Der deutsche Expo-Pavillon in Mailand verarbeitet multimedial alles, was der Natur im Land entstammt. Natürliche Natur spielt hingegen keine Rolle.

Mailand - Die Deutschen haben das Tablet neu erfunden. Während die trendigen Museen dieser Welt rechteckige Super-Hightech-Fladen an ihre daddelsüchtigen Besucher ausgeben, verteilt der deutsche Expo-Pavillon in Mailand zu diesem Behufe: simple Pappdeckel. Wellpappe, genauer gesagt. Klingt nach Wellblech, ist aber so modern, moderner geht’s nicht.

 

Gewachsen ist der Superkarton auf den „Feldern der Ideen“ (so das Motto des Pavillons), auf denen Deutschland seinen vielleicht drei Millionen Gästen in Mailand „ein anderes Denken“ einsäen und „ein Bewusstsein für die Kräfte und die Erhaltung der Natur schaffen“ will. Schließlich steht die Expo 2015 ja unter dem Slogan „Den Planeten ernähren – Energie für das Leben“. Als „großer Nachhaltigkeitspark“ versteht sie sich selbst, als „planetarischer botanischer Garten und riesiger Agrofood-Park“, edel geprägt von „Leichtigkeit und Schönheit“.

Wer nun aber denkt, die Deutschen betrachteten ihre Pappe in diesem Zusammenhang als eine Art biologisch abbaubares Zurück zur Natur nach dem gloriosen Vorbild der Jutetasche, der liegt schon mal falsch. Ohne Hightech funktioniert der Karton nämlich auch nicht, nur ist die ganze Elektronik ausgelagert: in jene Scanner und Projektoren, welche den Betrachtern der etwa hundert Exponate (oder besser: Installationen) alle zeigefingerpädagogisch nur möglichen Bildchen, Videos, Spiele individuell auf die Pappe beamen, wisch- und kippfähig wie ein echtes Tablet.

Stahlrohrsprosse als „Ideen-Keimlinge“

Natürliche Natur hingegen, von etwas Feigenblatt-Grün abgesehen, spielt keine Rolle im deutschen Pavillon. Alles ist multimedial zurechtgefiltert oder technologisch hoch anspruchsvoll verarbeitet. Als „Ideen-Keimlinge“ beispielsweise bohren sich filigrane Stahlrohrsprosse durch den Beton des Baus zur Sonne hin; futuristische „Organische Solar-Module“ spannen sich als Blätter zwischen ihre Äste. Und auch der die Besucher mitreißen sollende Bienenflug über die deutschen Lande ist ein Festival der Computeranimation und der Seilzug-Robotik. Echtes deutsches Supermarktgemüse bekommt der Gast nur in dieser, in der virtuellen Form zu sehen. Wenigstens Kühe gibt’s auch noch in einer anderen: als Rheinischen Sauerbraten in den Restaurants des Pavillons – oder in der Abschluss-Show des Rundgangs, wo ein Gitarrist und ein Beat-Boxer die Gäste täglich vierzigmal zum möglichst naturnahen Mitmachen begeistern wollen: zum Muhen im Chor beispielsweise, „Ich bin Kuh“, oder so ähnlich. Und die Wellpappe kommt dort auch noch zu ihrem wahren Recht: als Geräuschinstrument, völlig analog, wie ein gutes altes Waschbrett.

Zwei Hauptthemen hat sich der deutsche Pavillon vorgenommen. Zum einen will er laut Peter Redlin von der Stuttgarter Kreativagentur Milla & Partner, die die Gestaltung übernommen hat, „ein offenes, sympathisches und humorvolles Deutschlandbild“ vermitteln – schon das ist eine Aufgabe für sich in einem Land, in dem Angela Merkel als die so gar nicht humorvolle Zuchtmeisterin wahrgenommen wird. Ferner will der Pavillon laut Dietmar Schmitz vom Bundeswirtschaftsministerium „zeigen, wie wichtig es ist, mit den natürlichen Ressourcen unserer Erde und mit unserer Umwelt behutsam umzugehen“.

Energiesparendes Klimakonzept für den italienischen Sommer

Die technische Raffinesse des Baus, mit der die zweite Forderung vorbildhaft umgesetzt werden soll, erschließt sich nur dem Besucher, der sich nicht einfach mit den vorgegebenen Themenstationen Wasser, Boden, Klima, Artenvielfalt, Konsum und Produktion von Lebensmitteln begnügt. Sie wird sichtbar nur für Gäste, die mehr wollen als den „Panoramablick bis zu den Alpen“ von der Picknickterrasse des deutschen Pavillons aus und die noch keinen besonderen Erkenntnisgewinn aus dem offiziellen Ratschlag ziehen, schon allein in den unterschiedlichen Holzarten der Anstiegsrampe die „typisch deutsche, vielfältige Feld- und Flurlandschaft“ kongenial widergespiegelt zu sehen.

Den Pavillon „leicht und ressourcenschonend“ zu erstellen hieß für das Architekturbüro Schmidhuber (München) und das Bauunternehmen Nüssli (Roth bei Nürnberg) unter anderem, auf Außenwände zu verzichten, wo es ging. Den Restaurantbereich trennt praktisch nur eine insektendichte Membran vom Rest der Welt; verstellbare Lamellen erlauben die Regelung des Lichteinfalls. Durch dieses Energie sparende Klimakonzept entstehe automatisch „ein Kaltluftsee in den Aufenthaltszonen“, schreibt das deutsche Expo-Büro; die Raumtemperatur   werde – nicht unwichtig in den sechs Mailänder Sommer- und Ausstellungsmonaten – „im Verhältnis zur Außentemperatur um fünf bis sechs Grad abgekühlt“. Damit sei eine „Vollklimatisierung“ nur in der VIP-Lounge und im Feinschmecker-Restaurant vonnöten.  

Solarstrom reicht nicht für komplette Energieversorgung

Bei anderen Sachen schaut man lieber nicht so genau hin: Der Strom, den die „Organischen Fotovoltaik-Module“ praktisch auf den Bäumen wachsen lassen, reicht nur, genau diese selbst nächtens in vollem Glanz erstrahlen zu lassen; den Rest seines Stroms bezieht der deutsche Pavillon ganz traditionell – aus der Steckdose.

Wer will, mag die Österreicher da für fortschrittlicher halten: den Deutschen genau gegenüber, auf der anderen Seite der Expo-Hauptpromenade, haben sie in ihrem Pavillon einen Wald gepflanzt. Ganz echt, alles bio, keine „Virtual Reality“, null Computer-Schnickschnack. Der Wald, sagen sie, produziere als „Energie für das Leben“ mehr Sauerstoff, als die im Pavillon erwarteten Besucher verbrauchten. Und der Strom   komme von klassischen Solarzellen auf dem Dach. Allein: wenn der Besucher von heute so multimedial tickt, wie die Deutschen vermuten, wird er mit einem bloßen Wald nichts anzufangen wissen. Oder aber: er   betrachtet ihn als eine einzige Wohltat. Die Expo wird’s lehren.