Europaweit sind laut dem Bundesverkehrsminister Scheuer (CSU) die Motoren von 774.000 Daimler-Fahrzeugen mit unzulässiger Software ausgestattet, die den Schadstoffausstoß unzulässig beeinflussen.

Berlin - Zugeknöpft wie selten haben sich Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und sein Team am Montag vor dem Treffen mit Daimler-Chef Dieter Zetsche gegeben. Nicht einmal die genaue Uhrzeit des Gesprächs wollte das Ministerium in der Berliner Invalidenstraße zuerst herausrücken, wo der Vorstandsvorsitzende des Stuttgarter Autobauers schließlich um 15.36 Uhr eintraf – mit seinen Cheflobbyisten Eckart von Klaeden, einst Staatsminister im Kanzleramt. So wortkarg wie der Gastgeber präsentierten sich auch die Gäste. Auf die Frage nach einem möglichen Ergebnis des Treffens sagte Zetsche lediglich, das werde man „sicherlich hinterher besser wissen“.

 

Große Geheimniskrämerei

Die Geheimniskrämerei und die Tatsache, dass es nach der für knapp zwei Stunden angesetzten Unterredung eine Pressemitteilung des Ministeriums geben sollte, deutete indes auf einen vorbereiteten Kompromiss zwischen Verkehrsressort und Daimler hin, den die Chefs noch unter Dach und Fach zu bringen hatten. Schließlich hatte Scheuer nach dem vorangegangenen Treffen mit Zetsche vor zwei Wochen einen „vertieften Austausch über die hochkomplexen technischen Fragen“ angekündigt und versprochen, dass beim nächsten Mal „die konkreten Ergebnisse auf dem Tisch liegen“ würden. So liest sich das Ergebnis des jüngsten Treffens denn auch.

Im Kern ging es darum, die genaue Zahl von Fahrzeugen mit illegalen Abschalteinrichtungen zu ermitteln, deren Abgasreinigung auf dem Prüfstand mit voller, im realen Fahrbetrieb auf der Straße aber nur mit reduzierter Leistung funktioniert – mit dem Ergebnis eines viel höher als versprochenen Stickoxidausstoßes. Während Daimler die Softwareprogrammierungen für zulässig hält und das auch weiter vor Gericht einklagen will, weil sie dem Schutz der Motoren, nicht dem Bestehen von Abgastests gedient hätten, hat das Kraftfahrtbundesamt (KBA) zuletzt größte Bedenken angemeldet.

Verkehrsministerium rechnete mit weiteren Fällen

Schon nachdem eine Rückrufaktion für 4923 Kleintransporter von Typ Vito angeordnet worden war und Scheuer nach Zetsches erster Vorladung dem KBA die Dienstanweisung erteilt hatte, „weiteren Verdachtsfällen bei Mercedes unverzüglich nachzugehen“, schossen Spekulationen ins Kraut, noch viel mehr Mercedes-Motoren könnten ähnlich fragwürdig programmiert sein – von bis zu einer Million war in unbestätigten Berichten die Rede. Im Verkehrsministerium war intern davon die Rede, „dass da noch etwas nachkommen wird“.

Seit Montagabend ist klar, dass sich der Stuttgarter Ausläufer des Diesel-Skandals noch einmal stark ausgeweitet hat. „Der Bund wird für deutschlandweit 238 000 Daimler-Fahrzeuge wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen unverzüglich einen amtlichen Rückruf anordnen“, kündigte Scheuer nach dem Gespräch mit Zetsche an, der dies bestätigte. Europaweit liegt die Zahl betroffener Fahrzeuge laut Minister bei 774 000. „Dabei handelt es sich neben dem Vito insbesondere um die Volumen-Modelle GLC 220d und C 220d.“

Wir haben Bürger in Stuttgart gefragt, was sie zum Abgas-Skandal bei Daimler sagen:

Um den bei mangelnder Kooperation von Scheuer angedrohten Strafzahlungen in Höhe von 5000 Euro pro Auto zu entgehen, musste Daimler auch eine zügigere Umsetzung der beim Dieselgipfel 2017 freiwillig zugesagten Softwareupdates für drei Millionen Autos versprechen. Bis Jahresende sollen sie beendet sein, doch es gibt Berichte über einen größeren Zeitverzug. „Daimler erklärt darüber hinaus“, so Scheuer, „dass mit maximalem Abarbeitungstempo und in kooperativer Transparenz mit den Behörden die vom Bund beanstandeten Applikationen in der Motorsteuerung beseitigt werden.“

Als Dieter Zetsche gegen 18.25 Uhr das Verkehrsministerium verließ, sah er trotz der ausstehenden „rechtlichen Klärung“ einen Schlussstrich unter die Angelegenheit gezogen: „Das Thema ist damit jetzt behandelt.“ Offen bleibt, ob es zusätzlich auch eine geheime Nebenabsprache gegeben hat. Der „Spiegel“ hatte unmittelbar vor dem Treffen berichtet, dass Daimler im Gegenzug für eine deutlich ausgeweitete Rückrufaktion die Einstellung weiterer Untersuchungen durch das KBA erlange.

BDI-Präsident Kempf hätte sich andere verhalten gewünscht

Das wäre dann wohl kaum im Sinne von Dieter Kempf, dem Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie. der gerade den Automanagern die Leviten gelesen hat und sich „nach dem Bekanntwerden der Gesetzesverstöße mehr als einmal ein anderes Verhalten gewünscht hätte“.