Klaus Illi ist ein reflektierender Künstler. Er erinnert an die Nazi-Gräuel, er bezieht aktuelle politische Position, und er macht mit seinen kinetischen Installationen das Leben selbst zum Thema: organische Zyklen, Werden und Vergehen, Freiheit und Fremdbestimmtheit.

Ostfildern - Es rattert, reibt, rumpelt, rumort. Mal ohrenbetäubend knatternd wie ein frisiertes Motorrad, dann sanfter raschelnd wie über den Daumen blätternde Spielkarten. Dazwischen ein stetes Crescendo und Decrescendo, An- und Abschwellen der Lautstärke, bisweilen auch plötzliche Geräuschattacken. „Ratschenorchester“ heißt das Opus des Künstlers Klaus Illi, raumgreifend aufgebaut in seinem Atelier in der Kemnater Alten Schule. Das im Lauf mehrerer Jahre ständig erweiterte Ensemble besteht aus lauter eigenstimmigen, eigensinnigen Solisten mit unsichtbarem digitalem Dirigenten, einem komplizierten elektronischen Steuerungsprogramm: exakte Partitur und Zufallsoperation in einem. Wenn der vertrackte Krachmacherapparat loslegt, klingt’s wie eine Jam Session, in die Jean Tinguelys berühmte Maschinenskulpturen klappernd bewegt einstimmen könnten. Doch der verbindende Augen- und Ohrenschein täuscht vor, was eher trügt als trägt: eine Gemeinschaft von Konzeptionen, die in Wahrheit Gegensätze sind. Geht es beim Schweizer Klassiker kinetischer Kunst um absurde Kreisläufe, um Produktion ohne Produkt, um die Sinnlosigkeit industrialisierter Mechanik, interessiert sich Illi gerade für den Sinngehalt, den seine Objekte mitbringen: ihre Historie, ihren Gebrauchs- oder auch Symbolwert, ihre Rolle in sinnstiftenden, nützlichen und nicht selten grauenhaften Erzählungen. Und die sind vielstimmig wie die diversen Ratschen selbst: Sie warnten zum Beispiel im Ersten Weltkrieg vor Gasangriffen, im Mittelalter als sogenannte Lepraklappern vor ihren kranken Trägern. Oder sie vertreiben leider nicht nur Vögel aus dem Weinberg, sondern auch Juden aus ihren Häusern: Die „christlichen“ Pogrome vom Hochmittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert fanden bevorzugt zur Passionszeit statt, als Ratschen statt der Glocken von den Kirchtürmen tönten. Merkwürdige Verkehrung der Unheilsgeschichte: Im Judentum selbst bringen Ratschen beim Purim-Fest den biblischen Judenhasser Haman, der einen Völkermord plant, rituell zum Schweigen.