Angela Merkel gibt unter dem Druck miserabler Wahlergebnisse ihr Amt als CDU-Vorsitzende ab. Sie will entgegen früherer Aussagen trotzdem bis 2021 Bundeskanzlerin bleiben. Kann das gutgehen?

Berlin - Nur ihre engsten Mitarbeiter haben gewusst, was Angela Merkel vorhat. Schon „vor der Sommerpause“ habe sie sich entschieden, wie sie im Lauf des Tages erklären wird. Erst kurz vor der Sitzung des CDU-Präsidiums am Tag nach der hessischen Wahlschlappe aber wird Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer informiert. Es folgen Telefonate mit den Chefs der Koalitionsparteien, Andrea Nahles und Horst Seehofer.

 

Alle haben geahnt, dass etwas passieren wird, nach dem Debakel in Hessen und den Verlusten im zweistelligen Prozentbereich. Nur was, wann und wie ist den Mitgliedern von Präsidium und Bundesvorstand nicht klar, als sie an diesem Morgen das Konrad-Adenauer-Haus betreten. Auch CDU-Bundesvize Thomas Strobl bekennt sich freimütig zu seiner Unwissenheit. Günther Oettinger, der Kommissar in Brüssel, rät der Kanzlerin beim Betreten der Parteizentrale gar noch, beim Hamburger Parteitag im Dezember erneut als Parteichefin zu kandidieren – allem Unmut zum Trotz. Wenn überhaupt, so tun es mehrere Parteifreunde kund, könnte die Klausurtagung kommendes Wochenende der Zeitpunkt sein, an dem sich Angela Merkel erklärt. Es kommt anders, schneller, radikaler.

Emotional ist es Teilnehmern zufolge zugegangen, als die Parteivorsitzende gleich zu Beginn der Sitzung das Wort ergreift und ihren Entschluss bekannt gibt: Sie tritt nicht mehr als Parteivorsitzende an, ist bereit, bis zum Ende der Legislaturperiode Kanzlerin zu bleiben, wird sich dann aber nicht mehr zur Wahl stellen, nicht als Spitzenkandidatin ihrer Partei und auch nicht mehr für den Bundestag. Und weil es in Brüssel schon lange Gerüchte über einen Wechsel in die EU-Hauptstadt gibt, schließt sie auch das aus. Angela Merkel will Schluss machen, so richtig.

 

Es ist die Einsicht, dass die eigene Ära zu Ende gehen muss. „Welchen Beitrag kann ich persönlich leisten?“, habe sie sich in den vergangenen Monaten gefragt, berichtet die Kanzlerin auf einer Pressekonferenz am frühen Nachmittag. Sie zeichnet das Bild einer in Aufruhr befindlichen Parteienlandschaft, erinnert an die quälend lange Regierungsbildung, den erbitterten unionsinternen Asylstreit im Frühsommer und geht mit der eigenen Bundesregierung hart ins Gericht. Es müsse wieder gelingen, „so zu arbeiten, dass es die Menschen nicht abstößt“. Weil sie weiß, dass manches auch damit zu tun hat, wie sehr sie selbst als Person polarisiert, entwirft sie nun in der Konsequenz minutiös ihren Abschied von der Politik. Die Bundeskanzlerin wirft Ballast über Bord, sogar sich selbst – auch wenn es „nur“ um den Parteivorsitz geht.

Christdemokratischer Freiraum nach 18 Jahren

Nach 18 Jahren an der Parteispitze ist das nichts weniger als „eine Zäsur, in der auch eine Chance liegen kann“, wie die scheidende Chefin sagt. So einen „schönen Prozess“ der Selbstfindung, der nun vor der CDU liegt, habe es schließlich lange nicht mehr gegeben. Die Partei solle jetzt den „Freiraum“ erhalten, den es braucht, um sich „auf die Zeit nach mir einzustellen“.

Wie sehr Merkel sich der Größe ihrer Entscheidung bewusst ist, verraten die vielen historischen Reminiszenzen, die sie in ihren Vortrag einstreut. Das berühmte Frühstück in Wolfratshausen findet Erwähnung – Merkel hatte 2002 dem damaligen CSU-Chef Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur der Union überlassen. Das soll verdeutlichen, dass sie zum Wohl des Landes oder der Partei stets persönliche Ambitionen zurückgestellt habe. Das Credo der ersten Regierungserklärung von 2005, „Deutschland dienen“ zu wollen, bleibt genauso wenig unerwähnt wie ihre Ankündigung vor zwei Jahren, eine vierte Amtszeit anzustreben – eine Entscheidung, die sie ausdrücklich nicht bereut.

