Er wurde berühmt durch einen Hollywood-Film, diente Wanderern als Wegweiser und Fotografen als beliebtes Motiv. Die illegale Abholzung des „Robin-Hood-Baums“ löste in England Wut und Entsetzen aus. Bringt ein Prozess nun Antworten?
Es klingt, als wäre ein Verwandter oder enger Freund getötet worden. Von Mord ist die Rede, von einer sinnlosen Tat. Dabei handelt es sich bei dem Opfer nur um einen Baum. „Nur“ ein Baum? Für viele Menschen in Großbritannien ist es der Baum der Nation.
Majestätischer Baum: So thronte der Berg-Ahorn bis zu jenem verhängnisvollen Tag im September 2023 in der Landschaft. Foto: Imago/Zoonar
Zwei Männer sollen den mächtigen, 15 Meter hohen Berg-Ahorn in Nordengland im September 2023 gefällt haben. Sie bestreiten die Vorwürfe, bei Gerichtsterminen vermummten sich der 31- und der 38-Jährige mit Masken und Kapuzen.
Immaterieller Wert ist unschätzbar
Ein mögliches Motiv ist bisher nicht bekannt. Antworten soll nun ein Prozess bringen: Die beiden Verdächtigen sollen vom 3. Dezember 2024 an wegen schwerer Sachbeschädigung vor Gericht stehen, wie ein Richter in Newcastle am Mittwoch (12. Juni) entschied. Der Sachschaden wird auf mehr als 620 000 Pfund (735 000 Euro) geschätzt. Doch der immaterielle Wert dürfte viel höher liegen - eigentlich ist er unschätzbar.
Ein „Symbol“ nannte ihn der örtliche Parlamentsabgeordnete Guy Opperman, der Nationalpark Northumberland sprach von einem „Teil von Englands Identität“. Wie bedeutend der wohl mehr als 200 Jahre alte Riese war, zeigt sich schon an der Namensgebung seines Standorts.
„Sycamore Gap“ am Hadrianswall
„Sycamore Gap“ heißt die Stelle - also Berg-Ahorn-Senke. Das Motiv ist geradezu ikonisch. Wie gemalt erhob sich der mächtige Stamm in der Mitte der Senke. Unzählige Fotos sind dort entstanden, Schattenbilder mit Kindern oder beeindruckendem Sternenhimmel.
Links und rechts ziehen sich die Überreste des Hadrianwalls entlang, den die Römer vor 2000 Jahren zum Schutz vor Angriffen aus dem Norden und zur Kontrolle von Handelswegen angelegt hatten. Der Baum stürzte – mit einem sauberen Schnitt knapp über der Wurzel getrennt – auf die Mauerruine. Auch hier entstand Schaden.
Zur Info: Die 117,5 Kilometer lange Maueranlage war von den Römern im zweiten Jahrhundert nach Christus erbaut worden - zum Schutz vor Angriffen von keltischen Pikten-Stämmen aus dem heutigen Schottland. Überreste dieses britannischen Limes ziehen sich durch die hügelige Landschaft nahe der englisch-schottischen Grenze und gelten als beliebtes Wander- und Ausflugsziel.
Seine Beliebtheit verdankt der Baum vor allem dem Hollywood-Blocbuster „Robin Hood - König der Diebe“ aus dem Jahr 1991. In ihm wird der Berg-Ahorn prominent in Szene gesetzt: Robin, gespielt von Kevin Costner, verteidigt zu Beginn einen Jugendlichen, der sich vor Häschern des Sheriffs von Nottingham ins Geäst des Baums flüchtet.
„Er wurde ermordet, und aus welchem Grund?“
Der Regisseur des Films, Kevin Reynolds, nannte die illegale Abholzung „verabscheuungswürdig“. „Jetzt ist er verschwunden, er wurde ermordet, und aus welchem Grund? Würden Sie das Taj Mahal, den Gullfoss-Wasserfall in Island oder den Großen Wagen zerstören?“, sagte er der BBC.
„Manche Leute werden sagen, man könne den Tod eines Baumes nicht mit dem Tod eines Menschen vergleichen", so Reynolds. "Aber manche Dinge sind so ikonisch, so perfekt in ihrem Wesen, dass sie eine tiefgreifende Wirkung auf die Menschen haben.“
Als der gefällte Stamm nach der Tat abtransportiert wurde, fühlte sich Andrew Poad vom National Trust an „eine Beisetzung oder Totenwache“ erinnert. „Wir, die hier arbeiten, haben das Gefühl, ein Familienmitglied verloren zu haben“, meinte Poad. „Er hatte seine Hollywood-Karriere in den 1990er Jahren, aber mit dem Aufkommen der sozialen Medien hat er wirklich ein Eigenleben entwickelt.“
Setzlinge vom Baum landesweit eingepflanzt
Doch es gibt Hoffnung auf neues Baumleben, auch wenn es wohl 150 bis 200 Jahre dauern dürfte, bis ein ähnlich mächtiger Stamm sich in der Senke in die Höhe reckt. Der National Trust sammelte Samen zur Vermehrung von Setzlingen, die an verschiedenen Orten landesweit eingepflanzt werden sollen – auch bei König Charles III. auf Schloss Windsor. Oscar-Preisträgerin Judi Dench pflanzte einen Setzling auf der Chelsea Flower Show.
„Die Welle an Emotionen, die wir nach der Fällung des Berg-Ahorns erlebt haben, zeigt, wie sehr wir alle mit unserem Naturerbe verbunden sind“, betont National-Trust-Chefin Hilary McGrady. „Diese neuen grünen Triebe halten die Geschichte der Sycamore Gap am Leben und dienen als Erinnerung an die einfache und dringend benötigte Hoffnung, Freude und Ruhe, die die Natur bringen kann.“