das staatliche Gesundheitsamt in Nürtingen, das Bezirksamt Dagersheim, die Rathäuser in Bissingen, Sindelfingen und Schönaich sowie das „Marktdreieck“ in Waiblingen. Der Star unter den Architekten dieser 14 Denkmäler ist der Stuttgarter Roland Ostertag, von dem gleich drei Bauten (Rathäuser in Bissingen, Schönaich sowie Bad Friedrichshall-Kochendorf) ausgewählt wurden. Je zwei Gebäude stammen von Rolf Gutbrod (SWR-Funkhaus und Hahn-Hochhaus) und Wilfried Beck-Erlang (Zürich-Vita-Haus und Marktdreieck).

Für Stuttgart ist damit die Bewertung der Gebäude der Nachkriegszeit schon weit fortgeschritten. Die 1950er Jahre seien bereits vor 30 Jahren geprüft worden, sagt Ellen Pietrus, die Leiterin der Unteren Denkmalbehörde bei der Stadt Stuttgart; etwa 50 Häuser haben damals den Status eines Kulturdenkmals erhalten.

Privathäuser werden nicht systematisch geprüft

Aus der Zeit von 1960 an sind bisher 14 Gebäude in Stuttgart geschützt, wenn man die Neue Staatsgalerie aus den 1980ern dazu nimmt. Allerdings ist die Prüfung noch nicht abgeschlossen. Nach den Wohnsiedlungen und jetzt den Verwaltungsgebäuden seien als nächstes die Kirchen dran, so Pietrus. Die große Masse an Privathäusern stehe dann noch aus, „aber die werden wir nicht systematisch prüfen können.“

Wer auch nach der Lektüre des neuen Bandes zum Schluss kommt, die Bauwerke der 1960er und 1970er Jahren hätten den Schutz nicht verdient, für den hat Claus Wolf einen Trost bereit. „Im Gegensatz zu den Tausenden von Fachwerkhäusern wird es so bleiben, dass aus der Nachkriegszeit nur eine Handvoll geschützt sein wird“, sagt er. Das heißt im Umkehrschluss: Die große Mehrheit ist auch für die Denkmalschützer nicht erhaltenswert.