Lehrling, Geselle, Meister, Obermeister: Dennis Lehane beschreibt in seinem Mafiakrimi „In der Nacht“ die Karriere eines jungen Mannes, der vom kleinen Bostoner Licht zum Herrn der Fuselschmuggler in Florida aufsteigt. Ein in jeder Hinsicht hochprozentiges Epos.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Das fängt ja schon mal sehr vielversprechend an. Ein Zitat von Cormac McCarthy als Motto („Zwischen Gottesleuten und Kriegsleuten besteht eine sonderbare Verwandtschaft.“) und dann noch eins von Lucky Luciano („Es ist zu spät, ein braver Bürger zu werden.“). Und auf Zeile drei des eigentlichen Textes erfährt der Leser, dass der Held mit einbetonierten Füßen auf dem Golf von Mexiko herumgeschippert wird, umgeben von zwölf bewaffneten Kerlen. Eine ziemlich hoffnungslose Lage, könnte man sagen.

 

Keine Frage: Dennis Lehane hält sich in seinem neuen Roman „In der Nacht“ nicht lange mit Geplänkel auf. Er zieht, nein er zerrt seinen Leser mitten hinein ins mafiöse Boston der ausgehenden 1920er Jahre.

Fehler eins, Fehler zwei, Fehler drei

Joe Coughlin, Sohn eines irisch-stämmigen Polizeioffiziers, verdient sich dort gerade die ersten Sporen als Berufsverbrecher. Dummerweise überfallen er und seine Kumpane eine Pokerrunde des örtlichen Mafiapaten. Fehler eins. Joe verliebt sich – Fehler zwei – bei der Gelegenheit in die Freundin ebendieses Patrons. Und dann – Fehler drei – kommen bei einem Banküberfall auch noch Polizisten ums Leben.

Joes Vater ist außer sich. Nicht, dass er selbst eine blütenweiße Weste hätte. Aber was zu weit geht, geht zu weit. Der alte Coughlin lässt seinen ohnehin schon von der Mafia gefolterten Sohn halb totschlagen, um ihm dann, korrupter Bulle, der er ist, eine extrem milde Gefängnisstrafe zu verschaffen. In diesen wenn nicht Wander-, so doch Lehrjahren lernt Joe dann alles, was man in der ehrenwerten Gesellschaft können muss. Sein Hexenmeister ist der ebenfalls einsitzende Pate Maso.

Nach seiner Entlassung organisiert Joe für Maso im brütend heißen Florida die Alkoholgeschäfte der Familie. Er macht das so erfolgreich, dass die Kurven in seinen Bilanzen nur eine Richtung kennen: nach oben, steil nach oben.

Das Ende der Prohibition vor Augen, schmiedet Joe Pläne, wie er seinen Wohlstand halten und mehren kann. Auch privat ist er mittlerweile angekommen, seine Geliebte erwartet ein Kind von ihm. Noch ist seine Uhr, im Buch etwas bemüht symbolisiert von einer sündhaft teuren Patek Phillippe, nicht abgelaufen . . .

Ein Krieg, alle gegen alle

Doch es kann natürlich auch der friedlichste Mafioso nicht in Ruhe leben, wenn es dem bösen Scheffe nicht gefällt. Maso schickt sich an, Joe zu entmachten und statt dessen seinen leicht debilen Sohn auf den Statthalterthron in Florida zu setzen. Ein Krieg bricht aus, mit großer Härte gehen die Gegner – Italiener, Kubaner, Polizisten – aufeinander los. Am Ende…

Ein anständige Ladung Dynamit

„In der Nacht“ ist trotz seiner bald 600 Seiten ein recht schlankes Buch. Lehane verliert sich auch im Verlauf der Handlung nicht in langatmigen Nebensächlichkeiten, zügig packt er Stein auf Stein und zündet am Schluss eine anständige Ladung erzählerisches Dynamit. Insofern bleibt auch kein Unbehagen darüber zurück, dass die Figuren nicht außergewöhnlich farbig gezeichnet sind und das dramaturgische Mittel der Rettung in letzter Sekunde arg strapaziert wird.

Diese kleinen Mängel unterscheiden Lehane dann doch von Mario Puzo, dem Paten der Krimiszene, und seinem leider nicht allzu bekannten Consigliere Nick Tosches. Aber sei’s drum!

Dennis Lehane: „In der Nacht“. Roman. Aus dem Englischen von Sky Nonhoff. Diogenes Verlag, Zürich 2013. 592 Seiten, geb., 22,90 Euro. Auch als E-Book, 20,99 Euro.