Die StZ beleuchtet in einer Serie, wie Stuttgart mit seinen historischen Gebäuden umgeht. Die Stadt schneidet im Vergleich ganz ordentlich ab.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - An mehreren Ecken der Stadt kämpfen Stuttgarter Bürger gerade darum, historische Häuser zu retten, die vom Abriss bedroht werden oder dem Verfall preisgegeben sind. Im Altstadtviertel kommen zwei Handwerkerhäuser aus der Barockzeit immer weiter herunter. Neben der Hospitalkirche soll ein Wengerterhaus von etwa 1650 verschwinden. In Obertürkheim muss ein Landhaus von 1884 zwei modernen Mehrfamilienhäusern weichen. Und in der Wagenburgstraße stehen Mietshäuser des bekannten Architekten Karl Beer, erbaut um 1930, die jetzt dem Erdboden gleich gemacht werden sollen.

 

Doch immer mehr Menschen wollen sich nicht damit abfinden, dass Stuttgart, das sowieso im Bombenhagel und in der nachfolgenden Aufbau- und damit Beseitigungshysterie so viele alte Gebäude verloren hat, weiter so wenig Rücksicht auf die historische Bausubstanz nimmt. Die Stuttgarter befinden sich damit in guter Gesellschaft. Vor einigen Jahren hat eine Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach ergeben: 88 Prozent der Deutschen sind dafür, dass bei einer Sanierung der Innenstädte die Altbausubstanz restauriert werde. Und im vergangenen Jahr haben 4,5 Millionen Menschen in Deutschland am Tag des offenen Denkmals ein keltisches Herrenhaus, eine mittelalterliche Mühle oder das Schloss Solitude von 1763 besichtigt. Die Liebe zu alten Gebäuden ist also groß. Und in Stuttgart hat der Denkmalschutz spätestens, seitdem die beiden Flügel des Hauptbahnhofes gefallen sind, eine stark politische Dimension erhalten.

„Deutsche führen Krieg gegen die eigene Geschichte“

Trotz dieser gestiegenen Sensibilität der Menschen steht es aber gar nicht gut um die alte Bausubstanz. Der Zeit-Redakteur und frühere Denkmalpfleger Hanno Rauterberg formulierte es beim Denkmalsalon in Hamburg vor wenigen Tagen ganz drastisch: „Die Deutschen führen eine Art Krieg gegen die eigene Geschichte. Man muss zu solchen drastischen Worten greifen, denn tatsächlich wird ohne Unterlass gesprengt, zertrümmert, zerschlagen.“

Eine Zahl kursiert seit längerem in der Szene, sie stammt von der Züricher Denkmal-Professorin Uta Hassler: 300 000 geschützte Gebäude seien in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten abgerissen worden – weit mehr, als dem Bombenkrieg zum Opfer gefallen waren. Tatsächlich würden alte Häuser, so Rauterberg, oft nur als Hemmnis für die Stadtentwicklung empfunden: „Man freut sich über das gediegene, traditionsreiche Stadtbild. Doch wenn die Geschichte konkret wird, wenn sie vielleicht auch mal unbequem erscheint und möglicherweise sogar Einschränkungen bedeutet, dann ist es mit der Begeisterung für das Historische rasch vorbei.“

In Stuttgart, das sich derzeit städtebaulich ja beinahe neu erfindet mit all seinen Baustellen, ist der Denkmalschutz jedenfalls ein zentrales Thema – politisch, finanziell und nicht zuletzt emotional. Die Stuttgarter Zeitung wird deshalb in den kommenden Wochen in einer Serie die verschiedenen Aspekte des Denkmalschutzes kritisch und gründlich beleuchten: Wie historisch soll eine Stadt sein? Welche Behörden mischen wie mit? Und welche alten Häuser besitzt Stuttgart überhaupt noch?

Ein Blick über den Kesselrand hinaus zeigt aber, dass das historische Stadtbild auch in anderen Großstädten stark gelitten hat – Stuttgart als besonders geschichtsvergessene Stadt zu bezeichnen, ist deshalb nicht haltbar. In der Landeshauptstadt gibt es ungefähr 4500 Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen; das sind rund sechs Prozent aller Häuser in Stuttgart. In Bremen (1500 Kulturdenkmäler) macht dieser Anteil gerade etwas mehr als ein Prozent aus, in Düsseldorf (1580) sind es gut zwei Prozent, in Berlin (15 000) etwa vier Prozent – und selbst in München (7000), das viele als besonders schöne und historische Stadt empfinden, sind es nur fünf Prozent.

Stuttgart muss sich deutschlandweit nicht verstecken

Sicherlich kann man diese Zahlen nicht eins zu eins vergleichen – in Berlin beispielsweise werden ganze Gebäude-Ensemble als ein Objekt gezählt, während in Stuttgart viele Häuser mehrmals mit verschiedenen Elementen in der Denkmalliste erscheinen. Und man muss auch die Qualität eines Hauses berücksichtigen – das komplette Karmeliterkloster in Frankfurt hat einen höheren Stellenwert als ein historisches Hausportal in der Stuttgarter Calwer Straße. Dennoch muss sich Stuttgart deutschlandweit nicht verstecken.

Welchen Wert eine Stadt auf den Denkmalschutz legt und wie die Bürger informiert und eingebunden werden, das ist in Stuttgart aber noch deutlich verbesserungswürdig. In allen Denkmalbehörden in Deutschland ist Personal abgebaut worden; das Landesdenkmalamt in Berlin soll die Hälfte der Mitarbeiter verloren haben. Auch das Stuttgarter Amt ist mit acht Personen, manche davon in Teilzeit, so schlecht besetzt, dass es eigentlich nur noch Routinearbeiten erledigen kann.

Stuttgart hat keine Liste geschützter Gebäude im Netz

So hat Stuttgart nicht einmal die Liste der geschützten Gebäude für die Bürger ins Netz gestellt. Für Frankfurt am Main gibt es für alle Gebäude der Innenstadt Bilder zu betrachten, Berlin besitzt eine leicht zu bedienende Karte mit umfassender Datenbank, und in Hamburg können die Bürger Vorschläge einreichen, welches Haus sie gerne unter Denkmalschutz sehen würden.

Und es gibt Städte, die den wirtschaftlichen Wert des Denkmalschutzes erkannt haben. Die Berliner Denkmalschützer haben in den 1990er Jahren alle historischen Gebäude neu geprüft; ähnliches läuft derzeit in Bayern. „Diese Erhebung zahlt sich aus“, sagt Helmut Petersen vom Landesdenkmalamt Berlin: „Wir können zum Beispiel Investoren gut informieren, welche Häuser sich für ihr Vorhaben eignen könnten.“ Und Hamburg hat einen Denkmalrat eingerichtet, in dem auch Historiker, Bürger und Architekten sitzen. Manche Städte sind also durchaus weiter als Stuttgart.