Am Mittwoch verhandelt Ministerpräsident Winfried Kretschmann wieder mit der Kanzlerin und seinen Kollegen über Wege aus der Coronakrise. Das Virus beeinflusst seine Chancen bei der Landtagswahl – ein Schlaglicht.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Die nächste Wahl ist nie das sprichwörtliche „g’mähte Wiesle“ aus dem schwäbischen Zitatenschatz. Und wenn ein Ministerpräsident zum dritten Mal antritt, um an der Macht zu bleiben, sind Frische und Neuigkeitswert nicht die Stärken, um im politischen Wettbewerb zu punkten, ganz unabhängig von der konkreten Person und ihrer tatsächlichen politischen Bilanz. Das gilt für Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, den nach wie vor einzigen grünen Regierungschef der Republik, natürlich auch. Darüber hinaus hat aber das Coronavirus die Großwetterlage des Ministerpräsidenten für die nächste Landtagswahl fundamental verändert, seit er sich im vergangenen Frühherbst zur neuerlichen Kandidatur um das mächtigste Amt im Südwesten entschlossen hat.

 

Nun sind Umfragen Momentaufnahmen. Aber dass die Grünen bundesweit nach ihrem schon mehr als ein Jahr währenden Höhenflug in Richtung Kanzleramt wieder auf SPD-Niveau zurückgefallen sind und die Union dank der weithin akzeptieren Krisenpolitik der Kanzlerin einen weiten Vorsprung vor allen politischen Konkurrenten herausgespielt hat, bedeutet für Kretschmanns Wahlchancen eher Ballast und eben keinen stabilen Rückenwind durch die Bundespartei. Das schlägt auch auf die Stimmung im Land selbst durch. In einer kaum 14 Tage alten Umfrage hatte die CDU die Grünen im Land sogar schon einmal knapp überholt – das erste Mal seit drei Jahren. In der jüngsten Erhebung von Ende April haben die Südwest-Grünen die Nase wieder um vier Punkte vorne. Aber mit 30 Prozent erreicht die CDU ihren besten Wert seit vier Jahren. Aktuell ist es Kretschmanns Konkurrentin Susanne Eisenmann, die sich vom Bundestrend getragen fühlen kann.

Kretschmanns Popularitätswerte steigen weiter

Ob das über den Tag hinaus die politische Stimmung prägen kann, wird stark davon abhängen, wie die Landesregierung die nächsten Etappen der Krisenpolitik bewältigt. So wie Schwarz-Rot auf Bundesebene hat im Südwesten auch Grün-Schwarz in der ersten Phase der Corona-Krise, in der zugunsten des Gesundheitsschutzes der Bürger das öffentliche und wirtschaftliche Leben weitgehend lahmgelegt wurde, sehr stark von der Integrität des Regierungschefs profitiert. Ähnlich wie bei der Kanzlerin fühlen sich die Bürger bei Winfried Kretschmann wegen seiner bedächtigen, umsichtigen und ruhigen Art Politik zu machen, gut aufgehoben. Das zeigt sich daran, dass sich seine hohen persönlichen Popularitätswerte seit Beginn der Coronakrise noch einmal verbessert haben.

Aber während der Weg in den Lockdown hinein weitgehend unumstritten war, ist der Weg zurück in eine neue Normalität wesentlich schwieriger, vielgestaltiger und Gegenstand von heftigen politischen Debatten. Schon sieht sich Kretschmann, wenn er heute mit seinen Kollegen und Kanzlerin Merkel über weitere Lockerungsmaßnahmen spricht, in einer ziemlich übersichtlich gewordenen Gemeinschaft der Umsichtigen und Vorsichtigen. Die Stürmer und Dränger werden mehr Aufwind bekommen, je spürbarer die Wirtschaftskrise mit millionenfacher Kurzarbeit, drohenden Firmenpleiten und wenn es schlecht läuft auch einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit wird.

So gut Kretschmanns persönliches Temperament in die Anfangszeit der Corona-Krise passte, so wichtig wird es für ihn werden, im Lauf des Jahres in Sachen Dynamik beim Krisenmanagement nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die CDU tut alles, um ihre Spitzenkandidatin Eisenmann als zupackende Macherin zu positionieren und Kretschmann an diesem Punkt in die Defensive zu bringen. Zwar zahlt es sich meistens nicht aus, wenn die Opposition oder der kleinere Regierungspartner einem populären Regierungschef permanent in die Waden zu beißen versuchen – aber auch Popularitätswerte sind volatil. Auf dem Weg aus der Coronakrise könnte Kretschmann bei aller Klarheit im Kurs manchmal vielleicht auch eine gewisse Wendigkeit im öffentlichen Auftreten helfen, die nicht gerade seine Stärke ist.

Die Risiken für Kretschmann werden größer

Ob das grüne Leib- und Magen-Thema Klimaschutz, das Corona in den Hintergrund verdrängt hat, Chance oder Risiko für den baden-württembergischen Regierungschef wird, ist noch nicht ausgemacht. Dass Kretschmann einen Spagat zwischen Klima- und Wirtschaftsfreundlichkeit versuchen muss, steht außer Frage. Damit die eigenen Anhänger – und übrigens auch die vielen, in den vergangenen Monaten neu gewonnenen Grünen-Mitglieder – zufriedenzustellen, wird nicht einfach – zumal wenn zugleich die Erwartung alle Bürger zu beachten sind, ihre Arbeitsplätze und ihren Wohlstand nicht zu gefährden.

Niemand kann heute die Frage beantworten, ob Kretschmann zu einem Verlierer der Corona-Krise wird. Die Zukunft ist offen, die Stimmung veränderlich. Aber es gibt ein paradoxes Risiko der aktuellen Politik, für das Kretschmann so wenig kann, wie die anderen Verantwortungsträger, dem er bei der Wahl im nächsten Jahr aber unterliegen wird: Je besser und schneller die Pandemiebekämpfung in den nächsten Wochen und Monaten gelingt, desto mehr werden die Bürger im März 2021 vergessen haben, wie unmittelbar sie das Risiko der eigenen Erkrankung in diesen heißen Corona-Monaten gespürt und gefürchtet haben. Die durch Corona ausgelöste Wirtschaftskrise wird dagegen noch nicht vorbei sein und die Großwetterlage bei der Wahl prägen.