Die Denkmalschützer und die Mitarbeiter des Stadtarchivs führten 1972 einen Kampf um den historischen Kern der Stadt, den sie nicht gewinnen konnten – ihnen fehlten die Mittel für eine Grabung, und die Politiker behandelten die Stadtgeschichte mit nachrangigem Interesse. Keine drei Jahrzehnte nach dem Kriegsende wollten sie nach vorn schauen, nicht zurück. Auch nicht in die ferne Vergangenheit.

 

Rotraut Wolf hat das alles keine Ruhe gelassen. Sie sammelte alte Zeitungsartikel, sichtete Dokumente und sprach mit einer Tübinger Historikerin über den Schillerplatz. Die wiederum motivierte eine ihrer Studentinnen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nach langer Recherche legte Kathrin Burbulla in Tübingen ihre Magisterarbeit vor: „Der Fall Schillerplatz in Stuttgart“. In ihrer Arbeit, die in der Landesbibliothek einzusehen ist, schildert Burbulla, wie sich wirtschaftliche und politische Interessen verweben – und die Geschichte dabei unter die Räder kommt.

Brief von Arnulf Klett

Das interessanteste Dokument ist ein Brief des damaligen Oberbürgermeisters Arnulf Klett, der den Bau der Tiefgarage unbedingt durchsetzen wollte. Am 6. Juni 1972 forderte er mehrere Stadtdirektoren „dringend“ dazu auf, an einer Verhandlung teilzunehmen, die das Institut für Baugeschichte der Stuttgarter Universität einberufen hatte. Klett vermutete, dass die Historiker sich quer stellen könnten. Es gelte jedoch „mit allem Nachdruck jede Verzögerung zu vermeiden“. Diese Passage ließ Arnulf Klett sogar unterstreichen. Er beendete sein Schreiben mit der Mahnung: „Es darf nichts schiefgehen.“

Es kam, wie er es wollte. „Klett hat den Bau der Tiefgarage vorangetrieben“, erinnert sich Rotraut Wolf, „und so wie er dachten damals viele.“ So musste sie 1972 mit ansehen, wie die Bauarbeiter zuerst die Pfeiler einer alten Brücke entdeckten – nur um diese kurz darauf in das Fundament für die Tiefgarage einzubetonieren. Bis ins späte 18. Jahrhundert war das Alte Schloss ein Wasserschloss gewesen. Im einstigen Graben entdeckten die gelegentlich auf der Baustelle anwesenden Historiker Meissener Porzellan, Steinkrüge, Perlen, Münzen und Ofenkacheln aus dem 16. Jahrhundert.

Die Denkmalschützer hatten ihre zaghaften Einwände gegen den Bau der Tiefgarage zuvor mit dem Hinweis verbunden, dass sie personell und finanziell nicht in der Lage seien, nach den Fundamenten der Stadt zu graben. Rotraut Wolf jedoch konnte den Gedanken nicht ertragen, dass womöglich entscheidende Hinweise auf die Gründungsgeschichte der Stadt unwiderruflich verloren gehen könnten.

Sinn historischer Forschung

An einem Frühlingstag 1972 machte sie sich mit einer Flasche Schnaps zur Baustelle auf, in der Hoffnung, dass der Alkohol helfen würde, den Bauarbeitern den Sinn von historischer Forschung näher zu bringen. „Die Arbeiter hat es geschüttelt vor Lachen, als ich mit der Flasche vor ihnen stand“, erinnert sich Rotraut Wolf. Das Eis war gebrochen. In den folgenden Monaten wurde die Historikerin zum Stammgast auf der Baustelle, oft riefen sie die Arbeiter sogar an, wenn erneut alte Mauern frei gelegt wurden.

