Seitdem Roland Kappel in Rente ist und nicht mehr in den Werkstätten des Mariaberg e.V. arbeitet – einem diakonischen Träger für Menschen mit Behinderung und sozialer Benachteiligung – kann er seinen Tag freier einteilen und das tun, wonach ihm der Sinn steht. Vor allem aber das, was ihm Sinn gibt. Neben Gottes Wort sind das auch seine Streifzüge, auf denen er Baumaterial und Anregungen für seine Arbeit sucht. „Hier“, sagt er und deutet auf einen großen gepflasterten Platz vor dem Rathaus, „hier haben sie viel falsch gemacht.“ Die Erklärung folgt auf eine kurze, wirkungsvolle Pause: Die Bäume wurden vergessen, Schattenplätze fehlen. „Wir würden das ganz anders machen“, erklärt Kappel und meint mit „wir“ seine Firma.

 

Mit Baustellen kennt er sich aus. Seit er fünf Jahre alt ist, beobachtet er, was auf ihnen vor sich geht. In Reutlingen, wo er 1949 geboren wurde und als Nachkriegskind in einem Heim aufwuchs, gehörten Trümmerberge zu seinem natürlichen Lebensumfeld. Erst nach und nach wurde überall wieder aufgebaut, was der Krieg zerstört hatte. Maschinen und Gerüste erhoben sich über den Baugruben, riesig, gewaltig, faszinierend. Vor allem für Kinderaugen.

Der erste Kaiser-Teleskopkran

„Es gab da eine große Baustelle, das war die Schule im Ringelbach“, sagt Kappel und scharrt dabei mit der rechten Schuhspitze im Baustellensand unter seinen Füßen, als wären dort alle Erinnerungen an das Früher begraben. „Dort habe ich den ersten Kaiser-Teleskopkran gesehen. Damit hat alles angefangen.“ Roland, der Junge, der seine Eltern nie kennengelernt hat, begann mehr und mehr in seiner eigenen Welt zu leben und zeigte, so heißt es in Berichten über ihn, autistische Züge. Mit sechs Jahren wurde er in Mariaberg, einem früheren Benediktinerinnenkloster untergebracht.

Hier störte sich niemand daran, dass Roland Baufahrzeuge im Miniaturformat baute. Man ließ ihn einfach machen. Dass das Ganze mehr als nur ein Spiel war, sondern der Junge eine große gestalterische Begabung haben könnte, die man fördern sollte, hatte man seinerzeit noch nicht im Blick. Auch dann noch nicht, als die Baumaschinen in den 1980er-Jahren immer ausgefeilter wurden und ganze Fuhrparks entstanden, die an Jean Tinguelys Maschinenskulpturen erinnerten.