Ein Baden-Württemberger wird der neue Chef von Gesamtmetall. Die entscheidende Frage für seinen Erfolg: Kann er mit der Kanzlerin?

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Heidelberg - Wer in Begleitung von Rainer Dulger die Heidelberger Firma Prominent besichtigt, verspürt am Ende einen ausgefallenen Wunsch: er würde gern eine Dosierpumpe erwerben. Denn daran, dass Prominent die weltweit besten Pumpen zur Wasseraufbereitung herstellt, lässt der Chef keine Zweifel aufkommen.

 

Meist führt der Unternehmer Kunden, die sich tatsächlich für den Kauf der orangefarbenen Kästen interessieren, durch die Produktionshallen. Großen Schrittes und mit Liebe zu den Feinheiten der Dosier-, Mess- und Regelungstechnik strebt er voran. Wer Fragen zu Proportionaldosierung und Chlorüberschuss hat, muss ihm auf den Fersen bleiben. Er preist Prominent als Systempionier, Technologieführer und zuverlässigen Partner. „Höchste Kundenzufriedenheit ist unser Credo – nicht höchste Auslastung“, lautet ein solcher Werbesatz.

Der erste Chef aus Baden-Württenberg

Künftig soll Dulger den Größen von Politik und Wirtschaft keine Pumpen oder Marketingstrategien verkaufen, sondern Forderungen seines Verbandes. Heute wird der Südwestmetall-Chef in Magdeburg zum Präsidenten von Gesamtmetall aufsteigen – zum politischen Kopf der mächtigen Metallarbeitgeber. Endlich gibt es einen Freiwilligen, der dem 70-jährigen Martin Kannegiesser nach zwölf Jahren die Doppelbelastung in Betrieb und Verband abnimmt.

Während der jüngsten Tarifrunde habe ihn „der Martin“ gefragt, ob er die Nachfolge antreten wolle. Dulger hätte es lieber gesehen, wenn Kannegiesser noch ein Jahr drangehängt hätte. Doch nach kurzer Bedenkzeit sagte er zu. Seine Wahl ist eine Premiere: Einen Unternehmer aus Baden-Württemberg hat es an der Spitze des Arbeitgeberdachverbandes noch nie gegeben. Dies ist so überraschend wie überfällig, da doch die IG Metall seit jeher fast alle ihre Vorsitzenden im Südwesten rekrutiert.

Wenn Dulger sich im neuen Amt bewährt, darf er es wohl ewig machen. Doch ist der 48-Jährige dem gewachsen – auf Augenhöhe mit der Kanzlerin über die gewichtigen Probleme dieser Zeit zu reden? Sein Vorgänger war einst ein weithin unbekannter Unternehmer aus Ostwestfalen, der Wäschereitechnik in alle Welt verkaufte, bis er im Jahr 2000 Gesamtmetall-Präsident wurde. Ein Kaufmannstyp: beharrlich und bescheiden – aber voller Überzeugungskraft und mit Liebe zum Wortspiel. Das kam an. Kannegiesser verschaffte sich so viel Respekt, dass Angela Merkel an seinem 70. Geburtstag eine warmherzige Laudatio hielt. Die Messlatte liegt also hoch.

Dulger ist aus Prinzip parteilos

Dulger war bisher an zwei Abendessen mit Merkel beteiligt. Noch ist offen, ob der weltläufige Ingenieur aus Heidelberg der Kanzlerin genauso liegt wie der bodenständige Kannegiesser. Doch Dulger ist lernfähig; rasch hat er als Südwestmetall-Chef an Statur gewonnen. Vielleicht hilft es, wenn der neue Mann Bewunderung über Merkels Europolitik äußert: „Wir dürfen froh sein, dass wir sie haben.“ Allerdings macht auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seinen Augen einen guten Job. Es läuft fast reibungslos mit Grün-Rot in Stuttgart. Dulger ist „aus Prinzip“ parteilos, arrangiert sich aber mit den Regierenden. Nur wenn er sich die Wirtschaftspartei FDP ansieht, graust es ihn unverkennbar.

Besorgt hat sein Vater gefragt, ob er künftig oft genug in der Firma sei. Die Antwort beruhigte jenen: Einen Tag pro Woche will Rainer Dulger in der Berliner Zentrale nahe dem Potsdamer Platz verbringen. Vom vierten Stock der Firmenzentrale aus blickt der Firmengründer Viktor Dulger weiterhin mit Argusaugen auf das, was die Söhne Rainer und Andreas aus seinem Lebenswerk machen. Der 76-jährige Patriarch ist Aufsichtsratsvorsitzender und noch im Besitz der Anteilsmehrheit. „Sie können einem alten Unternehmer nicht sagen: Geh von der Brücke“, stellt Rainer Dulger fest. Die Firma sei dessen „Baby“. Oft bespricht er sich mit dem Vater, „aber operativ redet er uns nicht rein“.

