Die Rolle als Krebspatient in „Der Club der Roten Bänder“ hat Tim Oliver Schultz zum Teenie-Idol gemacht. Die StZ-Autorin Antje Hildebrandt hat sich mit ihm unterhalten.

Berlin - Es gibt diese Momente vor der Kamera, da ist das Drehbuch so nah an der Realität dran, dass man als Schauspieler das Gefühl hat: Das ist gar kein Film. Was hier passiert, ist echt. Tim Oliver Schultz hat es gerade erlebt. Dreharbeiten, von denen er sagt, sie hätten ihn bis an seine Grenze geführt, psychisch und physisch. Krankheit, Tod, Trauer, Trotz, Überleben. Das volle Programm.

 

Schultz ist 27 Jahre alt, ein smarter „Schnuckel“, so schreibt die „Bravo“, Typ: Großmutters Lieblingsenkel. Er hat schon in über 30 Filmen mitgespielt, bei „Hallo Robbie“ oder „Alarm für Cobra 11“. Doch seinen Durchbruch als Teenie-Star, mehr noch, als Vorbild, hat er mit der Rolle des Leo in der TV-Serie „Club der roten Bänder“ (Vox) geschafft.

Dieser Leo hat keine Haare und nur ein Bein. Aber Leo ist ein cooler Typ, der sich nicht unterkriegen lässt. Er zeigt dem Krebs den Stinkefinger. So steht es im Drehbuch dieser Serie. Sie erzählt Geschichten vom Alltag einer Krebsstation für Kinder und Jugendliche. Die Krankheit hat sie herausgerissen aus einem Leben, das randvoll war mit Schularbeiten, Skateboardfahren, erster Liebe und Erwachsen-Werden-Müssen. Aber es geht weiter.

„Krebspatienten sind Superhelden“

„Die geben da richtig Gas“, sagt Schultz, während er nachdenklich seinen Tee umrührt. Und wenn er von „denen“ redet, dann meint er nicht nur seinen Leo, Jonas, Alex und die anderen Figuren aus dem „Club der Roten Bänder“, sondern echte Krebspatienten. Er sagt: „Das sind Superhelden. Die kämpfen jeden Tag um ihr Leben. Davon können wir uns eine Scheibe abschneiden.“

Das Treffen mit Tim Oliver Schultz findet morgens in seinem Stammlokal im Berliner Stadtteil Schöneberg statt. Jugendstil-Lampen auf dem Tresen, historische Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden. Man muss zweimal hinschauen, um sich zu vergewissern, dass er es wirklich ist. Das Haar ist nachgewachsen. Er wirkt weicher und jünger als in der Serie. Der Schauspieler wohnt gleich um die Ecke, der Sohn eines Lungenarztes, der im „bonzigen Wannsee“ (Schultz) aufwuchs und schon mit zwölf seinen ersten Film dreht. Er sagt, er habe sich beweisen wollen, denn er sei immer der Kleinste gewesen in der Schule. Er werde nie größer werden als 1,55 Meter, hatte ein Arzt prophezeit. Heute ist Schultz 1,78 Meter groß. Vielleicht sei er an der Schauspielerei gewachsen, sagt er.

In seiner WG streamt er Serien auf Netflix

Tim Oliver Schultz lebt in einer Dreier-WG. Kochen, feiern, Serien auf Netflix gucken, so sieht er aus, der Alltag in seiner WG. Auf seine Mitbewohner kann er sich verlassen. Ein erstes Treffen mit ihm sagen seine Mitbewohner per SMS ab: Tim liege mit einem Migräne-Anfall im Bett.

Einen Tag später ist das Kopfweh zwar noch nicht ganz weg, aber Schultz kommt trotzdem. Er sagt, es sei im Augenblick alles ein bisschen viel. Die Interviews. Der Medienrummel. Die vielen Mails. Beinahe hundert bekomme er immer noch jeden Tag, die meisten von krebskranken Kindern, einige auch von ihren Eltern. Sie schrieben ihm, wie froh sie seien, dass sie sich endlich im Fernsehen wiederfinden mit ihren Problemen: „Ihr gebt uns Mut.“

Er klingt, als könne er das selber immer noch kaum glauben, dass diese Serie hierzulande so eingeschlagen ist mit ihm als Leo, dem Anführer dieser Clique, dem Kämpfer, dem Mutmacher. Das ist das Erfolgsgeheimnis der Serie. Sie raubt der Krankheit ihren Schrecken, indem sie zeigt, wie das Leben weitergeht mit dem Krebs.