Nach und nach gab der Schillerplatz einige Kapitel seiner Geschichte preis. Im Juli 1972 stießen die Arbeiter unweit der Alten Kanzlei auf Mauerreste und schließlich auf einen unterirdischen Gang, der in den Keller des Prinzenbaus führte und auf der anderen Seite ins Alte Schloss mündete. Ein Experte des Stadtarchivs entdeckte neben dem Gang eine gewölbte Brunnenstube, die einst zu einer herzoglichen Schlachterei gehörte. Diese wird in historischen Quellen bereits um das Jahr 1350 erwähnt. „Der Sandstein war wunderbar erhalten“, erzählt Rotraut Wolf, die von einem Vorarbeiter, der durch den Schlamm stapfte, huckepack durch den alten Gang getragen wurde.

Dies blieb nicht der einzige bedeutende Fund unter dem Schillerdenkmal, das für die Bauzeit an einen sicheren Ort gebracht worden war. Als die Arbeiter auf die Reste des Gundelfingischen Steinhauses stießen, in dem einst der Philosoph und Humanist Johannes Reuchlin gelebt hatte, ruhten die Bauarbeiten vier Tage lang. „Mehr Zeit blieb nicht, um die Mauerreste zu untersuchen“, erinnert sich Rotraut Wolf, „anschließend wurde alles abgebrochen.“

Kampf um den historischen Kern der Stadt

Die Denkmalschützer und die Mitarbeiter des Stadtarchivs führten 1972 einen Kampf um den historischen Kern der Stadt, den sie nicht gewinnen konnten – ihnen fehlten die Mittel für eine Grabung, und die Politiker behandelten die Stadtgeschichte mit nachrangigem Interesse. Keine drei Jahrzehnte nach dem Kriegsende wollten sie nach vorn schauen, nicht zurück. Auch nicht in die ferne Vergangenheit.

Rotraut Wolf hat das alles keine Ruhe gelassen. Sie sammelte alte Zeitungsartikel, sichtete Dokumente und sprach mit einer Tübinger Historikerin über den Schillerplatz. Die wiederum motivierte eine ihrer Studentinnen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nach langer Recherche legte Kathrin Burbulla in Tübingen ihre Magisterarbeit vor: „Der Fall Schillerplatz in Stuttgart“. In ihrer Arbeit, die in der Landesbibliothek einzusehen ist, schildert Burbulla, wie sich wirtschaftliche und politische Interessen verweben – und die Geschichte dabei unter die Räder kommt.

Brief von Arnulf Klett

Das interessanteste Dokument ist ein Brief des damaligen Oberbürgermeisters Arnulf Klett, der den Bau der Tiefgarage unbedingt durchsetzen wollte. Am 6. Juni 1972 forderte er mehrere Stadtdirektoren „dringend“ dazu auf, an einer Verhandlung teilzunehmen, die das Institut für Baugeschichte der Stuttgarter Universität einberufen hatte. Klett vermutete, dass die Historiker sich quer stellen könnten. Es gelte jedoch „mit allem Nachdruck jede Verzögerung zu vermeiden“. Diese Passage ließ Arnulf Klett sogar unterstreichen. Er beendete sein Schreiben mit der Mahnung: „Es darf nichts schiefgehen.“

Es kam, wie er es wollte. „Klett hat den Bau der Tiefgarage vorangetrieben“, erinnert sich Rotraut Wolf, „und so wie er dachten damals viele.“ So musste sie 1972 mit ansehen, wie die Bauarbeiter zuerst die Pfeiler einer alten Brücke entdeckten – nur um diese kurz darauf in das Fundament für die Tiefgarage einzubetonieren. Bis ins späte 18. Jahrhundert war das Alte Schloss ein Wasserschloss gewesen. Im einstigen Graben entdeckten die gelegentlich auf der Baustelle anwesenden Historiker Meissener Porzellan, Steinkrüge, Perlen, Münzen und Ofenkacheln aus dem 16. Jahrhundert.

Im Untergrund erwachte für wenige Wochen die Vergangenheit. Beweise für eine Besiedlung im frühen Mittelalter wurden damals nicht entdeckt. „Dafür hätte man vermutlich tiefer graben müssen“, sagt Rotraut Wolf. So bleibt in der Gründungsgeschichte der Stadt eine Leerstelle – wegen einer Tiefgarage. Eine unterirdische Geschichte: der Sündenfall Schillerplatz.