Ulrich Goeser kämpft an zwei Fronten. Er saniert ein denkmalgeschütztes Haus in Stuttgart und muss viele Debatten mit Behörden bestehen. Ein anderes Haus – gleiche Bauzeit, gleicher Architekt – will er abreißen, was den Protest der Bürger hervorruft.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Das schöne Gebäude an der Wilhelm-Blos-Straße mit den turmartigen Dachgauben und dem achteckigen Erker nennt Ulrich Goeser gerne „unser Schatzkästlein“. Das ist liebevoll gemeint. Denn es war Karl Beer, der bekannte Stuttgarter Arbeiterarchitekt, der das Haus mit den 30 Wohnungen im Jahr 1926 gebaut hat – Beer war auch der erste Vorsitzende des Bau- und Heimstättenverein, dessen Ziel es damals und heute ist, günstigen Wohnraum in Stuttgart anzubieten. Heute leitet Ulrich Goeser den Verein: „Dieses Haus ist Teil unserer Geschichte, da hängt viel Herzblut mit drin“, sagt er.

 

Zugleich ist das Wort „Schatzkästlein“ aber ironisch gemeint. Denn das Haus steht unter Denkmalschutz, und auch deshalb ist die Sanierung, die gerade im Gange ist, eine teure Angelegenheit geworden – fünf Millionen Euro kostet sie unterm Strich. Das fing schon damit an, dass ein Restaurator vor Beginn der Sanierung sorgfältig an der Fassade und im Treppenhaus die Deckschichten abgetragen und unter dem Mikroskop die ursprünglich benutzte Farbe ermittelt hat. Es ist eine umfassende Dokumentation vorgeschrieben, um den alten Bauzustand auf dem Papier vollständig zu erhalten. Und es ist nicht gerade günstig, die alten Profile an den Dachgauben nachzubauen.

Zehn Euro pro Quadratmeter

Das alles zahlt der Bauherr. Goeser holt gerne seine Bücher heraus und rechnet vor: Die derzeit laufende Sanierung eines nicht denkmalgeschützten Gebäudes der Genossenschaft in Freiberg kostet 1338 Euro pro Quadratmeter, ein Neubau im Hallschlag schlägt mit 1945 Euro zu Buche – die Sanierung des Schatzkästleins aber liegt bei 2383 Euro. „Die Miete im Haus wird sich deshalb auf zehn Euro pro Quadratmeter fast verdoppeln“, sagt Goeser: „Da wird es mit dem Anspruch, günstige Wohnungen anzubieten, schon eng.“

Insofern sieht der Bauherr die vielen Auflagen und Einschränkungen, die die Denkmalbehörden ihm auferlegt haben, mit gemischten Gefühlen. So sollte zunächst der historische Putz an der Außenfassade erhalten bleiben, obwohl schon vor Jahrzehnten ein anderer Putz darüber aufgebracht worden war. Eine energetische Sanierung wäre kaum möglich gewesen. In vielen Gesprächen erreichte der Bau- und Heimstättenverein einen Kompromiss – die neuen Mieter werden dennoch höhere Heizungskosten berappen müssen als in einem modern sanierten Gebäude.

Keinen Erfolg hatte Goeser mit der Idee, das Dach zu Maisonettewohnungen ausbauen zu dürfen. Denn dann hätten die originalen Dachsparren ersetzt werden müssen, und das ließen die Denkmalbehörden nicht zu. Ebenso musste eine der Wohnungen im Grundriss so erhalten bleiben, wie Beer sie konzipiert hatte, mit den gefangenen Zimmern, mit der winzigen Pergola und mit den kleinen Fenstern. Und wo immer die Qualität es zulässt, dürfen die einfach verglasten Fenster oder die Türzargen nicht ersetzt werden.

Dezidierte Meinung

Ulrich Goeser hat deshalb eine dezidierte Meinung, was den Denkmalschutz angeht: „Ich habe Verständnis dafür, dass der Gesamteindruck eines Hauses erhalten bleiben muss. Aber die Behörden müssen ihren Anspruch, jedes Haus quasi museal zu erhalten, aufgeben.“ Ellen Pietrus, die Leiterin der Unteren Denkmalbehörde in Stuttgart, mag das nicht so stehen lassen. Denn umgekehrt hat die Behörde der Genossenschaft erlaubt, die großen Keller in lichte Gartengeschosswohnungen zu verwandeln, der Bauherr durfte die Grundrisse im Haus komplett verändern, und es war ihm gar gestattet, große Wintergärten anzubauen, was den Eindruck des Gebäudes an der Rückseite fundamental verändert.

Ellen Pietrus spricht deshalb von einem Ausgleich der Interessen. Die Behörde sei dem Bau- und Heimstättenverein in einigen Punkten entgegengekommen – im Gegenzug habe man größten Wert darauf gelegt, dass die denkmalgeschützte Substanz bewahrt oder gar wieder hergestellt werde. Die Fenster, die Gauben, die Dachkonstruktion, das Farbkonzept – das macht das Wesen des Hauses aus und soll auch in hundert Jahren noch brillieren. Und da niemand weiß, ob man im 23. Jahrhundert die Sparren wieder freilegen machen kann, ist es für die Behörde unerheblich, ob man ein Element heute sieht oder nicht. Ihr geht es, zugespitzt gesagt, nicht um ein schönes Gebäude, sondern um alte Bausubstanz.

