Michael Holzach, Autor von „Deutschland umsonst“ wäre heute 70 Jahre alt geworden. Er hat das Land lange vor Hape Kerkeling und Roger Willemsen laufend neu vermessen. Wie tickte er wirklich?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Im Morgengrauen ging Michael Holzach damals in Hamburg los, nicht ohne die Reste des makrobiotischen Abschiedessens am Abend zuvor gegen die Wand getreten zu haben, es ging also direkt mal ein bisschen was Bürgerliches kaputt. Das war 1980, der westdeutsche Kanzler hieß Helmut Schmidt, es gab noch Mark und Pfennig, doch von Geld, hatte Holzach beschlossen, wollte er in den nächsten Monaten nichts wissen: zu Fuß und mittellos durch ein Wohlstandsland, das war der Plan, und so hieß später auch sein berühmt gewordenes Buch im Untertitel. Als erstes aber brauchte Holzach einen Hund, und den taufte er, frisch aus dem Tierasyl, schön westfälisch: Feldmann.

 

Vielleicht muss man es direkt noch einmal deutlicher sagen: es gab an Literatur kein ‚ „Faserland“ von Christian Kracht, keine „Deutschlandreise“ von Roger Willemsen und kein „Ich bin dann mal weg“-Buch von Hape Kerkeling. Die Leute in der BRD saßen alle irgendwo, sie waren nicht groß unterwegs: sie hockten in Firmen, Kneipen, Unis, Verlagen, Rundfunkanstalten und kontrollierten die Dinge von da, weil die Welt noch nicht annähernd so in Bewegung geraten war wie heute.

Das Land ging ihm gegen den Strich

Holzach, geborener Heidelberger, Internatsschüler in Holzminden, in Bochum Student der Sozialwissenschaften und dann Reporter bei der „Zeit“, war den Dingen insgesamt insofern ein bisschen voraus, als er sich um so genannte Randgruppen kümmerte: Bergleute in Polen, Bettler in der Bundesrepublik, oder die Hutterer in Kanada, die nach alter Religionsväter Sitte lebten.

Wenn man so will, hat Holzach, darum geht es eigentlich, die Ich-Reportage erfunden: Er betrieb sie mit einem fast schon jesuitischen Ernst. Wenn er sich selbst auf die Spur käme, hätte er, dachte Holzach, auch einen Teil des Weges freigelegt, den die Gesellschaft gerade ging – und zwar in die Irre, wie er 1980 unterwegs für „Deutschland umsonst“ feststellte. Schnell ging ihm das Land der Supersesshaften auf die Nerven und erheblich gegen den Strich, und so richtete er sich an den Rändern der Gesellschaft ein, immer im Vorübergehen ein paar Mark oder Essen einsammelnd: in einer psychiatrischen Klinik, auf dem Rummel, im Kloster, beim Bauern.

Holzachs besonderer Ansatz war, dass er sich selbst nicht nur ausstellte, sondern reflektierte: Wer bin ich geworden und warum? Als Mensch und Journalist? Das hatte nichts Wohlfeiles, damals. Es war keine Masche. Holzach war, simpel gesagt, anders gestrickt als alle anderen. Unvergleichbar. „Parzival mit Hund“ schrieb ein Freund, „durch Mitleid wissend“, wie es bei Richard Wagner heißt, das wurde er wohl. Holzach sah viel.

Er starb, als er seinen Hund retten wollte

Eine der entscheidenden Episoden spielte am „dreckigsten Fluss Deutschlands“, wie Holzach schreibt, der Emscher, die sich durch große Teile des Ruhrgebiets schlängelt, und an die Emscher kehrte Holzach auch noch einmal zurück, als Teile seines Buchs 1983 verfilmt werden sollten. Am steilen Ufer in Dortmund-Dorstfeld rutscht der Hund Feldmann ins Wasser. Holzach springt hinterher, er kann gut schwimmen, aber die Strömung der Emscher ist tückisch in Bewegung hier. Feldmann überlebt; Holzach stirbt. Er ist 36, heute wäre er 70 Jahre alt geworden.

Mittlerweile ist die Emscher zu einer Art Biotop geworden und am Rande in Dorstfeld steht, seit dieser Woche, eine Stele, die an Michael Holzach erinnert. Wie er wanderte, was er dachte, was er wollte, steht darauf, kurz gefasst. Das ist alles lange her, klar. Aber „Deutschland umsonst“ kann man immer noch lesen, sich wundern und den eigenen Blick schärfen. Um das Mindeste zu sagen.