Der Bariton Johannes Kammler ist von der Bayerischen Staatsoper nach Stuttgart gekommen. Endlich kann er auch große Partien singen. „Hier“, sagt er, „werde ich nicht verheizt.“

Stuttgart - In München, sagt Johannes Kammler, da ist es toll, ja „mehr als perfekt“. Nach zwei Spielzeiten im Opernstudio der Bayerischen Staatsoper wurde der Bariton 2017 direkt ins Ensemble des Hauses übernommen. Ein großes Glück! Da hätte er bleiben können. Aber dann hat der ehemalige Augsburger Domsingknabe den zweiten Platz beim renommierten Wettbewerb „Neue Stimmen“ errungen. Bei solchen Veranstaltungen wird man gehört, dort sitzen Agenten und Castingdirektoren. Als danach der damals noch designierte Stuttgarter Opernintendant Viktor Schoner anfragte, ob Kammler in sein Sängerensemble kommen wollte, sagte der zu. Natürlich hätte er in München bleiben können, wo es so toll ist, so perfekt – „aber da geben sich die Sängerstars die Klinke in die Hand. Da war ich nur ein kleiner Fisch im großen Teich.“

 

Um halbwegs im Bilde zu bleiben: Jetzt ist der Bariton in Stuttgart ein größerer Fisch im kleineren Eckensee – und fühlt sich dabei tatsächlich wie ein Fisch im Wasser. Das Ensemble hier: „toll! Ich fühle mich wohl, und ich bin ein Harmoniemensch“. Und endlich könne er hier auch Partien des ersten Fachs singen. Also zum Beispiel den Guglielmo in Mozarts „Così fan tutte“ (mit dieser Partie wird er im Februar auch an der Oper von Toronto debütieren) und in dieser Saison außerdem Marcello in Puccinis „La Bohème“, Malatesta in Donizettis „Don Pasquale“, Pantalone in Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ und den Wachtmeister in Henzes „Prinz von Homburg“. „Das sind für mich alles Rollendebüts, die sich sehr gut ergänzen“, findet Kammler, und überhaupt biete Stuttgart für ihn „die perfekte Mittellösung: Ich büße an Qualität nichts ein, weil ich genug zu tun habe, werde hier aber auch nicht verheizt“.

Studium in Freiburg, Toronto und London

Dass man aufpassen muss, um seine Stimme gesund zu erhalten: Das hat der gerade Dreißigjährige schon als Kind gelernt. Sein Vater Reinhard Kammler war (und ist immer noch) seit 1976 Leiter der Augsburger Domsingknaben, dort hat der junge Johannes 16 Jahre lang (mit zwei Jahren Stimmbruch-Pause) mitgesungen, bis er zum Studium erst nach Freiburg, dann nach Toronto und nach London ging. Die Entscheidung für die Musik hat er sich dabei nicht leicht gemacht, lange hat er auch mit einem Medizinstudium geliebäugelt. Aber auf die Frage „Was möchtest du dein Leben lang tun?“ hatte er eigentlich immer nur eine Antwort. Und so hat er gesungen, gelernt, trainiert – und pflegt immer noch Kontakt zu Rudolf Piernay in London, der seine Stimme gut kennt und ihm immer wieder wichtige Ratschläge gibt.

Nur bei zwei Wettbewerben hat Johannes Kammler bisher mitgesungen: Neben seinem Erfolg bei den „neuen Stimmen“ kam er in Plácido Domingos „Operalia“-Contest ins Finale. „Wettbewerbe“, sagt er, „sind wichtig, weil man dort auffällt und gehört wird. Aber schön ist eine Wettbewerbssituation nicht, vor allem nicht für Sänger, denn die Psyche ist sehr mächtig, und die Stimme kann im Gegensatz zu anderen Instrumenten jeden Tag anders sein. Schlimmer ist nur ein Vorsingen: Da sitzen dann vier oder fünf Leute vor einem, die in ihre Notizblöcke schreiben, und das einzige, was am Ende gesagt wird, ist, dass sich das Haus melden wird.“

„Alle Mozarts“ will Johannes Kammler singen – und „ganz viel Belcanto“

Was wünscht sich Johannes Kammler für die Zukunft? „Alle Mozarts“ will er singen, außerdem „ganz viel Belcanto“, vor allem Opern von Donizetti und Rossini. Wohl fühlt sich der Sänger im deutschen und französischen Repertoire, „und als deutscher Bariton träume ich auch vom dramatischen Wagner-Fach“. Und: „Ohne das Lied könnte ich nicht sein: Es ist die schwierigste Form des Singens, aber auch die erfüllendste. Weil hier jedes Wort und jede Note eine Bedeutung hat, und weil man nur mit Stimme, Gestik und Ausdruck die Zuhörer packen muss.“ Hugo Wolf: Das sei der beste unter den Liedkomponisten. Im Mai stellt sich Kammler im Opernhaus als Liedsänger vor.

Jetzt aber hat er erst einmal Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ für sich entdeckt – und damit auch den Regisseur Axel Ranisch. „Bei den Proben“, sagt Kammler, „haben wir oft auf dem Boden gelegen und uns totgelacht“, und überhaupt sei es ihm ein Rätsel, wie Ranisch es gelinge, immer nett und gut gelaunt zu sein. Ärger mit anderen Regisseuren hatte Johannes Kammler aber auch noch nicht. „Wenn etwas Sinn macht und der Kunst entspricht“, sagt er, „tue ich alles. Wenn etwas aber nur anders sein und provozieren soll, dann tue ich es nicht.“ Sagt’s, lacht – und macht sich dann davon, weil ihn plötzlich der große Hunger packt. Intervallfasten, 16:8-Diät, wegen des Bauchansatzes, schauen Sie, da muss man halt was tun.

Johannes Kammler ist in den Dezember-Vorstellungen von „Die Liebe zu den drei Orangen“ zu hören, außerdem als Marcello in „La Bohème“ am 18. und 26. 12 (jeweils um 14.30) Uhr und ab März in „Der Prinz von Homburg“.