Wie die Jugendlichen eine Abschiedsparty feiern, wenn wieder einer ein Bein amputiert bekommt. Wie sie sich gegenseitig motivieren , wenn einer nicht mehr leben will, weil auch die x-te Chemotherapie nicht angeschlagen hat und er schreien will, weil jede Bewegung wehtut.

Kampfgeist und Freundschaft

Du bist nicht allein, das ist die Botschaft des „Clubs der roten Bänder“. Deine Freunde fangen dich wieder auf. Du erkennst sie an diesen Plastikarmbändern, die an ihrem Handgelenk tragen. Man bekommt sie im Krankenhaus nach jeder OP, als Erkennungszeichen. „Das sind meine Siegesorden“, so sagt es Leo in der ersten Folge. „Ich bin Minimum Napoleon.“

Der Kampfgeist ist das eine, das Loblied auf die Freundschaft das andere. Mitunter fragt man sich, ob die Serie an einigen Stellen nicht zu dick aufträgt. Schließlich ist es ja eine Zweckgemeinschaft, die sich da in diesem fiktiven Krankenhaus findet. Und verschleiert die Serie nicht mehr, als sie enthüllt, wenn sie dem Zuschauer einreden will, im Grunde genommen sei so ein intensiv gelebtes Leben im Zeitraffer doch das bessere, weil bewegendere Leben?

Tim Oliver Schultz kennt die Kritik. Es scheint, als habe er die Frage schon häufiger beantwortet. Er spult seinen Text jetzt so routiniert ab, als hätte er ihn auswendig gelernt. Er sagt: „Aber so ist das Leben.“ So schrieben es ihm ja die Fans, die ihm Fotos von sich und ihren eigenen OP-Bändern schickten. Und so habe es ihm auch Justin erzählt, ein 21-jähriger Junge, den er vor Beginn der Dreharbeiten auf einer Krebsstation in Brandenburg begleitete, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Erkrankte ticken.

Die Dreharbeiten haben ihn zum Weinen gebracht

Er ahnte da noch nicht, wie anstrengend die Dreharbeiten sein würden. Die Szenen im Rollstuhl, wenn er auf einem Bein sitzt, damit es aussieht, als habe er nur noch eines. Er ahnte auch nicht, wieviel Überwindung es ihn kosten würde, sich den Schädel kahlzurasieren. Er sagt, er habe sich plötzlich nackt gefühlt, sehr nackt. Und so sei es ihm ja auch mit der ganzen Rolle gegangen. Es habe Tage gegeben, da habe er schon in der Maske mit den Tränen gekämpft, so sehr habe ihn die Rolle als Leo absorbiert.

Besonders hart sei die Folge gewesen, in der Alex (Timur Bartels) stirbt. Vor der Kamera trösten sich seine fünf besten Freunde damit, dass jeder künftig ein Fünftel seiner Träume für Alex mit lebt. Schultz sagt, diese Taktik habe ihm auch im richtigen Leben geholfen. Kurz nach den Dreharbeiten starb seine Oma mit 94 Jahren. Sie hatte ein erfülltes Leben. Aber Schmerz ist Schmerz. Er stellte sich vor, wie ein Teil von ihr auch in ihm weiterlebe.

Die Serie läuft in 18 Ländern

Die Idee für die Serie „Club der roten Bänder“ stammt von dem spanischen Autor Albert Espinosa, 42. Er hat seine Jugend in einer Krebsstation verbracht. Heute läuft die Serie in achtzehn Ländern. Im Frühjahr dreht Vox die 2. Staffel. Ein schönes Sprungbrett für den Hauptdarsteller. Tim Oliver Schultz studiert nebenbei noch Produktion an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Er sagt, er habe den Kopf voller Ideen für neue Serien. Er liebt „Breaking Bad“, die Geschichte eines krebskranken Chemielehrers, der durch seine Krankheit zum Kriminellen wird.

Die Schauspielerei sei nur ein Standbein für ihn, wenn auch ein festes. Seine Rollen könne er sich jetzt zwar aussuchen, aber der Druck werde eben auch größer: „Der ,Club der roten Bänder’ hat einen neuen Standard gesetzt.“ Warum hat er dann noch den Bauernjungen Endres in dem Weihnachtsmärchen „Die weiße Schlange“ (ZDF, Heiligabend, 16.30 Uhr) gespielt? Schultz sagt, der Endres sei auch ein Kämpfer wie der Leo. Außerdem habe er diesen Film schon vor der Serie gedreht. Er grinst. Es scheint, als wäre es anders herum nicht mehr vorstellbar.