Die Polizei hat den Botnanger Moscheeverein durchsucht. Der Verein gilt als Islamistentreffpunkt. Junge Männer aus dem Umfeld sollen sich am Terror des Islamischen Staats beteiligt haben. Landesinnenminister Reinhold Gall erwägt ein Verbot.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Stuttgart - Mittags herrscht vor dem islamischen Bildungs- und Kulturzentrum Mesdschid Sahabe in Botnang Ruhe. Nichts deutet auf die Durchsuchung der Polizei am frühen Morgen hin. Drei Männer räumen Sperrmüll aus dem Keller der Einrichtung an der Regerstraße. Einer von ihnen sagt, dass sie zur Moschee gehörten. Nein, die Polizei sei nicht da gewesen. Als seinen Namen nennt er George W. Bush. Später wird die Atmosphäre vor dem Haus frostiger. Als weitere Journalisten und Fotografen auftauchen, faucht man aggressiv: „Haut lieber ab von hier.“

 

70 Polizisten sind frühmorgens an der Durchsuchung der Gebetsräume und Wohnungen von sechs Vereinsmitgliedern beteiligt gewesen. Festnahmen gab es keine. Die Einrichtung soll die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützen. Die Moschee wird von Salafisten dominiert. Es sind erzkonservative Moslems. Ihr Weltbild: Rechtgläubiger oder Ungläubiger, gut oder böse, „wir“ gegen „die Anderen“. Demokratie, Liberalität, Pluralismus und die Gleichberechtigung gelten als „Werk des Teufels“.

Es ist die zweite große Razzia innerhalb weniger Wochen

Der Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) sagt, dass die Moschee als Islamistentreffpunkt aus ganz Baden-Württemberg bezeichnet werden könne: „Es besteht der konkrete Verdacht, dass der Verein Verbotsgründe nach dem Vereinsgesetz erfüllt, indem er Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung religiöser Belange unterstützt.“ Man prüfe nun ein Verbot. Das Haus bleibt derweil geöffnet.

Es ist die zweite große Durchsuchungsaktion in der Region Stuttgart innerhalb weniger Wochen, die sich gegen mutmaßliche Islamisten richtet. Am 10. Februar wurden dabei fünf Männer festgenommen, sie kamen später wieder auf freien Fuß. Deren Aktivitäten sollen vom Sunnah-Verein in Sindelfingen gesteuert worden sein. Auch bei ihm ist ein Verbot denkbar.

Das Zentrum gilt als eine Art „Durchlauferhitzer“

Die bosnisch geprägte Moscheegemeinde in Botnang ist seit längerer Zeit im Visier des Verfassungsschutzes und des Staatsschutzes der Polizei. Die Behörden stufen das Haus als „äußerst problematisch“ ein. Prediger des erzkonservativen Missionierungswerkes „Die wahre Religion“ sollen mehrmals aufgetreten sein. Zum Netzwerk sollen auch Pierre Vogel und Sven Lau zählen, einflussreichste Personen der deutschen Konvertitenszene.

Das Zentrum gilt unter Ermittlern als eine Art „Durchlauferhitzer“ für junge Männer, die sich dem Dschihad anschließen wollen. Seit 2013 sollen sechs Besucher nach Syrien gereist sein. Mindestens drei von ihnen wurden dort getötet: Hazma S. (17) aus Kirchheim (Kreis Esslingen) und Enver P. (41) aus Schwieberdingen (Kreis Ludwigsburg) vor einem Jahr sowie Elvis H. aus Schwieberdingen (Kreis Ludwigsburg) im vorigen Oktober.

Drei weitere Einrichtungen stehen unter Beobachtung

Herbert Landolin Müller, der Terrorismusexperte des Landesamts für Verfassungsschutz, schätzte jüngst die Zahl der potenziell gewaltbereiten Salafisten in Stuttgart auf „100 bis 120“. Bei „mehreren jungen Leuten“ sei eine Ausreise und ein Anschluss an IS-Kämpfer in Syrien zu befürchten. Dabei stehe nicht nur die Botnanger Moschee unter Beobachtung, so Müller. Die Stuttgarter Salafistenszene verteilte sich auf drei weitere Einrichtungen: die Gemeinde Masjid al-Khayr in Zuffenhausen sowie in Bad Cannstatt der Islamische Bund und das Islamische Zentrum. Deren Häuser wurden am Dienstag nicht durchsucht.

Allerdings sei nicht jeder Besucher, der in eine dieser Einrichtungen gehe, als extremistisch einzuordnen, so Müller. Anders als in anderen deutschen Großstädten gebe es in Stuttgart keine offene salafistische Szene. Ermittler beobachten, dass Propagandaveranstaltungen immer häufiger im privaten Raum stattfinden, wobei eine Moschee nur eine Möglichkeit ist.

Drei mutmaßliche Terrorhelfer stehen vor Gericht

Viele der jungen Leute radikalisieren sich verblüffend schnell. So wurden jüngst zwei 17-Jährige aus dem Raum Leonberg gefasst, die sich offenbar dem IS in Syrien anschließen wollten. Die Entscheidung reifte innerhalb weniger Monate. Der eine kehrte vorzeitig zurück, der andere wurde an der türkisch-syrischen Grenze gefasst.

Drei mutmaßlichen Terrorhelfern drohen indes Verurteilungen am Oberlandesgericht in Stuttgart. Erst vorige Woche hatte die Bundesanwaltschaft in dem Prozess wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland auf Haftstrafen von drei bis fünf Jahren plädiert.

Als Haupttäter gilt Ismail I. (24). Er soll für die Terrormiliz in Syrien gekämpft haben und zurückgekehrt sein, um Geld und Material zu beschaffen. Auf der Anklagebank sitzt auch Ismails Bruder Ezzedine (34), der für die „Gotteskrieger“ Geld gesammelt habe. Beide kommen aus Stuttgart. Ismail I. soll vor seinem Einsatz in Syrien im Jahr 2013 ein paar Monate lang die Moschee in Botnang besucht haben.