Zügig laufen Dulger und Gefolge durch den Betrieb. „Ich kenne den Namen jeder Schraube“, sagt er. Mitarbeiter, die ihm über den Weg laufen, werden freundlich gegrüßt. Große Krawalle mit dem Betriebsrat hat es bisher nicht gegeben. Nur einmal gab es Irritationen – als Prominent in der Krise einige Auszubildende nach der Lehre bei einer arbeitgebereigenen Zeitarbeitsfirma parkte. „Das war schlecht kommuniziert“, gesteht Dulger. Längst seien die Betroffenen fest angestellt. Ein Gewerkschaftsfresser ist er trotz des zuweilen forschen Tons sicher nicht, bestätigen die Arbeitnehmervertreter. Dulger selbst sieht sich als ein Mann des Interessenausgleichs – wie Kannegiesser.

Die dritte Generation soll die Firma übernehmen

Gerne lässt er Anglizismen einfließen. So kostet eine Pumpe „300 Euro street price“ und die üblichen Verdächtigen unter den Maschinenbauern sind die „common suspects“. Früh hat der Vater die Brüder zu den Produktionsstandorten in aller Welt mitgenommen. So etwas prägt – nicht nur den Sprachgebrauch. Auch der Generationenpakt soll Bestand haben: Gerne würde Dulger seine beiden eigenen Söhne, elf und acht Jahre alt, ebenso auf seine Schiene setzen. Er wolle ihnen einen Bezug zu dem geben, was er tue. Was sie damit anfingen, sei später ihre eigene Entscheidung. Folglich hat er in der Familie den „Mäuschentag“ eingeführt. Ein- bis zweimal im Jahr zeigt er in der Firma all das, was für die Söhne von Interesse sein könnte. Sobald bei ihnen Langweile aufkommt, werden sie von der Mutter, einer Betriebswirtin, abgeholt.

Er ist ein Prachtexemplar von Unternehmer: stets in feines Tuch gekleidet, die Haare nach hinten gegelt, zuvorkommend, selbstsicher und immer gut vorbereitet. Für die neue Aufgabe „muss man ein gewisses Maß an Eitelkeit mitbringen“, stellt Dulger fest. So wird man ihn wohl häufiger in den Talkshows sehen als seinen Vorgänger, dem das Durcheinandergequatsche gegen den Strich ging. Kannegiesser erkannte schnell, dass er keinen seiner ausgedehnten Gedanken in den Runden zu Ende führen konnte. Auch Dulger drängt es nicht auf die Talksofas; Berührungsängste habe er aber auch keine. „Ich stelle mich dem auf jeden Fall.“ Denn Tarifrunden seien stets auch Kommunikationskampagnen.

Ihm fehlt zwar der Wortwitz Kannegiessers, doch spricht er druckreif. Ecken und Kanten sucht man vergeblich. Differenzen mit Vater und Bruder etwa werden eingeebnet. Allenfalls in der Mainacht, als in Sindelfingen der Tarifabschluss gelang, wirkte er derangiert – erschöpft war er und wortkarg. Schwächen erlaubt sich dieser Mann sonst nicht, weder im Tarifpoker noch gegenüber Journalisten. Nur deren Kreuzverhör zu seiner Person lässt er – ungeduldig mit den Füßen wippend, die Beine übereinander geschlagen – über sich ergehen.

Als junger Erwachsener hat er, so scheint es, seine letzte große Niederlage erlitten: Da wollte er Pilot werden, doch für die Luftwaffenjets war er zu groß. Gelandet ist er im Lkw. Die Lust am Fliegen ließ sich der 1,99-Meter-Mann nicht nehmen. Wann immer es passt, eilt er per Hubschrauber zum Termin. Ein Berufspilot übernimmt dann die Vorbereitung und er selbst lässt das Gerät abheben. „Den Hubi kann ich hinten auf die Wiese stellen“, sagt er.

Dulger hat eine eiserne Regel: Er will jeden Morgen mit der Familie frühstücken. Also fliegt und fährt er abends wann immer möglich heim. Als Gesamtmetallchef will er nicht öfter unterwegs sein als bisher – mit dem Unterschied, dass er künftig eher in Berlin weilt als in seinem weltweiten Dosierpumpen-Imperium. Wenn er sich etwas gönnen will, begibt sich Dulger mit seinen Söhnen auf den Hochsitz in Lothringen – wo er eine Jagd gepachtet hat. Dort lauert er Rehen und Schweinen auf und darf, so ist zu vermuten, ganz bei sich sein.