Das stoffgewordene Feigenblatt wird 70. Wie aus dem einst als Werk Luzifers geächteten Zweiteiler ein Kultobjekt wurde.

Stuttgart - Spätestens wenn einem Kleidungsstück ein Lied gewidmet wird, darf es sich legendär nennen. Jeans (David Dundas: „Jeans on“), Minirock (Die Ärzte: „Roter Minirock“), Stiefel (Nancy Sinatra: „These boots are made for walking“) haben es längst in diese Hall of Fame geschafft. Der Bikini, der vor 70 Jahren, die Modewelt revolutionieren sollte, hätte es sicherlich auch ohne eigenen Soundtrack geschafft. Da er aber in den Fünfziger und Sechziger Jahren für so viel Aufsehen sorgte, überrascht es nicht weiter, dass sich jemand dem anstößigen Stück Stoff musikalisch widmete. Der schrecklich-schöne Ohrwurm des Amerikaners Brian Hyland „Itsy Bitsy Teenie Weenie Yellow Polkadot Bikini“ aus dem Jahr 1960 wurde später von Caterina Valente und ihrem Bruder Silvio Francesco unter dem Titel „Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strandbikini“ auch in Deutschland ein Hit.

 

Bikini wird ein Massenprodukt

Da war der Bikini bereits kurz davor ein Massenprodukt zu werden. Die 68er-Bewegung sollte diese Entwicklung maßgeblich voran treiben. Doch bevor es soweit kommen sollte, posiert – gänzlich unzüchtig für die damalige Zeit – die 18-jährige Brigitte Bardot 1953 am Strand von Cannes in einem Bikini mit Blumenmuster für die Fotografen. Damals sei „eine Bombe geplatzt“, schreibt Ghislaine Rayer, Autorin des Buchs „Bikini, die Legende“, das zum Jubiläum in Frankreich erschienen ist. „Und am nächsten Tag sprach die ganze Welt nur vom Bikini von BB.“ Zehn Jahre später wird das erste Bondgirl, die Schweizerin Ursula Andress, dem Bikini ein Denkmal setzen. In „James Bond jagt Dr. No“ steigt sie meerjungefrauengleich, ein liebliches Liedlein säuselnd (auch ein echter Bikini-Hit: „Underneath the Mango Tree“) aus dem Smaragd-blauen Meer und droht Sean Connery (dem zu dem Zeitpunkt bereits die Augen heraus gefallen sind) mit dem Messer, dass sie schnittig aus ihrem Hüftgürtel zieht.

Spätestens da war der Bann gebrochen, der seit der ersten Präsentation 1946 auf dem Bikini lag. Der Franzose Louis Réard war es, der vor 70 Jahren im Pariser Schwimmbad Molitor die Modewelt ins Wanken brachte. Der Automechaniker und Maschinenbauingenieur hatte die Nackttänzerin Micheline Bernardini für die Präsentation seiner vier kleinen Stoff-Dreiecke und einem Stück Kordel gewinnen können. Der Legende nach wagten es selbst Mannequins nicht, den Zweiteiler vorzuführen. Seinen „Badeanzug“ benennt Réard nach dem Bikini-Atoll, wo die USA am 1. Juli 1946 eine Atombombe testen. Die Bilder des Atompilz gehen um die Welt und Réard landet mit seinem Werbeslogan einen Coup: „Der Bikini: die erste anatomische Bombe“. Obwohl das Prinzip des zweiteiligen Badeanzugs auch damals nicht neu ist – römische Mosaiken dokumentieren bereits in der Antike Frauen im Zweiteiler – ist er laut Rayer eine Revolution: „Der Bikini zeigt zum ersten Mal, was die Frauen bislang nicht zu zeigen wagten – den Bauchnabel.“

Schattendasein mit üblem Ruf

Zunächst führt der Bikini ein Schatten-Dasein mit üblem Ruf. Für den Vatikan ist klar: bei dem sündigen Teil kann nur Luzifer selbst die Hände im Spiel gehabt haben. Die Sittenwächter Hollywoods verfassen ein strenges Reglement für Kinofilme, das unter anderem „Bademode, die einen Blick auf die ‚weibliche Brust oder den Nabel erlaubt’“, verbietet. In London wird der Bikini 1951 für Schönheitswettbewerbe gestrichen, in Italien, Spanien und Australien das Bikini-Tragen gesetzlich verboten. In Rio – heute kaum vorstellbar angesichts der freizügigen Samba-Mode – gründete sich ein Anti-Bikini-Verein.

Schließlich muss wieder die 68er-Bewegung her halten, um den Bikini gesellschaftsfähig zu machen. Neben dem Minirock wird er in den Siebzigern zum emanzipatorischen Statement. Im Laufe der darauffolgenden Jahrzehnte variieren zwar Oberteil- und Höschen-Formen: es gibt Bandeaus, Push-Ups, Tangas oder Monokinis, aber der Original Triangel-Bikini fehlt bis heute in keiner Saison.

Von Tankini bis Mankini

Hier in Kürze die verschiedenen Varianten:

Tankini: Das Modell für diejenigen, denen es lieber ist, die körpereigenen Rettungsringe mit einem langen Top zu kaschieren als sie der Umwelt zu präsentieren (auch Schwangere setzen auf dieses Modell) – Tank leitet sich von Tank Top ab, der englische Begriff für ein Oberteil mit Trägern.

Monokini: Bei dieser Variante sind Ober- und Unterteil miteinander verbunden, der Monokini ist quasi ein Möchte-gern-Badeanzug ohne dabei auf die Präsentation von reichlich nackter Haut zu verzichten. Achtung: keine Alternative bei körpereigenen Rettungsringen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind!

Microkini: Dieser bedeckt wirklich nur das Allernötigste. Ober- und Unterteil bestehen aus Stoff-Dreiecken. Zusammengehalten werden die Teile – wie einst beim Modell von Louis Réard – von Schnüren oder Kordeln. Obacht bei körpereigenen Rettungsringen: der wenige Stoff könnte dazwischen geraten und kaum noch sichtbar sein.

Burkini: Die australische Designerin mit libanesischen Wurzeln, Aheda Zanetti, hat diesen multikulturellen Badeanzug entworfen. Halb Burka, das traditionelle Gewand, das muslimische Frauen fast völlig verhüllt und halb Badeanzug – zu freizügig wie beim stoffgewordene Feigenblatt Bikini darf es auch nicht sein. Das Ergebnis ist der erste islam-kompatible Zweiteiler der Welt.

Mankini: Sacha Baron Cohen alias Borat hat dieses unsägliche Stück Herren-Bademode in der gleichnamigen Komödie von 2006 zum Kult-Objekt gemacht. Ähnlich wie beim Monokini sind Unter- und Oberteil miteinander verbunden – beim Mankini in Form von Hosenträgern – sowieso ein No-Go in der Herrenmode und höchstens als Verkleidung auf Kostümpartys oder Musikfestival erlaubt. Dann auch gerne mit körpereigenen Rettungsringen.