Applaus von vielen Bürgern

Für diese Hartnäckigkeit erhalten die Denkmalschützer sicher Applaus von vielen Bürgern – denen geht der Schutz ja oft nicht weit genug. Aber das Beispiel Wilhelm-Blos-Straße zeigt eben auch, dass sich viele der Konflikte zwischen Behörden, Bauherrn und Bürgern nicht grundsätzlich lösen lassen – alle müssen Kompromisse schließen. Der erste der drei wesentlichen Grundkonflikte liegt in den Mehrkosten für denkmalpflegerische Maßnahmen begründet, die meist nicht durch Zuschüsse (siehe Zusatztext) ausgeglichen werden. Der Bau- und Heimstättenverein erhält gar keine Vergünstigungen. Zweitens schaut der Bauherr vor allem auf die Wirtschaftlichkeit, während die Behörden an der Bewahrung des historischen Erbes interessiert sind, ganz unabhängig vom Preis.

Und drittens steht ein Bauherr unter dem Druck, moderne attraktive Wohnungen mit großzügigen Grundrissen und Balkonen anzubieten, während Bürger und Denkmalschützer am liebsten eine Schutzglocke über die Häuser legen würden. Die energetische Sanierung ist ein Musterbeispiel für diese Problematik: Sie ist gesetzlich vorgeschrieben, weil man die Energiewende will – aber die Dämmung bedroht viele Kulturdenkmäler, weil sie die Fassaden grundlegend verändern. Was also tun?

In jedem Einzelfall kommt es deshalb zu Diskussionen, die teils gesittet und teils sehr heftig ausfallen. Jedenfalls besitzt es schon eine seltsame Ironie, dass Ulrich Goeser den Druck derzeit von beiden Seiten zu spüren bekommt: In der Wilhelm-Blos-Straße renoviert der Bau- und Heimstättenverein ein Beer’sches Gebäude und muss deshalb die Auflagen der Denkmalpflege erfüllen – in der Wagenburgstraße will die Genossenschaft ein nicht denkmalgeschütztes Beer’sches Gebäude abreißen lassen und hat derart beträchtlichen Gegenwind der Bürger verursacht, dass Goeser die Ohren ganz eng anlegen muss.

Bezahlbarer Mietraum schwindet

Der Bezirksbeirat im Osten plädiert für den Erhalt des Hauses mit seinen typischen Eckbalkonen, der Mieterverein geht Goeser heftig an, weil bezahlbarer Mietraum verschwinde, ein besonders aufmüpfiger Mieter kritisiert die Genossenschaft, weil sie über Jahrzehnte hinweg nichts mehr in das Haus investiert habe – und jetzt haben auch noch Grüne, SPD und Linke im Gemeinderat beschlossen, die Bauerhaltungssatzung so zu ändern, dass das Haus erhalten bleiben muss. Vermutlich wird ein Gang vor Gericht unausweichlich.

Interessanterweise erhält Ulrich Goeser in dieser Sache nun gerade die Rückendeckung der Denkmalschutzbehörden. Man habe die Bauakten detailliert geprüft, sagt Pietrus: Das Haus sei im Krieg stark beschädigt und nicht originalgetreu aufgebaut worden. Das Haus könne deshalb nicht als Denkmal geschützt werden: „Die Authentizität ist nicht in ausreichendem Maße gegeben ist.“

Fassungslos wegen des Stils der Debatte

Goeser selbst ist vor allem fassungslos wegen des Stils der Debatte: „Bürger und Politiker argumentieren rein emotional, ohne sich sachlich mit den Problemen auseinandersetzen zu wollen.“ Ein Beispiel: der Beton, der in den 1920er Jahren verwendet wurde, hat die Bindungskraft verloren und bröselt vor sich hin. Frank Greiner vom Ingenieurbüro Fisch, das für den Bau- und Heimstättenverein das Projekt in der Wilhelm-Blos-Straße managt, zeigt dort Besuchern gern den Keller: Mit der bloßen Hand kann er die Kieselsteine aus dem Beton herauskratzen. Mehr als 300 000 Euro hat es gekostet, eine zweite Grundmauer um das Haus herumzubauen, um die Statik zu gewährleisten. In der Wagenburgstraße wäre dies theoretisch ebenfalls möglich, aber dort spreche vieles andere zusätzlich gegen die Sanierung, so Goeser. Vor allem wären die Kosten so hoch, dass man zwölf Euro pro Quadratmeter Miete verlangen müsste – zu viel für den Standort im Osten.

So stößt man im Denkmalschutz immer auf einen Widerstreit der Interessen, auf eine Abwägung von Werten – und auf Ansichtssachen. Allgemeingültige Antworten gibt es nicht. Jedes alte Haus ist anders.