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Christian Küppers (57, Physiker) arbeitet seit rund 30 Jahren für das Öko-Institut in Darmstadt. Der Vize-Chef des Bereichs Nukleartechnik und Anlagensicherheit ist zugleich stellvertretender Vorsitzender der Bundes-Strahlenschutzkommission. Für die AVL soll er die Strahlenbelastung auf den Deponien Froschgraben und Burghof untersuchen.
Herr Küppers, freigegebener Bauschutt aus atomaren Anlagen wird sehr kontrovers beurteilt. Die einen sehen darin verschwiegene Gefahren für die Gesundheit von Deponieanwohnern, andere beurteilen die Stoffe schlicht als harmlosen Bauschutt. Was stimmt denn nun?
Generell trifft es zu, dass das Konzept des Freimessens von Folgendem ausgeht: wenn die potenzielle Strahlenbelastung für den Menschen gering genug ist, bedarf es keiner gesonderten Behandlung mehr, dann dürfen diese Stoffe deponiert werden.
Und das Risiko ist gleich Null?
Nein, ein Nullrisiko ist das nicht, aber ein sehr, sehr geringes Risiko – verglichen mit den sonstigen Risiken im Leben. Es ist wahrscheinlicher, von einem Blitz getroffen zu werden, als dass man durch die freigemessenen Stoffe geschädigt wird.
Und wie schätzt man das Risiko ab?
Die Berechnung dieser Werte basiert darauf, dass von extrem unwahrscheinlichen Voraussetzungen ausgegangen wird. Es darf statistisch gesehen bei zehn Millionen Menschen pro Jahr maximal ein Schadensfall auftreten. Der Kreis der Betroffenen beschränkt sich dabei aber lediglich auf Deponiearbeiter oder Fahrer, also diejenigen, die sich den Stoffen auch wirklich nähern.
Sind die Deponien im Landkreis Ludwigsburg dafür ausreichend abgesichert?
Die Deponien müssen hohe Anforderungen erfüllen. Es braucht beispielsweise eine Basisabdichtung zum Schutz des Grundwassers.
Und wenn doch etwas ins Grundwasser sickert, was da nicht hingehört?
Die Grenzwerte der freigemessenen Stoffe gehen dabei von Worst-Case-Szenarien aus, die es in der Realität kaum geben dürfte. Zum Beispiel wird vorausgesetzt, dass später ein Brunnen in der Nähe der Deponie angelegt wird. Dann wird postuliert, dass ein Mensch ausschließlich dieses Wasser trinkt, nur Fleisch und Milch von Tieren zu sich nimmt, die dies getrunken haben und sich von Lebensmitteln ernährt, die damit beregnet wurden. Das sind wirklich sehr ungünstige Annahmen.
Und aus diesen Szenarien werden dann Freigabewerte berechnet. Aber wie kann tatsächlich überprüft werden, ob zum Beispiel eine Folie zur Abdichtung wirklich hält?
Was tatsächlich überwacht wird, ist, ob die Freigabewerte bei den Abfallstoffen eingehalten werden. Da wird es künftig in Baden-Württemberg eine 100-Prozent-Kontrolle durch den Tüv Süd geben. Beauftragt wird er vom Umweltministerium Baden-Württemberg. Weitere Kontrollen sollen durch einen Gutachter auf der Deponie erfolgen. Und der Zustand des Grundwassers wird über Grundwasserbrunnen, in denen Proben gezogen werden, überwacht.
Mancherorts, etwa in Schwieberdingen, sind viele Menschen beunruhigt, dass solche Stoffe hier abgelagert werden. Können Sie – trotz aller Unwahrscheinlichkeiten – die Sorgen nachvollziehen, die manche Menschen wegen dieser Stoffe haben?
Natürlich kann man solche Befürchtungen haben. Aber wenn man sich überlegt, welche extrem vorsichtigen Annahmen bei dem Freimessungskonzept getroffen werden, ist wirklich von keinen besonderen Gefahren auszugehen. Aber zugegeben: das Konzept ist für den Laien schwer nachvollziehbar, auch weil die Studie, auf der die Freigabewerte basieren, nie publiziert wurde. Das können nur wenige Fachleute bis ins Detail rekonstruieren.
Können Sie nachvollziehen, dass es Kritik an der Haltung gibt, dass man freigemessene Stoffe praktisch behandeln kann, als würden sie aus der nächsten Baugrube stammen?
Ja, es ist mutet tatsächlich seltsam an: rechtlich gesehen sind das nach der Freigabe keine radioaktiven Abfälle mehr. Tatsächlich sind Radionuklide (Instabile Atome, die radioaktiv zerfallen, Anm. d. Redaktion) drin, nur eben in sehr geringer Dosierung. Für formal denkende Juristen ist so etwas logisch. Aber bei vielen Menschen löst das Unbehagen und Misstrauen aus.