Georg Herwegh war Gastwirtssohn aus Stuttgart, romantischer Troubador, Bestsellerautor und Revolutionär. Er und seine Frau Emma galten als meistgesuchtes Paar in Baden und Württemberg. Ein Porträt zum 200. Geburtstag.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Stuttgart - Heinrich Heine hat es geahnt: „Eiserne Lerche“ hat er seinen aufstrebenden jungen Dichterkollegen Georg Herwegh genannt. „Mit klirrendem Jubel steigst du empor / Zum heilgen Sonnenlichte!“ schrieb er ihm 1844 ins Stammbuch. Und warnte: „Weil du so himmelhoch dich schwingst / hast du die Erde aus dem Gesichte verloren / Nur in deinem Gedichte lebt jener Lenz den du besingst.“ Wie gnadenlos recht der im Pariser Exil lebende Rheinländer behalten sollte, hat er selbst wohl nur noch vage mitbekommen. Als Herwegh wie ein Ikarus mit der deutschen Revolution 1848 abstürzte, lag Heine schon mit Syphilis in der „Matrazengruft“ und war laut Friedrich Engels „am Kaputtgehen“.

 
Emma Herwegh

Schön ist der Frühling im Südschwarzwald. „Herwegh und seine Frau waren damals dort oben am Wald“, sagt Kurt Vollmer und zeigt mit einem Schnellhefter auf eine Landschaft, wie sie lieblicher nicht sein könnte. Der 77-jährige Landwirt und ehemalige Meister in einem Textilbetrieb war 19 Jahre lang Ortsvorsteher von Dossenbach. Das Dorf mit seinen 600 Einwohnern liegt auf dem Dinkelberg, einem Muschelkalkrest zwischen Wiesental und Hochrhein. „Die Männer von Herweghs Legion waren zum Teil noch unten im Dorf, zum Teil hier oben“, erklärt Kurt Vollmer. „Und hier war das Schwertduell zwischen dem württembergischen Hauptmann Lipp und Reinhard Schimmelpfennig, dem Chef der Sensenmänner.“ Kurt Vollmer wohnt in der Herweghstraße, hat vor dem örtlichen Bürgersaal einen Gedenkstein aufgestellt. Die Lebensgeschichte der Herweghs kennt er bis ins Detail.

Ein Exilant als politischer Anführer

Diese Story hatte am 27. April 1848 ihren dramatischen Dreh- und Angelpunkt in diesem kleinen Dorf keine zehn Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt. „Deutsche Demokratische Legion“ hieß die insgesamt 650 Männer zählende Schar bewaffneter Männer, die nach einer durchregneten Nacht und nach zehn Stunden Fußmarsch völlig übermüdet und hungrig in dem engen Bachtelengraben ankamen, in dem Dossenbach liegt. Es waren vor allem deutsche Handwerker, die in Paris im Exil gelebt hatten – und nach dem revolutionären Sturz des französischen Königs Louis Philippe auf eine Revolution in der Heimat gehofft hatten. Mit französischem Zehrgeld und alten Gewehren, Sensen und Knüppeln waren sie im März nach Straßburg gezogen, um mit den deutschen Brüdern Freiheit und Demokratie zu erkämpfen.

Als politischen Anführer hatten sie sich einen Exilanten auserkoren, dessen flammende Verse sie auswendig aufsagen konnten: „Frisch auf, mein Volk, mit Trommelschlag / Im Zorneswetterschein! / O wag’ es doch, nur einen Tag / Nur einen, frei zu sein.“ Das war der pathetische Ton, mit dem sich der Stuttgarter Gastwirtssohn Georg Herwegh 1841 in den „Gedichten eines Lebendigen“ an die Spitze einer romantisch-aufrührerischen Jugendbewegung geschrieben hatte. Geflohen vor dem Militärdienst in Württemberg, Bestsellerautor mit traumhaften fünfstelligen Auflagen – trotz Zensur! – war Herwegh ein europäischer Troubadour, der sich in der Schweiz und in Frankreich in den ersten Kreisen des an den Fesseln der Monarchie rüttelnden Bürgertums bewegte. Franz Liszt und Richard Wagner waren enge Freunde. Karl Marx, Arnold Ruge und der spätere Anarchist Michail Bakunin gehörten zu seinem engeren Debattierzirkel.