Angela Merkel weiß auch sehr genau, dass dieser selbst angekündigte Rückzug „in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel“ ist. Sie hat sich immer gewünscht, nicht vom Hof gejagt zu werden, sondern aus eigenem Antrieb heraus den Zeitpunkt ihres Abgangs selbst zu wählen. Als „noble Entscheidung“ bezeichnet denn auch der neben ihr stehende Parteivize Volker Bouffier ihren Entschluss, „eine souveräne Entscheidung“ wird der Thüringer Mike Mohring ihr später attestieren.

Aus ganz freien Stücken ist sie natürlich nicht zustande gekommen. „Der optimale Fall wäre gewesen, in einer Zeit des totalen Unumstritten-Seins den Abgang zu verkünden“, räumen sie in Merkels Umfeld ein, „das lässt sich nun nicht behaupten“. Immerhin sei die Ansage zu einem Zeitpunkt gekommen, da ihre Chefin „nicht abgewählt und nicht gestürzt“ worden sei.

Ursprünglich sah Merkels Zeitplan eine spätere Übergabe des CDU-Amts vor. Hat sie doch bis zuletzt betont, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz zwingend zusammengehören. 2020 wäre es wohl so weit gewesen, im Jahr vor der nächsten planmäßigen Bundestagswahl. Unter dem Druck desaströser Wahlergebnisse und der Abstrafung der Parteien der Berliner Koalitionsregierung, deren Erscheinungsbild Merkel für „inakzeptabel“ hält, hat sie ihren persönlichen Plan angepasst.

Für ein „Wagnis“ hält sie das Vorgehen schon, weil einer Kanzlerschaft ohne die Macht der Partei im Rücken der Erfolg nicht garantiert ist. Die Parallelität beider Ämter sei nötig, „um auch eine stabile Regierung bilden zu können“, hat Angela Merkel im Frühjahr gesagt – und dies auch wiederholt. Nun hält sie die Abkehr von diesem Mantra für „vertretbar“, weil sie am Ende der Legislaturperiode ganz abtreten will und der Zeitraum für die Trennung beider Funktionen von vornherein begrenzt ist. „Nur durch die Begrenzung“, so Merkel, habe sie von ihrem bisherigen Prinzip ablassen können.

Keine Garantie für weitere drei Jahre als Kanzlerin

Ob das gutgehen kann? Kanzlerin bis 2021? Nach all dem, was gewesen ist? Dem „Merkel muss weg“-Getöse nicht nur bei der stärker werdenden AfD, sondern auch in Teilen der Union? Die Antworten, die in der Partei gegeben werden, liegen weit auseinander. Mike Mohring, der nächstes Jahr Ministerpräsident in Thüringen werden will, sieht eine „freiere“ Kanzlerin, die unbelastet vom parteiinternen Ballast künftig „mutiger“ und „entscheidungsfreudiger“ auftreten kann. Der Waiblinger Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer, der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, sieht das ganz anders. Er hielte es demnach „für richtig, noch in dieser Legislaturperiode einen Wechsel an der Regierungsspitze vorzunehmen und mit neuem Personal und neuem Programm in die nächsten Bundestagswahlen zu gehen“.

Angela Merkel hofft darauf, tatsächlich noch drei Jahre regieren zu können. Die EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2020 etwa würde sie liebend gerne noch mitnehmen. Aber sie weiß auch um die Gefahren, die da lauern. „Die Weichen dafür, dass es gelingen könnte, sind gestellt“, sagt jemand aus ihrem Stab, „aber das hängt natürlich an vielen Faktoren.“ Gemeint ist damit zum Beispiel die SPD, die noch lange nicht ihren Frieden mit dieser Koalition gemacht hat, diese aufgrund des internen Drucks verlassen und vorgezogene Neuwahlen herbeiführen könnte. Auch in diesem Fall wird Merkel nicht mehr antreten: „Das habe ich ausgeschlossen.“ Und dann ist da noch die Frage, wie die Kanzlerin mit dem oder der neuen Parteivorsitzenden kann. „Ich bin ein Mensch, der mit vielen Menschen gut zusammenarbeiten kann“, sagt Merkel, „dafür bin auch bekannt.“ Sicher ist aber auch, dass es mit Annegret Kramp-Karrenbauer eher besser und mit Jens Spahn oder Friedrich Merz eher schlechter laufen würde. „Da ist die Kanzlerin realistisch genug“, heißt es im Kanzleramt. „Sie hat ihre Bereitschaft erklärt – nicht mehr und nicht weniger.“

Wer an diesem historischen Montag trotzdem noch glauben sollte, dass die so verehrte wie umstrittene Frau an ihrem Stuhl klebt, wird sogleich eines Besseren belehrt. „Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren“, sagt Angela Merkel, „und das habe ich auch nie vergessen.“ Und für die Zeit danach habe sie auch „keine Sorge, dass mir nichts einfällt“.