Georg Herwegh, die „eiserne Lerche“, konnte es 1842 wagen, trotz Repression eine Reise durch die Staaten des Deutschen Bundes zu zelebrieren. An jeder Station, vornehmlich Universitätsstädten, flochten die Studenten dem erst 25-Jährigen Lorbeeren, und das liberale Bürgertum gab redengeschwängerte Festdiners.

Bis Herwegh in die Fänge „des Ladenhüters aus dem Hause Siegmund“ geriet. So ätzten die gleichen Jubelsänger nach Herweghs Verlobung mit der gleichaltrigen Emma Siegmund, Tochter des steinreichen jüdischstämmigen Textilkaufmanns Gottlieb Siegmund, Hoflieferant und wohnhaft gegenüber dem preußischen Königsschloss in Berlin-Mitte. Als gut gepolsterter Ehegatte würde Herwegh gewiss nicht mehr „Reißt die Kreuze aus der Erden“ singen, sondern zum Pantoffelheld mutieren. Welch ein Irrtum! Die „Republikanerin comme il faut“, wie Herwegh seine Braut der „Rheinischen Zeitung“ und Redacteur en Chéf Karl Marx vorstellte, wurde die treibende Kraft in Herweghs Leben.

„Sie war ungeheuer willensstark“

„Sie war ungeheuer willensstark, hat ihren Mann angespornt“, sagt Rea Köppel. Die 38-jährige Literaturwissenschaftlerin arbeitet im Dichtermuseum Liestal im Kanton Basel-Land, wo der Großteil des Herwegh-Nachlasses aufbewahrt und ausgestellt ist: Bilder, Bücher, das Schreibgerät und die Brille von Georg, die Pistolen von Emma. Die Bürgerstochter konnte mit Schießgerät seit ihrer Jugend umgehen. Sie wuchs in einer toleranten Atmosphäre auf, erhielt Privatunterricht von erstklassigen Lehrern, ritt wie der Teufel, pfiff auf blasierte adelige Heiratskandidaten. Sechs Tage nachdem sie Georg am 6. November 1842 in ihr Haus gelockt und ihm den Kopf verdreht hatte, folgte die Verlobung. „Geahnt habe ich dich, seit ich bin“, schrieb sie ihm später. „Sie war emanzipiert, obwohl sie diesen Ausdruck nicht mochte“, sagt Rea Köppel. „Sie war einfach auf gleicher Augenhöhe mit den Männern, für sie war das selbstverständlich.“

Und es ging ihr um das Ganze: „Wir wollen zeigen, was zwei Leute können, die zu der selben Fahne schwören, es ist keines Menschen Kraft zu gering, um das gewaltige Rad in Bewegung zu setzen.“ Sie zögerte nicht, als sich das Rad zu drehen begann. Dabei war die Bürgertochter kein Flintenweib, keine Amazone und keine Mutter Courage, wie sie später tituliert wurde. „Sie war nicht so poetisch und träumerisch wie ihr Mann, sondern bei weitem praktischer als dieser“, flocht ihr der preußische Offizier und Literat Otto von Corvin eine artige Liebeserklärung. „Trotz des männlichen Mutes fehlte es ihr nicht an den sanfteren Tugenden des Weibes; sie war eine treffliche Gattin und zärtliche Mutter.“

Herweghs Legion muss fliehen

Tatsächlich war Emma Herwegh die einzige Frau eines führenden Revolutionärs, die 1848 meist zu Fuß, in Hosen und mit zwei Pistolen am Gürtel ihren Mann bei dem von vorneherein zum Scheitern verurteilten Unternehmen durch den verschneiten, unwegsamen Südschwarzwald begleitete. Am 24. Mai setzte die Truppe über den Rhein, erfuhr umgehend, dass der zaudernde Verbündete Friedrich Hecker geschlagen und geflohen sei. Ab da war Georg Herweghs Legion selbst auf der Flucht und wollte sich bei Rheinfelden in die Schweiz in Sicherheit bringen. „Es hätte klappen können“, sagt Kurt Vollmer, „aber die Männer waren zu müde.“ Und exakt in dieser Zeit kam eine württembergische Kompanie des 6. Infanterieregiments durch das Tal. Angeführt von Hauptmann Fritz Lipp, ebenjenem Offizier, der als Regimentsadjutant im Jahr 1839 den Steckbrief des fahnenflüchtigen Rekruten Herwegh verfasst hatte.

„Es war ein ungleicher Kampf, die württembergischen Soldaten waren gut trainiert und besser bewaffnet, die Freischärler hatten wenige und schlechte Gewehre und jeder nur ein paar Schuss Munition, meistens nass geworden im Regen“, hat Kurt Vollmer den Unterlagen entnommen. Er hat auch die handschriftliche Liste der nach eineinhalb Stunden gefangen genommenen Freischärler. 373 Namen sind aufgeführt, nicht alle Freischärler konnten identifiziert werden. Auch nicht die toten. Zehn sind auf dem Dossenbacher Friedhof beerdigt worden. Darunter Reinhardt von Schimmelpfennig, der sich ein verzweifeltes Degenduell mit Hauptmann Lipp leistete, bevor er von Bajonetten erstochen wurde.

Den Herweghs gelang die Flucht. Ein hohes Kopfgeld wurde auf sie ausgesetzt. Der Bauer Jacob Bannwarth aus dem benachbarten Karsau nahm sie auf, versteckte sie vor einer württembergischen Patrouille, versorgte sie mit grober Kleidung und schmuggelte sie abends nach der Feldarbeit als Tagelöhner neben einem Mistwagen über die schwer bewachte Rheinbrücke in das schweizerische Rheinfelden.

Spott und Hohn, Hass und Verleumdung

Spott und Hohn, Hass und Verleumdung ergossen sich danach über den Präsidenten der Legion, auch wenn er selbst nicht der Feldherr, nur die Galionsfigur war. Die von reaktionärer Feder geschürte Kampagne hatte Wirkung. Herwegh fiel in eine tiefe Lethargie. „Er hatte eine Schreibblockade“, glaubt Rea Köppel. Er schaffte es nicht einmal, eine Erklärung über den verpfuschten Feldzug zu schreiben. Auch das musste Emma erledigen. Ihre Broschüre „Im Interesse der Wahrheit“ zeichnete sie trotzig mit „Von einer Hochverräterin“. Erfrischend undogmatisch schrieb sie gegen die Lügen an, obwohl sie eigentlich gar nicht vorgehabt habe, „die Zahl der schriftstellerischen Frauen“ vermehren zu wollen.

Zu Georg Herweghs Schreibblockade kam 1849 ein Seitensprung, der öffentlich breitgetreten wurde. Die Affäre beschäftigte den europäischen Blätterwald. Gegenseitige Beschimpfungen, Duellforderungen, Satisfaktionsaberkennung ruinierten den Ruf Georg Herweghs. 1853 hat sich zwar die Ehe mit Emma wieder eingerenkt, doch der Dichter blieb geächtet. Kein Verleger wagte, ihn zu drucken. „Dabei ist sein Spätwerk sehr interessant“, findet Rea Köppel. „Es ist viel inhaltlicher und nüchterner als das Vormärz-Pathos.“ Dazu gehört das prophetische „Germania – mir graut vor dir!“ nach dem preußischen Waffengang gegen Frankreich.

Und dazu gehört auch das 1863 geschriebene „Bundeslied“ für den SPD-Vorläufer Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein von Ferdinand Lassalle: „Mann der Arbeit aufgewacht / Und erkenne deine Macht / alle Räder stehen still /wenn dein starker Arm es will.“ Diese Strophe ist noch heute eine Streikparole. Für Herweghs scharfe Kritik am Kaiserreich gab es keinen Pardon. Emmas Bitte nach einer Rente für den verarmten Dichter wurde von der Schiller-Stiftung mit der Bemerkung abgewiesen, Herweghs Name verdiene, „für immer aus den Annalen deutscher Literatur gestrichen zu werden“.

Es war die Rache für seine unbeugsame Haltung. Emma musste Bibliothek und Mobiliar verkaufen, um den Haushalt über Wasser zu halten. Ihre reiche Familie strich die Zuwendungen. Kurz vor seinem Tod 1856 diktierte Heinrich Heine noch einen Vers, der auch auf Herwegh zutrifft: „Meine Waffen sind nicht gebrochen – nur mein Herze brach.“ Georg Herwegh starb am 7. April 1875 in Baden-Baden. Emma überlebte ihren Mann um fast 29 Jahre. Sie starb am 24. März 1904 in Paris. Begraben sind beide im Schweizer Liestal, wo sie das Bürgerrecht erworben hatten. Auf der linken Rheinseite, 25 Kilometer von Dossenbach entfernt.